Am 20. Juni wird der „Tag der Intensivmedizin“ begangen – ein Anlass, um die Aufgabengebiete und Leistungen dieses wichtigen Spezialgebietes der Medizin aufzuzeigen. Die Corona-Pandemie hat nicht nur in besonderer Weise Österreichs Intensivstationen und ihre Teams vor den Vorhang geholt. Sie hat überdies gezeigt, dass die Versorgung hierzulande im internationalen Vergleich hervorragend aufgestellt ist, dass aber auch bestimmte Schwächen bestehen, die es jetzt zu bearbeiten gilt. Die Lehren aus der Krise bieten auch eine Gelegenheit, die österreichische Intensivmedizin zukunftsfit zu machen, betont die Österreichische Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin und legt ein Positionspapier für diese Debatte vor.
Am 20. Juni wird der „Tag der Intensivmedizin“ begangen. Diese grenzüberschreitende Initiative ist auch für die Österreichische Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) eine Gelegenheit, aufzuzeigen, wie die moderne Intensivmedizin funktioniert und was die Teams an Österreichs Intensivstationen für schwer kranke Patientinnen und Patienten leisten. Jede und jeder kann einmal in die Situation kommen, intensivmedizinische Hilfe zu benötigen: Akute schwere Erkrankungen, etwa aufgrund einer viralen oder bakteriellen Infektion, schwere Unfälle oder große Operationen sind typische Gründe für eine Aufnahme auf einer Intensivstation. Die Corona-Pandemie hat für eine breite Öffentlichkeit das Fach Anästhesie und Intensivmedizin als ein Rückgrat der Spitalsversorgung besonders sichtbar gemacht und das Bewusstsein dafür geschärft, wie wertvoll ausreichende Ressourcen sind, die eine Intensivmedizin auf qualitativ höchstem Niveau gewährleisten.
„Österreich hat, auch im internationalen Vergleich, generell ein hervorragendes Gesundheitssystem, und es ist insbesondere auch gut aufgestellt, was die intensivmedizinische Versorgung betrifft. Diese Ausstattung und das enorme Engagement aller in unserem Fachgebiet tätigen Gesundheitsberufe – oft an der Grenze der Belastbarkeit – waren Vorteile in der Krisenbewältigung,“ sagt ÖGARI-Präsident Prim. Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder, Vorstand der Abteilung für Anästhesie und operative Intensivmedizin am Krankenhaus St. Vinzenz in Zams.
Aktuellen Daten zufolge liegt Österreich im OECD-Vergleich mit 28,9 Intensivbetten pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern nach Deutschland und vor den USA an der Spitze, und zum Beispiel deutlich vor Nachbarländern wie der Schweiz (11,8), Ungarn (11,2) oder Italien (8,6). Österreich verfügte Ende Mai 2021 über 2.057 Intensivbetten (Quelle BMSGPK). Rund 120 Intensivstationen sind in der Versorgung aktiv.
„Trotz unserer Stärken sind gerade in der Pandemie auch strukturelle und personelle Schwächen sichtbar geworden,“ so Prof. Hasibeder. „Jetzt ist es wichtig sicherzustellen, dass die Intensivmedizin nicht nur leistungsfähig bleibt, sondern dass auch an weiteren Optimierungen gearbeitet wird, um für künftige demographische und medizinische Entwicklungen gerüstet zu sein.“ Zur Zukunft der Intensivmedizin hat jetzt die ÖGARI ein Positionspapier erarbeitet, das zeitgerecht zum Tag der Intensivmedizin veröffentlicht (https://www.anaesthesie.news/aktuelles/oegari-positionspapier-die-zukunft-der-intensivmedizin/) wurde.
Absicherung in der Gesundheitsplanung
Starke Veränderungen in der Altersstruktur der Patientinnen und Patienten, die Zunahme der Zahl und Schwere der Vorerkrankungen und die Tatsache, dass erfolgreiche Behandlungen heute auch bei Menschen mit eingeschränkten Leistungsreserven möglich geworden sind, sollten sich in künftigen Anpassungen des Österreichischen Strukturplans Gesundheit (ÖSG) stärker widerspiegeln, heißt es im neuen Positionspapier.
Bei den Struktur- und Qualitätsmerkmalen für die personelle und technische Ausstattung von Intensivbehandlungseinheiten der verschiedenen Kategorien sei eine Nachschärfung erforderlich, so die ÖGARI. „Aus unserer Sicht sind bundesländerübergreifende Mindeststandards für die personelle Ausstattung des gesamten Anästhesiebereichs mit seinen Operationssälen, Aufwachräumen bzw. Holdingareas erforderlich“, erklärt ÖGARI-Präsident Prof. Hasibeder. „Aufwachräume und Holdingareas, in denen im Regelfall die Nachbetreuung von unmittelbar postoperativen Patientinnen und Patienten erfolgt, können, wie wir in der Krise gesehen haben, auch rasch einmal zu intensivmedizinischen Noteinrichtungen umfunktioniert werden. Im aktuellen ÖSG scheinen sie aber nicht einmal auf, die Finanzierung muss daher durch die Krankenhäuser selbst erfolgen. Hier ist eine bessere gesundheitsplanerische und finanzielle Absicherung erforderlich.“
Ausbildung für Medizin und Pflege – Arbeitsbedingungen attraktiv gestalten
Die Herausforderungen der Pandemie habe auch die Notwendigkeit deutlich gemacht, im Krisenfall zusätzliche Personalreserven für die Intensivversorgung mobilisieren zu können, zum Beispiel ärztliches Pflegepersonal aus dem Bereich Anästhesie, wird im Positionspapier betont. „Hier bewährt sich das österreichische Modell, ärztliches Personal in der Intensivmedizin auf der Basis eines Grundlagenfaches wie Anästhesie oder Innerer Medizin auszubilden, statt im Rahmen einer eigenen Facharztausbildung“, sagt Assoc.-Prof. PD Dr. Eva Schaden (AKH Wien/MedUni Wien), Stellvertreterin für den Bereich Intensivmedizin im ÖGARI-Vorstand. Das sichere flexible Einsatzmöglichkeiten von qualifiziertem Personal und die Attraktivität des Fachs für ausreichenden und gut qualifizierten professionellen Nachwuchs. Die pflegerischen Spezialausbildungen in Anästhesie- und Intensivpflege sollten aus Sicht der ÖGARI im Interesse einer Flexibilität zumindest in Teilbereichen über ein gemeinsames theoretisches und praktisches Curriculum verfügen.
Es müssten alle Potenziale genutzt werden, um eine Tätigkeit in der Intensivversorgung attraktiv zu machen, betont Prof. Schaden. „Um die Verbleiberate im Beruf zu erhöhen, ist es erforderlich, die Gesunderhaltung des Intensivpersonals aller Berufsgruppen optimal zu unterstützen, zum Beispiel durch Supervision oder Coaching.“
Patientenwege strukturieren, Intensivdokumentation stärken
Weitere Themen, die im Positionspapier angesprochen werden, sind die Notwendigkeit, Patientinnen- und Patientenwege in die Intensivmedizin und nach dem Intensiv-Aufenthalt noch besser zu strukturieren und die Notwendigkeit einer „erweiterten Intensivdokumentation“. Das bestehende Dokumentationssystem in der Intensivmedizin sollte ausgebaut werden, so das Positionspapier. „Die starke Gerätezentrierung der aktuellen Dokumentation und Finanzierung sollte an die Prinzipien der modernen menschenzentrierten und personalintensiven Intensivmedizin mit weniger Invasivität angepasst werden“, betont Prof. Hasibeder.
Eine optimale Nutzung von Informationstechnologien, Big Data und Künstlicher Intelligenz könnten intensivmedizinische personelle Ressourcen schonen und die Versorgung stärken, betont die ÖGARI ein weiteres wichtiges Zukunftsthema. Smart Monitoring und der Ausbau telemedizinischer Möglichkeiten sind Beispiele dafür. „Ein wichtiger Aspekt ist hier auch die Kommunikation von Intensivpatientinnen und -patienten mit ihren Angehörigen“, sagt Prof. Schaden. „In der Pandemie haben wir rasch Alternativen zum persönlichen Besuch eingesetzt, zum Beispiel Videotelefonie. Diese Optionen sollten nicht nur erhalten, sondern noch weiter professionalisiert werden.“
Diese und weitere Fragen sollten in einem intensiven Austausch mit allen interessierten Kräften diskutiert werden, sagt Prof. Hasibeder. „Die ÖGARI steht jedenfalls bereit, an der weiteren Stärkung und dem Ausbau der Intensivmedizin zentral mitzuwirken.“
Quelle: Pressemitteilung der ÖGARI von 18.06.
Infokasten 1
Die Gesichter der Intensivmedizin
Aus Anlass des „Tages der Intensivmedizin“ werden auf dem Blog der ÖGARI www.anaesthesie.news und auf der Facebook-Seite der Fachgesellschaft www.facebook.com/anaesthesie.news rund um den 20. Juni Bilder und Botschaften aus Österreichs Intensivstationen veröffentlicht. Ein Online-Angebot für Betroffene, Angehörige und Interessierte über die Betreuung auf der Intensivstation findet sich unter https://www.oegari.at/patientenforum.php.
Infokasten 2
Historisches: Die Anfänge der Intensivmedizin
Die Intensivmedizin ist ein vergleichsweise junges medizinisches Spezialgebiet. Der Beginn wird 1952, der damals grassierenden Polioepidemie und der dänischen Hauptstadt Kopenhagen assoziiert. In einem Krankenhaus standen nur eine einzige eiserne Lunge und sechs Cuirass-Beatmungsgeräte zur Verfügung, um Patientinnen und Patienten mit Atemlähmungen zu beatmen. Innerhalb kürzester Zeit entwickelten mehrere hundert meist junge Menschen eine zunehmende Lähmung der Atemmuskulatur. Die medizinische Infrastruktur war überfordert, die Sterberate der Betroffenen lag bei 80 bis 94 Prozent. Auf Initiative von Prof. Henry Lassen wurde bei einem 12-jährigen Mädchen erstmals ein Luftröhrenschnitt durchgeführt, ein Gummischlauch wurde in die Luftröhre eingeführt und das Kind wurde mit einem Handbeatmungsbeutel händisch druckbeatmet. Es wurden Medizinstudierende rekrutiert, um gemeinsam mit Ärzten diese neue Behandlungsmethode durchzuführen. Die Mortalität der schwer erkrankten Poliomyelitis-Patientinnen und -Patienten konnte auf diesem Weg halbiert werden. Dr. Bjorn Ibsen, ein Anästhesist der Universitätsklinik Kopenhagen, hatte die Idee, diese Patientinnen und Patienten gemeinsam in speziellen Räumlichkeiten zu betreuen. Auf diese Weise entstand im Dezember 1953 die erste Intensivstation.
Der erste Lehrstuhl für Anästhesiologie in Österreich – und zugleich im gesamten deutschsprachigen Raum – wurde 1959 in Innsbruck errichtet, an der Wiener Universitätsklinik wurde 1961 das seit 1955 bestehende Extraordinariat für Anästhesiologie in einen Lehrstuhl umgewandelt. Die erste Intensivstation Österreichs entstand 1963 in Wien.