Seit 1. April leitet Univ.-Prof. Dr. Barbara Sinner die Innsbrucker Universitätsklinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin. Im Interview mit anaesthesie.news spricht sie über ihre neue Funktion, ihre inhaltlichen Schwerpunkte, die besonders spannenden Aspekte des Faches, die Notwendigkeit von Nachwuchspflege und Frauenförderung sowie darüber, wie sich die Anästhesiologie als positives und wichtiges Fachgebiet darstellen sollte.

Fragt man die neue Professorin und Leiterin der Innsbrucker Universitätsklinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin Univ.-Prof. Dr. Barbara Sinner danach, was ihr Fachgebiet so spannend macht, so hat sie ein Zitat von James Cottrell parat: „Anesthesiologists are doctors who keep patients alive while surgeons are doing things that would otherwise kill them”, hat der emeritierte Anästhesie-Chef des Sunny Downstate Medical Center in New York und Mitbegründer der Subspezialität Neuroanästhesie einmal pointiert formuliert. „Unsere wichtige Rolle im Zusammenhang mit Operationen liegt nicht nur darin, Schmerzen zu lindern und das Bewusstsein auszuschalten, sondern die Herausforderung, Patientinnen und Patienten, insbesondere im Kontext ihrer Begleiterkrankungen, eine Operation überhaupt zu ermöglichen“, führt Prof. Sinner diesen Gedanken aus. „Als perioperative Medizinerinnen und Mediziner begleiten wir sie vom Vorfeld bis zur Nachbetreuung über den größten Teil dieses Weges“, so die Expertin.

Die gebürtige Stuttgarterin, die mit der Innsbrucker Klinik mit derzeit 177 Ärztinnen und Ärzten auf 157 Vollzeitäquivalenten eine der größten anästhesiologischen Abteilungen im deutschsprachigen Raum leitet, hält viel davon, die Anästhesiologie und Intensivmedizin „als wichtiges und positives Fach“ darzustellen, um es auch einer breiten Öffentlichkeit transparenter und verständlicher zu machen. „Viele Menschen haben durchaus noch falsche Vorstellungen und verbinden unser Fachgebiet vorwiegend mit technischen Geräten, denen man ‚ausgeliefert‘ ist“, so Prof. Sinner. „Davon sollten wir wegkommen und deutlich vermitteln: Wir sind die Möglichmacher, wenn es um die Betreuung rund um die OP geht, wir sind die, die menschliche Intensivmedizin betreiben, Schmerzen lindern, und über weite Strecken die Notfallmedizin managen.“

Viele gute Gründe für Innsbruck

Prof. Sinner war zuletzt stellvertretende ärztliche Direktorin der Universitätsklinik für Anästhesiologie in Regensburg, zuvor an anderen renommierten deutschen Universitätskliniken, bevor sie dem Ruf nach Innsbruck gefolgt ist. Dass diese Funktion aus ihrer Sicht besonders reizvoll ist, dafür nennt die engagierte Anästhesiologin gleich mehrere Gründe. Zum einen biete die universitäre Führungsposition „die Chance, das Fach in Forschung, Lehre und Krankenversorgung zu vertreten“, so Prof. Sinner. „Und ich kann in dieser Position auch dazu beitragen, die Anästhesie und Intensivmedizin weiter zu bringen.“ Zudem vereine die Medizinische Universität Innsbruck „ganz hervorragend meine klinischen und wissenschaftlichen Interessensschwerpunkte, nämlich Neurowissenschaften und Transplantationsmedizin, beides Fächer, die mich schon seit langer Zeit begeistern.“ Zudem stelle es einen besonderen Reiz dar, diesen besonders traditionsreichen Lehrstuhl – den ältesten auf dem europäischen Festland – mit den eigenen Ideen und Konzepten auszugestalten, so Prof. Sinner, die noch einen Aspekt nenne, der die Entscheidung für Tirol leicht gemacht habe: „Außerdem ist Innsbruck eine wunderschöne Stadt mit einer tollen Umgebung, wer möchte da nicht hin? Im Sommer Bergwandern und Klettern, im Winter Langlaufen, da ist jedenfalls für entspannende Momente in einem anspruchsvollen Berufsleben gesorgt.“

Inhaltliche Schwerpunkte

Schwerpunkte im klinischen Bereich sieht die neue Klinikchefin insbesondere in der anästhesiologischen, aber auch intensivmedizinischen Versorgung von komplexkranken Patientinnen und Patienten aller Altersgruppen, von Kindern bis zu hochbetagten Menschen, sowie in der perioperativen Medizin – von der präoperativen Risikoabschätzung und Aufklärung bis hin zur optimalen postoperativen Schmerzversorgung.

„Im wissenschaftlichen Bereich habe ich vor, meine neurowissenschaftlichen Forschungsprojekte fortführen, insbesondere zum großen Themenbereich des Delirs“, sagt Prof. Sinner. „Ich möchte aber auch die zahlreichen und vor allem tollen Arbeitsgruppen und deren Projekte, die es hier in Innsbruck gibt, weiter fördern und unterstützen. Wir haben hier eine große Zahl von Kolleginnen und Kollegen, die wissenschaftlich wirklich nicht nur interessiert, sondern auch sehr versiert sind. Thematisch zeigen die Projekte gut auf, welche Rolle die Anästhesie in der perioperativen Versorgung von Patientinnen und Patienten spielt. Solche Themen sind etwa präoperative Optimierung, Organperfusion, Notfallmedizin, Trauma Gerinnung oder auch Big Data.“

In der Lehre ist es Prof. Sinner ein besonderes Anliegen, „dass wir den Studierenden unser Fach mit seinen unterschiedlichen Säulen nicht nur erklären, sondern ihnen nachvollziehbar und verständlich machen, wie wichtig und hochrelevant unsere Tätigkeit  für die Patientinnen und Patienten ist, von der Betreuung im Notfall über die perioperative und intensivmedizinische Begleitung bis hin zur schmerz- und palliativmedizinischen Versorgung.

Nachwuchs für das Fach begeistern

Für sie selbst sei es unter anderem „die Kombination aus Physiologie, Pathophysiologie und Pharmakologie“ gewesen, die ihrer Ausbildungszeit den Ausschlag gegeben habe, sich für das Fach zu entscheiden,  erinnert sich Prof. Sinner. „Auch die vielfältigen Berührungspunkte mit anderen Fächern und die Möglichkeit und Notwendigkeit, interdisziplinär mit einer Vielzahl anderer Fächer zusammenzuarbeiten, haben mich begeistert.“ Wichtig und prägend seien auch Anästhesistinnen und Anästhesisten gewesen, die sie im Laufe ihres Studiums und ihrer Ausbildung kennengelernt habe, betont Prof. Sinner. Besonders nennt sie hier ihren Doktorvater Prof. Hubert Böhrer, und Prof. Bernhard M. Graf, MSc, Direktor der Klinik für Anästhesiologie in Regensburg.

Die Vielfalt des Fachs, das so viele Möglichkeiten eröffnet, gehört auch zu den wichtigen Argumenten, mit denen Prof. Singer junge Medizinerinnen und Mediziner für das Fach begeistern möchte. „Wir begleiten die Patientinnen und Patienten über eine weite Strecke eines für sie ganz entscheidenden Behandlungswegs und machen die therapeutisch notwendige OP oder Intervention erst möglich“, so die Klinikchefin. „Wir haben es auch mit Patientinnen und Patienten aller Altersgruppen zu tun, von Frühgeborenen bis zu hochbetagten Menschen, das macht die Arbeit spannend. Zudem machen die unterschiedlichen Säulen – die Anästhesie, Intensivmedizin, Notfall- und Schmerzmedizin sowie die Palliativversorgung  – unser Fach besonders vielseitig, sodass nie Langeweile aufkommt und immer eine auch zur aktuellen Lebensplanung passende Tätigkeit gefunden werden kann. Und wichtig ist auch: Kolleginnen und Kollegen, die in der Anästhesie und Intensivmedizin tätig sind, sind tolle Menschen, wie man an meinem neuen Team sieht!“

Die Corona-Krise habe vielen Menschen die große Bedeutung des Fachs aufgezeigt, betont Prof. Sinner. „Da wurde vielen deutlich, dass wir die intensivmedizinische Versorgung eines großen Teils der schwerkranken Patientinnen und Patienten sicherstellen. Das sollte uns auch für unsere anderen Tätigkeitsbereiche gelingen, indem wir die besonders positive Rolle unseres Faches und unserer Kolleginnen und Kollegen sichtbar machen.“

Frauenförderung heißt Sichtbarkeit

Apropos Sichtbarkeit: Auch das Thema Frauenförderung ist der ersten Frau an der Spitze einer österreichischen anästhesiologischen Universitätsklinik ein wichtiges Anliegen. Hier gelte es auch, Missverständnisse auszuräumen: „Auch wenn es gerne mal so dargestellt wird, die Anästhesie und Intensivmedizin ist kein ‚Frauenfach‘, sondern wir  sind ein Fach für alle Geschlechter“, sagt Prof. Sinner, die sich auch in der DGAI in der Kommission Anästhesiologinnen engagiert hat. „Frauenförderung heißt aus meiner Sicht nicht einfach, dass wir Teilzeitmodelle schaffen, sondern dass wir Frauen denselben Karriereweg bieten können wie Männern. Dazu gehört auch, Frauen auf Kongressen ebenso sichtbar zu machen wie bei der Besetzung von Primariaten oder Lehrstühlen.“ (bkb)

Kurzinfo:

Univ.-Prof. Dr. Barbara Sinner schloss ihr Medizinstudium 1997 an der Universität Heidelberg ab, wo sie im Anschluss weiter wissenschaftlich tätig war. Internationale Erfahrungen sammelte sie unter anderem in Australien. 2005 ging Barbara Sinner an die Klinik für Anästhesiologie am Universitätsklinikum Heidelberg, und wechselte 2008 als leitende Oberärztin und stellvertretende Direktorin an die Klinik für Anästhesiologie des Universitätsklinikums Regensburg, wo sie bis zu ihrer Berufung nach Innsbruck tätig war. Zusätzlich zu ihrer klinischen Ausbildung in allen Bereichen der modernen Anästhesie und ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit verfügt Barbara Sinner mit einem Master in Human Ressource Management über besondere Expertise in der Führung von Mitarbeitenden.