Am Donnerstag, den 16. Jänner 2020, fand eine spannende Podiumsdiskussion zum Thema „Wie viel Selbstbestimmung ist noch gesund? – Medizin zwischen Fürsorge und Selbst-Verantwortung“ im Veranstaltungssaal der neuen, wunderschön gestalteten Stadtbibliothek in Innsbruck statt. Organisiert wurde diese Veranstaltung vom WuV (Arbeitskreis für Wissenschaft und Verantwortung; wuv.uibk.ac.at), einem Gemeinschaftsprojekt der Leopold-Franzens-Universität, der medizinischen Universität Innsbruck, des Management Center Innsbruck und der ÖH, die sich unter anderem die Fortbildung zu gesellschaftlich wichtigen Themen auf wissenschaftlich fundierter Basis auf ihre Fahnen geschrieben haben.

Gedankenanstoß zu dieser Diskussion war das Einleitungs-Statement, das die Betreuung erkrankter Menschen als einen individuellen und emotionalen Prozess für alle Beteiligten darstellt, der Vertrauen, gegenseitiges Verständnis und Respekt verlangt. Die Veränderung des Verhältnisses zwischen Ärztinnen und Ärzten, Pflegerinnen und Pfleger, Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörigen und Stellvertretenden sowie auch die geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Zeitmangel setzen Grenzen der Machbarkeit, während gleichzeitig die Ansprüche und Erwartungen der Patientenschaft und ihrer Angehörigen/Stellvertretern wachsen. Wie Kommunikation und Aufklärung gelingen können, ob rechtliche Grundlagen wie das neue Erwachsenenschutzgesetz oder das Patientenverfügungsgesetz hier Abhilfe schaffen können und ob wir ein neues Verständnis von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung brauchen, wurde zunächst von den DiskussionsteilnehmerInnen am Podium Prof. Dr. Barbara Friesenecker (Anästhesistin und Intensivmedizinerin), Prof. Georg Gasser (Theologe und Philosoph), Prof. Michael Ganner (Jurist und Vorstand des Instituts für Zivilrecht) sowie Dr. Elisabeth Medicus (Palliativmedizinerin und ehemalige Leiterin des Hospiz in Tirol) unter der Moderation von Prof. Gabriele Werner-Felmayer, unter anderem Mitglied der österreichischen Bioethik Kommission aus ihrer fachspezifischen Sicht diskutiert.

Es entspannt sich in Folge eine rege und sehr intensive Diskussion mit den rund 170 am Thema sehr interessierten Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die Fragen zum ärztlichen Umgang mit den Wünschen und Ansprüchen von Patientinnen und Patienten im Umfeld moderner, sehr technisch orientierter Medizin, waren teils sehr persönlich und kritisch und hinterfragten den oft krassen Gegensatz zu einer am Patienten orientierten, menschlichen Medizin – vor allem im Falle von schwerer und unheilbarer Erkrankung am Ende des Lebens.  Prof. Friesenecker erklärt, dass man Patientinnen und Patienten die Beschwerlichkeiten einer Intensivtherapie nur dann zumuten darf, wenn ein kleines grünes Licht am Ende des Tunnels der Behandlung steht. Therapien zu machen nur, weil sie technisch möglich sind, ohne dass Patienten auf Grund Ihrer Erkrankung noch einen wirklich Nutzen hat, führt zu chronisch kritischer Erkrankung als Folge dieser Übertherapie. Dies schadet am meisten Patienten selbst. Futility (Sinnlosigkeit) ist der häufigste Grund für Burnout bei behandelnden medizinischen Teams. Angehörige leiden nach Wochen der Begleitung auf Intensivstationen oft an einem schweren posttraumatischen Stresssyndrom mit Angst, Depressionen und Schlafstörungen. Schlussendlich entsteht durch diese Art der modernen Medizin auch im Sinne der Verteilungsgerechtigkeit ein erheblicher gesellschaftlicher Schaden. Die Anwesenden gingen schlussendlich mit der klaren Message nach Hause, dass Vermeidung von Übertherapie und nicht an den Wünschen und Wertvorstellungen von Patienten orientierter Therapie nur dann möglich ist, wenn die Stärkung des Rechts auf Selbstbestimmung, was Sinn des seit Juli 2018 gültigen, neuen Erwachsenenschutzgesetzes ist, von Patienten aktiv umgesetzt wird, indem man rechtzeitig eine Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht errichtet. Damit ist vorgesorgt für den Fall, dass die Patientin oder der Patient nicht mehr für sich selbst sprechen kann. Wünsche und Wertvorstellungen sind den behandelnden Teams bekannt und Stellvertreterinnen und Stellvertreter können den mutmaßlichen Willen in die ärztliche Diskussion einbringen und darauf achten, dass der Wille des Patienten umgesetzt wird, was Übertherapie und chronisch kritische Erkrankung mit der Folge einer schweren Pflegebedürftigkeit, die sich niemand wünscht, vermeiden hilft.

Nach eineinhalb Stunden intensiver Diskussion wird der offizielle Teil der Veranstaltung zeitgerecht beendet. Es gibt aber für alle Teilnehmenden, die sich vor großem Publikum nicht zu Wort melden wollten, noch die Möglichkeit, persönlich mit den Referentinnen und Referenten zu sprechen – ein Angebot, das für eine weitere Stunde sehr gerne angenommen wird. Schlussendlich gehen alle mit dem Gefühl nach Hause, wichtige und lebensentscheidende Dinge besprochen zu haben. Die weitere Diskussion dieser und ähnlicher Inhalte im Rahmen einer Folgeveranstaltung in nicht allzu ferner Zukunft wird sowohl von den Organisatoren als auch den Referenten als unbedingt notwendig erachtet.