Der Präsident elect der ÖGARI, Prim. Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder, hat wieder einen Update mit einer Zusammenfassung der neuesten Literatur zu SARS-CoV-2 verfasst.  

N. van Deremalen et al. (NEJM DOI: 10.1056/NEJMc2004973) untersuchten in einer in vitro Studie wie lange das SARS-CoV-2 Virus auf verschiedenen Oberflächen, die im täglichen Leben durch Aerosole kontaminiert werden können, infektiös bleiben. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass das SARS-CoV-2 Virus in Aerosolen, einem Gemisch aus festen und flüssigen Teilchen, bis zu 24 Stunden auf Pappendeckel, 4 Stunden auf Kupferoberflächen und 2-3 Tage auf rostfreien Stahl und Plastikoberflächen überleben kann. Damit scheint die “Überlebensdauer” des SARS-CoV-2 Virus ähnlich jener des nahe verwandten SARS Virus zu sein. Eine Interpretation der Daten auf die reale Lebenssituation ist natürlich nur eingeschränkt möglich. Wir wissen derzeit nicht wie viele Viren (“virus load”) für die Infektion eines gesunden Menschen notwendig sind. Dennoch gibt uns diese Studie zumindest Auskunft darüber, wie lange z.B. persönliches Eigentum von an COVID-19 Erkrankten mindestens unter Verschluss gehalten werden muss.

Cao B et al (NEJM DOI: 10.1056/NEJMoa2001282) untersuchten die Wirksamkeit von Lopinavir-Ritonavir in einer offenen “Feldstudie” an schwer COVID-19 erkrankten Patientinnen und Patienten in China. 199 Erkrankte wurden in einem 1:1 Verhältnis in die Studie eingeschlossen, Einschlusskriterien waren: Respiratorische Symptomatik mit SaO2 Werten < 94% bei Raumluftatmung beziehungsweise einer paO2/FIO2 Ratio unter 300. Patienten in der “antiviralen Gruppe” erhielten neben der Standardbehandlung Lopinavir-Ritonavir 400 mg und 100 mg po. 2-mal täglich bis zu 14 Tagen. Patienten der Standardgruppe erhielten die übliche Intensivtherapie angefangen von reiner Sauerstofftherapie über nicht-invasive Beatmungsverfahren bis hin zur invasiven mechanischen Beatmung und ECMO. Die Behandlung mit Lopinavir-Ritonavir führte zu keiner Verbesserung des Überlebens nach 28 Tagen. Auch die nachweisbare “Viruslast” zwischen den Gruppen, gemessen als virale RNA, war nicht unterschiedlich. Gastrointestinale Symptome als Nebenwirkung waren häufiger in der Lopinavir-Ritonavir Gruppe. Die Behandlung mit Lopinavir-Ritonavir musste vorzeitig bei 13 Patienten wegen schwerer Nebenwirkungen abgebrochen werden.

Diese Studie sollte uns als Intensivmediziner daran erinnern, dass wir derzeit keine spezifische Therapie gegen das SARS-CoV-2 Virus anbieten können. Die propagierten experimentellen Therapieoptionen, die wir von verschiedenen europäischen Ländern übermittelt bekommen, halte ich für potentiell gefährlich. In der Regel neigen wir dazu, positive Verläufe als Erfolg unserer Therapie und Pflege zu werten. Bei Patientinnen und Patienten, welche versterben, gehen wir meist von natürlichen Verläufen aus. Eine ursächliche Beteiligung von potentiell toxischen Medikamenten (“number needed to harm”) am Verlauf ist oft schwierig zu erkennen.

Wir können aber nicht ausschließen, dass bald spezifische wirksame Therapien für COVID-19 Erkrankungen bereitstehen. Eine randomisierte, kontrollierte Studie mit Remdesivir, das ursprünglich von der Firma Gilead Sciences Inc., gegen das Ebolavirus entwickelt wurde, läuft gerade in Omaha (USA) an. Remdesivir zeigt in vitro breite antivirale Aktivität gegen die Coronaviren, welche die Erkrankungen SARS und MERS verursachen. Eine weitere Anwendungsstudie läuft derzeit in China. Ebenso fieberhaft wird an einem Impfstoff gegen das  SARS-CoV-2 Virus in Europa und den USA gearbeitet . Eine Phase 1 Studie (Verträglichkeitsstudie) dazu hat gerade in Seattle begonnen.

Eine kleine, aber sehr interessante Beobachtungsstudie über die Effekte von Chloroquin und Azithromycin auf die Virusausscheidung über die Nasenschleimhäute bei COVID-19 Patientinnen und Patienten wurde von Gautret P et al (Int J Antimicrobial Agents 2020; DOI: 10.1016/j.ijantimicag.2020.105949) publiziert. Bei 20 Erkrankten führte die Gabe von Hydroxychloroquin (600mg/Tag) zu einer raschen signifikanten Abnahme der Virusausscheidung über die Nasenschleimhaut im Vergleich mit COVID-19 Patienten (n=16) ohne spezifischer Therapie innerhalb der ersten 6 Tage nach Behandlungsbeginn. Die Zugabe von Azithromycin (500mg Loadingdose, dann 250mg/Tag) bei 6 Erkrankten verstärkte den Effekt von Hydroxychloroquin. Die bisherigen Ergebnisse sind Teil einer laufenden Studie in Marseille. Aufgrund der kleinen Fallzahl gibt es keine Outcomedaten die derzeit für oder gegen diesen Therapieansatz sprechen würden. Ich persönlich finde die Studie hoch interessant und ich hoffe, dass erste Outcomedaten so schnell wie möglich publiziert werden.

Noch immer geistern Gerüchte herum, dass ACE-Hemmer und Angiotensin II-Rezeptorblocker bei SARS-CoV-2 Virus positiven Patientinnen und Patienten abgesetzt werden müssen. Dies liegt daran, dass das Virus über Angiotensin-Converting-Enzym Rezeptoren und das Renin-Angiotensin-Aldosterone System in den Wirt eindringt. Die American Heart Association (Fang L et al. Lancet Respir Med 2020) stellt dazu fest, dass Patienten, die auf SARS-CoV-2 Virus positiv getestet wurden und deren kardiovaskuläre Erkrankung mit den genannten Medikamenten behandelt werden, keinesfalls diese Medikamente absetzten sollten. Ein plötzliches Absetzten kann das Risiko für Herzinfarkte oder Schlaganfälle deutlich erhöhen. Es gibt derzeit keinen wissenschaftlichen Beweis, dass ACE-Hemmer und Angiotensin-Rezeptorblocker das Risiko schwerer SARS-CoV-2 Erkrankungen erhöhen. Eine idente Stellungnahme gibt es von der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft.

Laurer SA et al (Ann Int Med 2020; DOI: 10.736/M20-0504) haben die Erkrankungsgeschichte von 181 an COVID-19 Erkrankten durchforstet um Inkubationszeiten und das Auftreten der ersten klinischen Symptome genauer zu definieren. Das mediane Alter der SARS-CoV-2 positiven Personen war 44,5 Jahre. 60 Prozent der Betroffenen waren männlich. Die mediane Inkubationszeit betrug 5,7 Tage. Nur 2,2 Prozent aller Patienten entwickelten Symptome innerhalb der ersten 2,2 Tage nach der Ansteckung. 97,5 Prozent aller Fälle wurden innerhalb von 11,5 Tagen symptomatisch. Wenn wir nur nach dem zeitlichen Auftreten klinischer Symptome das Risiko für SARS-CoV-2 Infektionen einschätzen, würden bei einer ein wöchigen Beobachtungszeit 21 Erkrankungsfälle pro 10.000 Patienten übersehen werden. Nach 2-wöchiger Quarantäne wäre das Risiko für das Übersehen von Erkrankungsfällen nur mehr bei 1:10.000. Diese Daten untermauern die derzeitigen Quarantäneregelungen für Hochrisikopatienten!

Xiaoxia Lu et al. (NEJM 2020; DOI: 10.1056/NEJMc2005073) berichten über SARS-CoV-2 Infektionen bei Kindern. Das Chinese Center for Disease Control and Prevention veröffentlichte vor Kurzem, dass von 72.314 an COVID-19 Erkrankten Kinder nur in unter 1 Prozent der Fälle betroffen waren. Das Wuhan Kinder Spital, welches die gesamte Region Wuhan versorgt, hat zwischen 28. Jänner und 26. Februar dieses Jahres 1391 Kinder mit respiratorischen Symptomen auf das SARS-CoV-2 Virus getestet. 171 (12,3 Prozent) waren SARS-CoV-2 positiv. Das mediane Alter lag bei 6,7 Jahren. Fieber wurde nur bei 41,5 Prozent der Kinder gemessen. Die häufigsten Symptome waren Husten und ein geröteter Rachen sowie unspezifische Halsschmerzen. 27 Patienten (15,8 Prozent) waren asymptomatisch. Nur 3 Kinder mussten intensivmedizinisch betreut werden. Alle drei waren vorerkrankt! Insgesamt entwickelten 111 Patientinnen und Patienten das Bild einer vorwiegend interstitiellen Pneumonie. Bis zum 8. März 2020 gab es nur einen Todesfall bei den positiv getesteten Kindern. Dieser Todesfall war aber wahrscheinlich keine direkte Folge der COVID-19 Erkrankung. Im Gegensatz zu Erwachsenen ist der Erkrankungsverlauf bei den meisten mit SARS-CoV-2 Virus infizierten Kindern mild.