ÖGARI Präsident elect Prim. Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder (Zams) fasst auch gleich zum Auftakt des neuen Jahres gleich wieder einige wichtige aktuelle Studien zu SARS-CoV-2 und zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit schweren COVID-19-Erkrankungen zusammen.
Neues zur PCR-Diagnostik
Bei 70 Patientinnen und Patienten mit COVID-19-Symptomen wurden die Ergebnisse einer PCR-Diagnostik aus einem tiefen Rachenabstrich mit den Ergebnissen aus Speichel gewonnener Proben verglichen (NEJM 2020; 382:1283). Interessanterweise waren die Ergebnisse aus dem Speichel besser reproduzierbar als jene aus tiefen Rachenabstrichen. Im Anschluss hat das Forschungs-Team 495 Krankenhausmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, die in regelmäßigen Kontakt mit COVID-19-Kranken waren, mittels PCR aus Speichelproben und aus tiefen Nasenabstrichen getestet. Bei 13 Mitarbeitenden war die PCR auf SARS-CoV-2 aus Speichelproben positiv. Alle 13 Mitarbeiter waren zum Zeitpunkt der Testung asymptomatisch und die Infektion wurde durch weitere nasopharyngeale Abstriche bestätigt. Diese Ergebnisse zeigen, dass die PCR-Diagnostik aus Speichelproben nicht weniger sensitiv ist als Tests aus tiefen Nasenrachenabstrichen. Die PCR aus Speichelproben ist für Untersuchte wenig belastend und wäre gerade für Screeninguntersuchungen einer großen Menschenanzahl oder für Kinder ideal geeignet. Allerdings haben Speichelproben einen Nachteil. Virus-RNA ist im Speichel sehr instabil und deshalb müsste die Probe rasch im Labor verarbeitet werden. Alternativ kann die Speichelprobe chemisch behandelt werden um die Stabilität der Virus-RNA zu verlängern. Ein Speichel-basierter PCR-Test wurde kürzlich von der FDA in den USA zugelassen (www.fda.gov/media/141194/download). Dabei wird Virus-RNA aus Speichelproben mittels eines Enzyms (Proteinase K) unter Hitzeeinwirkung freigesetzt. Man erspart sich damit mehrere zeitaufwändige und kostenintensive Aufarbeitungsschritte, die für die herkömmliche PCR-Diagnostik notwendig sind.
COVID-19 und gastrointestinale Komplikationen
Gastrointestinale (GI) Probleme sind bei Intensivpatientinnen und -patienten mit längerem Intensivaufenthalt häufig. Der Frage ob GI-Symptome bei COVID-19-Erkrankten besonders häufig oder sogar Krankheits-spezifisch anzutreffen sind, ist eine Untersuchung aus Bosten (USA) nachgegangen (JAMA 2020; doi: 10.1001/jama.2020.19400). 242 Patientinnen und Patienten mit ARDS aufgrund einer SARS-CoV-2 Infektion wurden mit 244 Patientinnen und Patienten mit Non-COVID-ARDS- verglichen. Menschen mit COVID-19 litten häufiger an Diabetes mellitus, während in der Vergleichsgruppe kardiale und pulmonale Vorerkrankungen häufiger anzutreffen waren. In einer Propensity-gematchten Analyse zeigte sich, dass GI-Symptome deutlich häufiger (73 Prozent versus 37 Prozent) im Zusammenhang mit COVID-19 Erkrankung auftraten. Das Spektrum der Symptome war dabei weitläufig: Transaminasenanstiege, schwerer Ileus, Darmischämie traten vermehrt bei COVID-19-Patientinnen und -Patienten auf. Drei Erkrankte mussten wegen Darmischämien operiert werden. In Mikrogefäßen der resezierten Darmanteile fanden sich zahlreiche Mikrothrombosen. Dieser Befund dürfte mit der generellen und oft exzessiven Gerinnungsaktivierung im Rahmen der Infektion erklärbar sein. Die Ätiologie der beobachteten Darmparalysen ist wahrscheinlich komplexer. COVID-19-Patientinnen und -Patienten mit ARDS benötigten mehr Sedierung und in dieser Studie auch höhere Opiatgaben. Beides fördert die Entwicklung einer Darmparalyse. Die häufiger beobachteten Transaminasenanstiege können möglicherweise auch durch die häufigere Anwendung experimenteller Therapien bei an COVID-19 Erkrankten erklärt werden. In jedem Fall sind wir als Intensivmedizinerinnen und -mediziner aufgefordert gerade bei unseren Patientinnen und Patienten mit COVID-19 auf GI-Symptome zu achten und die mögliche Ätiologie ständig zu hinterfragen.
Reanimation bei COVID-19
Normalerweise haben Reanimationen im Krankenhaus größere Erfolgsaussichten verglichen mit Reanimationen im üblichen Umfeld. Geschultes Personal und kurze Stillstandzeiten vor Beginn der Herzdruckmassage sind dafür hauptverantwortlich. Sind Patientinnen oder Patienten an COVID-19 erkrankt, ist die Reanimation durch nahen und oft längerem unmittelbaren Patientenkontakt und die Aerosolexposition beim Atemwegsmanagement mit hohem Infektionsrisiko für das Krankenhauspersonal verbunden. In einer US-Studie wurde das Outcome von 54 Patientinnen und Patienten mit COVID-19 und Notwendigkeit einer kardiopulmonalen Reanimation untersucht (JAMA Intern Med 2020; doi: 10.1001/jamainternmed.2020.4796). Fast alle Erkrankten zeigten initial einen nicht schockbaren Herzrhythmus. 79 Prozent waren zum Zeitpunkt des funktionellen Herzstillstandes bereits augmentiert oder kontrolliert beatmet, 46Prozent erhielten Vasopressoren. Obwohl ein ROS bei 54 Prozent erreicht werden konnte, hat kein Patient bzw. keine Patientin das Krankenhaus lebend verlassen.
Eine weitere Studie mit > 5000 kritisch kranken COVID-19-Patientinnen und -Patienten aus den USA (Daten aus 68 Krankenhäusern) kommt zu ähnlichen Ergebnissen (BMJ 2020; 371:m3513). 15 Prozent der Erkrankten erlitten im Krankenhaus einen Herzkreislaufstillstand. Nur 12 Prozent der Patientinnen und Patienten, die eine CPR erhielten, überlebten bis zur Krankenhausentlassung. Nur 7 Prozent dieses Kollektivs überlebten ohne oder mit milder neurologischer Schädigung. Beide Studien demonstrieren die schlechte Prognose eines funktionellen Herzkreislaufstillstandes bei hospitalisierten Personen mit COVID-19. Die Tatsache, dass in beiden Untersuchungen ein nicht-schockbarer Herzkreislaufstillstand dominiert, weist per se auf eine schlechte Überlebensprognose hin. Diese Form des funktionellen Stillstandes ist wahrscheinlich Folge der zugrundeliegenden schweren Lungenfunktionsstörung mit progredienter Hypoxämie und/oder des progredienten Multiorgandysfunktionssyndroms.
Aufgrund der derzeitigen Datenlage und der Tatsache eines erheblichen Infektionsrisikos für Krankenhauspersonal im Rahmen einer CPR sollten wir uns im Vorfeld, bei jedem einzelnen Patienten, Gedanken über die Sinnhaftigkeit einer möglichen Reanimation in der Zukunft machen und im Rahmen einer „Advanced Care Planung“ schriftlich unsere Entscheidungen dokumentieren.
Phase-3-Ergebnisse des Impfstoffs von Pfizer-Biontec
Über die Ergebnisse der Phase-3-Studie mit dem neuen Pfizer-Biontec-Impfstoff wurde kürzlich im NEJM berichtet (NEJM 2020; 383:2603-2615). Insgesamt wurden 42.548 Patientinnen und Patienten in diese prospektive, Placebo-kontrollierte und verblindete Untersuchung aufgenommen. Teilnehmerinnen und Teilnehmer mussten älter als 16 Jahre, gesund oder bezüglich ihrer Vorerkrankungen gut eingestellt sein. Eingeschlossen wurden ebenso Menschen mit gut eingestellter HIV, Hepatitis-B oder -C-Infektion. Ausgeschlossen wurden Probandinnen und Probanden mit stattgehabter COVID-19-Erkrankung, Menschen unter immunsuppressiver Therapie und solche, bei denen allergische Reaktionen auf Medikamente oder Impfungen auftraten. Insgesamt erhielten 21.720 Personen den Impfstoff BNT16b2 und 21.728 Personen erhielten ein Placebo. Alle Teilnehmenden erhielten 2 Injektionen im Abstand von 21 Tagen. Im Beobachtungszeitraum entwickelten nur 8 Personen, die den Impfstoff erhielten, eine COVID-19 Erkrankung, während in der Kontrollgruppe 162 Neuinfektionen mit dem SARS-CoV-2-Erreger auftraten. Dies entspricht einem Impfschutz von 95 Prozent, was als hervorragendes Impfergebnis zu werten ist. Insgesamt wurden 10 schwere COVID-19-Infektionen bei Probandinnen und Probanden beobachtet, von denen lediglich 1 Fall in der Gruppe der tatsächlich Geimpften auftrat.
Als Nebenwirkungen der Impfung wurden am häufigsten lokaler Schmerz, Schwellung und Rötung der Einstichstelle, an Allgemeinsymptomen wurden kurzzeitiger Kopfschmerz, Fieber und Krankheitsgefühl berichtet. Insgesamt traten die Nebenwirkungen bei Jugendlichen und jüngeren Erwachsenen (16 bis 55 Jahre) häufiger auf. Febrile Reaktionen wurden meist nach Verabreichung der 2. Impfdosis beobachtet. Schwere Nebenwirkungen waren extrem selten und traten in ähnlicher Häufigkeit in der Verum- und der Placebogruppe auf.
Mit dem ersten in der EU zugelassenen mRNA-Impfstoff gegen das SARS-CoV-2-Virus steht der Menschheit erstmals eine wirksame Waffe zur Bekämpfung dieser weltweiten Seuche zur Verfügung. Der erzielte Impfschutz ist mit 95 Prozent Wirksamkeit, im Vergleich mit anderen Impfstoffen, außerordentlich hoch und die Nebenwirkungen ähneln denen anderer etablierter Impfstoffe. Ähnliche und alternative Impfstoffe befinden sich derzeit in Zulassungsverfahren. Wir können nur hoffen, dass durch entsprechende Maßnahmen von Politik und Interessensvertretungen möglichst viele Menschen diesen Schutz in Anspruch nehmen (müssen), damit unser Leben endlich wieder von Normalität geprägt wird.
Phase-3-Ergebnisse des Moderna-Impfstoffs
Ebenfalls im NEJM wurde die Phase-3-Studie mit dem neuen mRNA-Impfstoff von Moderna publiziert (NEJM 2020; doi: 10.1056/NEJMoa203389). In diese Studie wurden 30.420 Teilnehmerinnen und Teilnehmer eingeschlossen. Die eine Hälfte erhielt 2 Dosen des Impfstoffs mRNA-1273 (100µg) im Abstand von 28 Tagen; die andere Hälfte der Probandinnen und Probanden erhielt Placebo. Die Studie wurde als randomisierte, für die durchführenden Studienärztinnen und -ärzte verblindete Untersuchung durchgeführt. 185 Menschen aus der Placebogruppe, aber nur 11 Personen aus der Impfgruppe entwickelten eine symptomatische COVID-19 Infektion. Alle schweren COVID-19 Infektionen traten in der Placebogruppe auf!
Der Impfschutz betrug somit 94,1 Prozent – also sehr ähnlich dem Impfschutz, der durch den Pfizer-Biontec-Impfstoff erzeugt wird. Die berichteten Nebenwirkungen waren in der Schwere und Häufigkeit ähnlich den Nebenwirkungen des Pfizer-Biontec-Impfstoffs. Die am häufigsten berichteten Symptome waren Krankheitsgefühl, Muskel-, Kopf- und Gelenksschmerzen, die zirka 15 Stunden nach der Impfung auftraten, und spätestens nach 48 Stunden verschwanden. Schwere Nebenwirkungen waren auch hier sehr selten und traten in der Geimpften- und der Placebogruppe in gleicher Häufigkeit auf.
Beide beschriebenen mRNA-Impfstoffe kodieren einen Bestandteil des Virusspikeproteins. Dieses ist für das Andocken des Virus an den Zielzellen des Respirationstraktes unabdingbar. Der Impfstoff wird durch Lipidnanopartikel vor vorzeitigem Abbau geschützt und kann nach intramuskulärer Verabreichung von immunologischen Zielzellen aufgenommen werden. In diesen Zellen wird der kodierte Teil des Spikeproteins nachgebaut und verschiedenen Zellen des Immunsystems präsentiert. Auf dieser Basis bilden sich spezifische antikörperbildende Plasmazellen, Gedächtniszellen und T-Killerzellen, die bei einer Infektion mit dem SARS-CoV-2 Virus, dieses sofort angreifen und neutralisieren. Damit wird der symptomatische Ausbruch der Erkrankung verhindert.
Die neue Virusmutante
In letzter Zeit häufen sich Berichte über eine neue Virusmutante, die eine höhere Infektiosität, verglichen mit dem Ursprungstyp aus Wuhan, haben soll (NEJM 2020; doi: 10.1056/NEJMcibr2032888). Das ursprünglich Virus stammt mit großer Wahrscheinlichkeit aus Fledermäusen und zeigte wenig genetische Variabilität beim Erstausbruch in China. Mittlerweile taucht aus Südeuropa kommend eine neue SARS-CoV-2-Virusmutante mit einer Veränderung im Spikeprotein (D614G Mutation) auf. Patientinnen und Patienten, die durch SARS-CoV-2 mit einer D614G Mutation infiziert werden, zeigen eine deutlich höhere Viruslast im oberen Respirationstrakt. Dies erklärt die höhere Infektiosität des Virus, die derzeit auf 50 bis 60 Prozent höher als beim ursprünglichen Virus geschätzt wird. Studien in Zelllinien und Tieren (Hamstermodell) zeigen eine wesentlich raschere Virusreplikation und der neue Virus scheint gegenüber Umwelteinflüssen stabiler zu sein. Beide Faktoren begünstigen die höhere Infektiosität dieser Variante. Glücklicherweise gibt es zurzeit keine Daten, die auf einen schwereren Erkrankungsverlauf bei mit der Virusmutante infizierten Menschen hinweist. Die neuen COVID-19 mRNA-Impfstoffe wurden gegen Spikeprotein-Bestandteile des Ursprungsvirus entwickelt. Es gab daher Befürchtungen, dass die neuen Impfstoffe möglichweise gegen die neue sich rasch ausbreitende Virusvariante weniger wirksam sein könnten. Alle bisherigen Untersuchungen zeigen aber, dass Antikörper die durch die Impfung gebildet wurden, genauso effektiv die neue Virusvariante binden und neutralisieren können.
Neue medikamentöse Therapien
In der ACCT-2-Studie wurden die Effekte einer Kombinationstherapie bestehend aus Redemsivir und Baricitinib gegen die alleinige Gabe von Redemsivir auf den klinischen Verlauf von hospitalisierten COVID-19-Patientinnen und -Patienten untersucht (NEJM 2020; doi: 10.1056/NEJMoa2031994). Baricitinib ist ein sogenannter Janus-Kinase Hemmer (JAK; ursprünglich bedeutete der Name „Just Another Kinase“) und hemmt die Aktivierung einer zytoplasmatischen Tyrosinkinase welche ihrerseits, in aktivierter Form, zur Neubildung proinflammatorischer Zytokine, Interferone, Erythropoetin und anderer Gewebshormone führt. Somit wurde in der Kombinationsgruppe ein Virostatikum mit einer antiinflammatorisch wirkenden Substanz kombiniert. Die Kombinationstherapie führte, über alle Patientinnen und Patienten gesehen, zu einer Verminderung des Hospitalaufenthaltes um einen Tag (7 Tage versus 8 Tage). Bei 218 Patient*innen unter High-Flow Sauerstofftherapie oder NIV wurde die Krankenhausaufenthalts-Dauer um 8 Tage vermindert. Die Mortalität nach 28 Tagen war in beiden Gruppen ähnlich (5,1 Prozent versus 7,8 Prozent; ns). Patientinnen und Patienten, die gleichzeitig Dexamethason erhielten (n=223), zeigten keinerlei Vorteile einer Kombinationstherapie.
Ich persönlich glaube nicht, dass Baricitinib in der Routinebehandlung hospitalisierter COVID-19 Erkrankter Verwendung finden wird. In einer derzeit laufenden Studie ACCT-4 soll die Effekte einer Kombinationstherapie bestehend aus Baricitinib, Redemsivir und Dexamethason gegen eine Therapie mit Dexamethason und Redemsivir verglichen werden. An dieser Stelle möchte ich den interessierten Leser/die interessierte Leserin noch einmal auf die ernüchternden Ergebnisse der Solidarity Studie erinnern. Hier hat eine Therapie mit Redemsivir keinerlei positive Outcome-Effekte bei verschiedenen COVID-19-Erkrankungsstadien gebracht.