Seit dem Höchststand am 8. April sind die Zahlen von stationären und intensivpflichtigen COVID-19-Patientinnen und -Patienten in Österreich kontinuierlich rückläufig. Die ÖGARI zeigt sich erleichtert über diesen aktuellen Trend – aber zugleich besorgt über eine zunehmend unsachliche Debatte zur Corona-Pandemie. Die Fachgesellschaft setzt verbreiteten Mythen zu SARS-CoV-2 Fakten aus intensivmedizinischer Sicht entgegen.

Die täglich veröffentlichten Kennzahlen des Gesundheits- und Innenministeriums zeigen, was die anästhesiologisch-intensivmedizinische Perspektive betrifft, seit gut einer Woche eine erfreuliche Tendenz: Seit dem Höhepunkt am 8. April geht die Zahl jener Patientinnen und Patienten mit COVID-19, die auf einer Intensivstation versorgt werden müssen, wieder zurück und liegt aktuell unter 100. „Diesen Trend beobachten wir mit großer Erleichterung“, sagt der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) Univ.-Prof. Dr. Klaus Markstaller (MedUni Wien/AKH Wien). „Mit Sorge sehen wir allerdings, dass in die Diskussion um die Corona-Pandemie, ihr Management und die Behandlung von an COVID-19 Erkrankten zunehmend auch unsachliche Kommentare eingebracht werden.“ Das sei bedauerlich und wenig hilfreich. Die ÖGARI appelliere „an alle medizinischen Fachkräfte, die dieses komplexe Thema medienwirksam kommentieren, sich hier auf Basis ihrer jeweils eigenen Fachexpertise und der bestehenden Fakten zu bewegen. Das würde der Qualität der Diskussion und Information gut tun,“ so der ÖGARI-Präsident. „Es gilt jetzt mehr denn je, Mythen durch Tatsachen zu ersetzen.“

COVID-19 und Intensivmedizin: Mythen und Fakten

  • Behauptung: Es war überzogen, Intensivkapazitäten auszubauen und freizumachen, zum Beispiel durch Verschiebung elektiver Operationen. Die Intensivstationen waren auch am Höhepunkt der Erkrankungswelle weitgehend leer.

ÖGARI: Es war richtig und wichtig, sagen die  ÖGARI-Experten, dass sich die Krankenhäuser – und insbesondere die Intensivstationen – rechtzeitig sehr umsichtig und professionell auf die Corona-Krise und auf erwartbare zusätzliche Patientenströme vorbereitet haben. Wer die Zahl der intensivpflichtigen COVID-19-Patienten mit der Gesamtzahl der Intensivbetten in Relation setzt, übersieht, dass auch in Pandemie-Zeiten ein Gutteil der Intensivbetten mit Intensivpatientinnen und -patienten anderer Genese belegt sind. Prof. Markstaller. „Wie wichtig die vorbereitenden Maßnahmen waren, zeigt schon die Tatsache, dass während der vergangenen Wochen die Belegung der Intensivbetten insgesamt, unabhängig von der Indikation, in verschiedenen Zentren, wie dem AKH Wien, bei 80 Prozent lag. In hochbetroffenen Regionen wie Teilen Tirols waren zu Spitzenzeiten alle Intensivbetten belegt.“

  • Behauptung: Es muss nur ein sehr kleiner Anteil der Erkrankten stationär betreut werden, die Konzentration auf den Spitals- und Intensivbereich ist übertrieben.

ÖGARI: Hier ist immer darauf zu achten, nicht aufsummierte Zahlen (etwa die insgesamt mehr als 15.600 SARS-CoV-2 positiv getesteten Menschen) mit täglichen Momentaufnahmen zu vergleichen – wie der täglich kommunizierten  Zahl stationärer COVID-19 Patientinnen und -Patienten. Der Anteil hospitalisierter Menschen an aktiv Erkrankten ist jedenfalls erheblich. Prof. Markstaller: „Tatsache ist, dass zum Glück insgesamt nicht viele SARS-CoV-2-positive Menschen ernsthaft erkranken. Die, die das aber tun, sind sehr schwer krank, wie unsere Erfahrungen auf den Intensivstationen zeigen. Schwere Verläufe von COVID-19 sind nicht mit anderen Erkrankungen vergleichbar, die wir sonst an Intensivstationen behandeln, und benötigen besonders viele Ressourcen.“

  • Behauptung: Auf den Intensivstationen wird übertherapiert, hier werden mit großem gerätemedizinischen Aufwand COVID-19 Patienten behandelt, für die das nicht mehr sinnvoll ist.

ÖGARI: Wir konnten in jeder Phase der Corona-Krise auch bei COVID-19-Patientinnen und -Patienten jene personenbezogene, individualisierte Intensivmedizin betreiben, wie sie auch sonst unser Prinzip ist: Das bedeutet, dass in jedem einzelnen Fall beraten wird, ob bzw. welche therapeutischen Interventionen in der individuellen Konstellation und unter Berücksichtigung der Patientenwünsche sinnvoll sind. Prof. Likar: „Das kann auch einmal eine Einstellung der Therapie bedeuten, zum Beispiel, wenn ein Patient eine Intubation ablehnt. Es ist sehr positiv, dass wir in Österreich nicht wie in anderen Ländern Triage-Entscheidungen wegen einer Knappheit an Betten treffen mussten, sondern bisher immer Intensivmedizin nach aktuellem wissenschaftlichem Standard betreiben konnten.“

  • Behauptung: Mit der Intubation und mechanischen Beatmung werden Schäden verursacht, diese Behandlungsform wird zu oft angewendet.

ÖGARI: Eine nicht-invasive Beatmung oder invasive Beatmung sind keine alternativen Konzepte, sondern ergänzen einander – je nach individueller Situation der Patientinnen und Patienten wird die jeweilige Vorgangsweise entschieden. Es gibt keinerlei Daten, die die Behauptung stützen könnten, es würde an Intensiv-Abteilungen zu viel oder zu früh intubiert. Natürlich ist es hier, wie bei jeder therapeutischen Intervention, entscheidend, dass qualitätsvoll und entsprechend den Leitlinien vorgegangen wird.

  • Behauptung: Die Sterblichkeit von COVID-Patientinnen und -Patienten auf Intensivstationen ist enorm hoch, daher muss man diesen intensivmedizinischen Aufwand in Frage stellen.

ÖGARI: Es gibt keine Anhaltspunkte, dass dies in Österreich so wäre. Bisher publizierte Daten zur Intensiv-Mortalität sind nach Ländern und Regionen extrem unterschiedlich. So weist eine Arbeit aus New York eine Sterblichkeit von 88 Prozent aus, andere Städte in den USA berichten eine 50prozentige Mortalität. Da lässt sich aber nicht einfach umlegen. Die Daten aus Österreich sehen anders aus, auch wenn es hierzulande eine gewisse Schwankungsbreite gibt: Abteilungen berichteten etwa Mortalitätsdaten von 20 bis 40 Prozent.

Quelle: ÖGARI-Pressemitteilung 8. Mai 2020