Abteilung für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Krankenhaus St. Vinzenz, Zams, Österreich
Werte Kolleg:innen!
Der AIC 2024 ist vorbei! Es war ein sehr erfolgreicher und wissenschaftlich interessanter Kongress. Persönlich habe ich mich über die vielen Begegnungen und Gespräche mit „alten“ Weggefährt:innen und Freund:innen aus ganz Österreich gefreut. Was mir aber diesmal bei Diskussionen aufgefallen ist, war die Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen in zahlreichen Krankenanstalten.
Kolleg:innen beklagen mangelhafte Wertschätzung durch den eigenen Chef oder die Chefin, die schwierige Zusammenarbeit mit den Kolleg:innen und Mitarbeiter:innen der eigenen – aber auch anderer – Abteilungen, einen entscheidungsträgen, überbordenden Verwaltungsapparat und den zunehmenden Dokumentationswahnsinn in den Krankenhäusern. Es erscheint logisch, dass sich diese Unzufriedenheit letztlich in der allgemeinen „Arbeitsmoral“ aller Berufsgruppen niederschlägt und dies enorme gesundheitsökonomische Auswirkungen haben kann.
Klinische und menschliche Fähigkeiten spielen in Auswahlverfahren oft nur eine untergeordnete Rolle
Persönlich habe ich den Eindruck, dass diese Probleme mit der Größe der Krankenanstalten exponentiell zunehmen. Dafür gibt es aus meiner Sicht zahlreiche Gründe: In großen Krankenanstalten, allen voran Universitätskliniken, werden Abteilungsvorstände hauptsächlich nach der Summe der gesammelten Impact-Punkte, erwählt. Konfliktsituationen zwischen Mitgliedern der Berufungskommissionen beeinflussen zusätzlich das rationale Entscheidungsverhalten hinsichtlich der Kandidat:innenwahl. Daher spielen die klinischen und menschlichen Fähigkeiten der Bewerber:innen im Auswahlverfahren oft genug nur eine untergeordnete Rolle! In benachbarten Ländern, wie etwa in der Schweiz, werden Führungspersönlichkeiten oft einem Praxistest unterzogen: die Person muss unter Aufsicht von Mitgliedern der Bewerbungskommission in der jeweiligen Abteilung praktisch tätig sein. Chirurg:innen müssen operieren, Anästhesist:innen ihr Können im OP und auf der Intensivstation beweisen. Mit dieser Art des Auswahlverfahrens werden sowohl die klinisch-praktischen als auch die empathischen Fähigkeiten einer Bewerberin/eines Bewerbers besser sichtbar.
Alpha-Tiere und Einzelgänger:innen sind in medizinischen Teams entbehrlich
Weitere wichtige Gründe für Unzufriedenheit sind die aufgeblasenen Verwaltungsstrukturen und der zunehmende medizinische Dokumentationswahn, für den teilweise die Gesundheitsämter der Länder, aber auch der Bund verantwortlich gemacht werden müssen. Der Bürokratismus in Krankenhausverbänden verhindert notwendige rasche Anpassungen an die Fortschritte der modernen Medizin. Wichtige Entscheidungen hinsichtlich Geräteanschaffungen und Personalnachbesetzungen werden häufig von Nicht-Mediziner:innen getroffen oder verzögert. Medizinisches Führungspersonal wird in zahlreichen endlosen Sitzungen gebunden und übernimmt unnotwendigerweise immer mehr Verwaltungsaufgaben.
Die verpflichtende medizinische Dokumentation hat ein Ausmaß erreicht, das die praktische Patient:innenversorgung gefährdet. Kolleg:innen verbringen oft mehr Zeit am Computer als bei Patient:innen. Durch eine einheitliche, bundesweite Dokumentation, deren Sinnhaftigkeit ständig überprüft und deren Zeitaufwand strikt limitiert wird, könnten zusätzliche Ressourcen für die Patient:innen-Betreuung geschaffen und die Zufriedenheit der Mitarbeiter:innen deutlich gesteigert werden. Zu guter Letzt wird das Arbeitsklima natürlich auch ganz wesentlich von jeder einzelnen Mitarbeiterin/jedem Mitarbeiter, unabhängig von der Berufsgruppe, mitgestaltet. Alpha-Tiere und Einzelgänger:innen sind in medizinischen Teams entbehrlich! Eine hochwertige Medizin benötigt neben großem Fachwissen Empathie und eine gute Zusammenarbeit innerhalb der Abteilung, aber auch im interdisziplinären Diskurs.
Unser persönlicher Fokus muss immer die Patientin/der Patient sein!
Korrespondenzadresse
Prim. Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder, Abteilung für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Krankenhaus St. Vinzenz Zams, Österreich walter.hasibeder@krankenhaus-zams.at
Interessenkonflikt. W. Hasibeder gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Hinweis des Verlags. Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Anästhesie Nachr 2025 · 7:2–3 https://doi.org/10.1007/s44179-025-00273-7Angenommen: 10. Januar 2025
Online publiziert: 29. Januar 2025 © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH Austria, ein Teil von Springer Nature 2025
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