Dass die moderne Intensivmedizin enorm viel leisten kann, dazu gäbe es Vieles zu sagen. Ich möchte hier aber zur Diskussion stellen, ob wir nicht manchmal zu viel des – vermeintlich – Guten tun. Die Frage ist, ob wir wirklich immer alles, was in der Medizin machbar ist, auch machen sollten – oder lieber manchmal innehalten und dem ethisch Vertretbaren den Vorzug geben.
Übertherapie schafft chronisch Kranke
Tatsächlich können wir mit den heutigen Therapiemethoden Patienten mit sehr schweren Erkrankungen am Leben erhalten, die danach weiterhin lebensbedrohlich krank sind. Selbst wenn klar ist, dass ein kuratives Therapieziel nicht mehr erreicht werden kann, laufen die Maßnahmen oft weiter. In vielen Fällen wird dadurch letztlich das Sterben verlängert.
Für dieses Problemfeld wurde der Begriff der „Chronisch Kritischen Erkrankung“ (Chronic Critical Illness, CCI) geprägt. Damit beschreiben wir nicht Patienten, die ganz allgemein in einem schlechten Gesundheitszustand sind, sondern ein eigenständiges Krankheitsbild nach einer überlebten schweren Erkrankung. CCI ist eine verheerende Krankheit, die eine höhere Sterblichkeitsrate aufweist als die meisten Krebsformen. 48 bis 68 Prozent der CCI-Patienten sterben innerhalb eines Jahres – eine Rate, die sich trotz der verbesserten medizinischen Versorgung in den letzten 20 Jahren kaum verändert hat.
Betroffen sind insbesondere multimorbide Menschen, die nach einem Versagen der Atmung künstlich beatmet werden mussten, Patienten nach einer Sepsis und/oder großen Operationen.
40 Prozent werden am Ende des Lebens übertherapiert
Wie unter anderem eine Metaanalyse zeigt, werden fast 40 Prozent der Patienten noch kurz vor ihrem Tod übertherapiert. Bei nahezu jedem zweiten werden Diagnoseverfahren durchgeführt, die keine Vorteile mehr bringen.
Typischerweise sind von einer CCI ältere Patienten mit relevanten Begleiterkrankungen wie fortgeschrittenem Diabetes, Lebererkrankungen oder Einschränkungen der Nierenfunktion betroffen, die im Rahmen einer Operation oder einer schweren Erkrankung akute Komorbiditäten wie eine Sepsis oder eine Herzinsuffizienz entwickeln. Ein Drittel bis die Hälfte dieser Patienten können nicht mehr von der Beatmungsmaschine entwöhnt werden. Zusätzlich entwickeln sie meist kognitive Einschränkungen, Schluckstörungen, Mangelernährung und muskuläre Schwäche – also eine massive Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität und Autonomie.
Neun von zehn haben falsche Erwartungen
Es ist sehr wichtig, dass wir mehr Bewusstsein dafür schaffen, wie der Zustand der CCI nach einer überlebten schweren Erkrankung tatsächlich ist. Wir müssen uns selbst als Behandlern ebenso wie Betroffenen und Angehörigen vor Augen führen, dass die zentrale Frage hier nicht immer „Überleben oder Sterben“ ist, sondern dass sich neben der Lebensdauer die Frage nach der Lebensqualität stellt.
Studien haben gezeigt, dass mehr als 90 Prozent der Patienten, die auf eine CCI zusteuern, und ihre Angehörigen völlig falsche Erwartungen haben, weil sie nicht über die Einschränkungen funktionaler und kognitiver Art Bescheid wissen, die auf sie zukommen. Nur zwölf Prozent der Betroffenen, die nach einem Jahr noch leben, sind imstande, sich selbst zu versorgen und eigenständig zu leben.
Alle anderen bleiben Pflegefälle, für deren Versorgung nach der Krankenhausentlassung enorme Anforderungen an die Versorgungseinrichtungen gestellt werden. Um sie dabei unterstützen zu können, wieder eigenständig zu sein, ist eine intensive Rehabilitation mit Physiotherapie, Ergotherapie, psychologischer Unterstützung und spezieller Ernährungstherapie nötig. In Österreich sind Einrichtungen, die Patienten mit einer schweren CCI versorgen können, kaum verfügbar.
Die Belastung der Angehörigen ist enorm. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Depressionsrate der Angehörigen von CCI-Patienten höher ist als die von Alzheimerpatienten oder von Patienten mit Querschnittslähmungen.
Die schwierige Frage hinter solchen Überlegungen ist immer: Kann das Behandlungsziel erreicht werden? Bringt die Behandlung eine Heilung oder eine deutliche Verbesserung des Zustandes des Patienten? Oder bringt die Behandlung nur eine Verlängerung der Sterbephase? In diesem Fall ist es ethisch geboten aus dem Bündel an verfügbaren Maßnahmen jene auszuwählen, die die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten in der verbleibenden Lebenszeit verbessern.
Quellen: Desarmenien M, Blanchard-Courtois AL, Ricou B. The chronic critical illness: a new disease in intensive care. Swiss Med Wkly 2016; 146:w14336; Aitken LM, Marshall AP. Monitoring and optimising outcomes of survivors of critical illness. Intensive Crit Care Nurs 2015; 31(1):1-9; Nelson JE, Cox CE, Hope AA, Carson SS. Chronic critical illness. Am J Respir Crit Care Med 2010; 182(4):446-54; Douglas SL, Daly BJ. Caregivers of long-term ventilator patients: physical and psychological outcomes. Chest 2003; 123: 1073-1081
Wann ist der Zeitpunkt der Therapiebegrenzung, wer trifft die Entscheidung? Kommissionen brauchen zu lange fuer eine Entscheidung, Kommissionen koennen im Akutstadium keine Entscheidung treffen, weil nicht verfügbar, ; es ist nach wie vor fuer den behandelnden Intensivmediziner ein sehr schwieriges Problem,