Die NÖ Ärztekammer hat unter dem Titel „Alarm: Notärztemangel mittlerweile dramatisch“ am 12. August 2022 eine Presseinformation veröffentlicht, die mehr als seltsam anmutet. Nicht nur, dass hier mangelnde Visitentätigkeit der Hausärzte mit der notärztlichen Versorgung vermengt wird. Einen Notarztmangel in einem Land, das über 32 NEF und bis zu 6 NAH Stützpunkte verfügt zu postulieren, mutet doch eher seltsam an.
Die Ursachen werden in der Überalterung der Notärzte gesehen: „Es gehen seit einigen Jahren mehr Notärztinnen und Notärzte in Pension als neue nachkommen.“ Und zudem wird behauptet: „„Der Grund dafür ist u.a. eine Änderung der Ausbildung, die seither extrem aufwendig geworden ist. Insbesondere der erstmalige Zugang zum Notarztsystem für bereits berufsberechtigte Ärztinnen und Ärzte ist massiv erschwert: … nach der dreieinhalbjährigen Ausbildung zum Allgemeinmediziner bzw. der sechsjährigen Ausbildung zum Facharzt (brauche es, Anm.) weitere drei Jahre auf einer Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin, um das Dekret zum Notarzt bzw. der Notärztin zu erhalten.“ Darüber hinaus werden Forderungen nach besserer Bezahlung, einer „Bündelung der Stützpunkte“ und vermehrtem Einsatz der Telemedizin erhoben.
Die Sektion Notfallmedizin der ÖGARI möchte dazu wie folgt Stellung nehmen:
NÖ hat ohne Zweifel ein Problem mit der medizinischen Versorgung im Akutbereich – diese liegen jedoch vor allem in der mangelnden Verfügbarkeit (haus-)ärztlicher Visitentätigkeit.
Nicht jeder „Notfall“ – besser Akutfall – braucht nämlich einen Notarzt: eine notärztliche Versorgung ist definitionsgemäß für schwer verletzte oder erkrankte Patienten vorgesehen. Die auch als vorgelagerte Schockräume oder Intensivstationen bezeichneten Notarztmittel sollen nicht die Visite des Hausarztes oder eine sanitätsdienstliche Versorgung bzw. den Krankentransport ersetzen, sondern eben ausschließlich jenen Patienten vorbehalten sein, die dringend der ärztlichen Hilfe bedürfen. Dafür hält Niederösterreich aktuell 32 bodengebundene Systeme und bis zu 6 Notarzthubschrauber (davon ein Standort auch nachts!) vor. Hier von einem Mangel zu sprechen, ist nachgerade absurd.
Richtig ist, dass die Bezahlung der Notärzte mit € 55,- pro Stunde weder deren Qualifikation, noch ihrer Verantwortung entspricht. Dies hat aber die NÖ Notärzteschaft bis heute nicht davon abgehalten, für die Bürger und Bürgerinnen dieses Bundeslandes da zu sein … auch wenn ab und an ein einzelner Stützpunkt nicht besetzt werden konnte.
Interessant wäre in diesem Zusammenhang die Antwort auf die Frage, wie viele niedergelassene Kolleg*innen heute noch bereit sind, in der Nacht oder am Wochenende auszurücken, wenn ein Patient oder eine Patientin ihrer Hilfe bedarf.
Grundlegend falsch ist hingegen die Behauptung, dass die notärztliche Ausbildung nach Absolvierung der Ausbildung zum Allgemeinmediziner oder Facharzt drei Jahre an einer Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin erfordert. Im Gegenteil: seit der Ausbildungsreform können junge Kolleg*innen bereits 33 Monate nach ihrer Promotion zum Dr.med., also VOR Abschluss ihrer Ausbildung zum Allgemeinmediziner oder Facharzt notärztlich tätig werden (früher: 36 Monate). Voraussetzung ist allerdings (und das ist neu), dass sie die wesentlichen Kompetenzen der Notfallversorgung schwerstkranker oder –verletzter Patienten, wie etwa die Behandlung von lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen, Narkoseeinleitung und Atemwegssicherung, Wiederbelebungsmaßnahmen etc. unter Anleitung von Fachärzten nachweislich erlernt haben und zumindest 20 (ja, wirklich nur 20) Notarzteinsätze unter Supervision durch einen erfahrenen Notarzt absolviert haben müssen.
Was, bitte, möchte die Ärztekammer hiervon streichen, damit die (Zitat) „Bevölkerung in Niederösterreich bei einem Notfall darauf vertrauen kann, von höchstqualifizierten Ärztinnen und Ärzten erstversorgt und erstbehandelt zu werden?
Ein Kernproblem, welches die niederösterreichische Notfallmedizin hat (und nicht nur diese, dies ist ein Phänomen, das in ganz Österreich zu beobachten ist), ist eine überbordende Anzahl an nicht indizierten Einsätzen. So gibt es Standorte, an denen in einem Drittel der Fälle der alarmierte Notarzt noch während der Anfahrt wieder storniert wird, und wo bei den verbleibenden 70% in mehr als der Hälfte ebenfalls keinerlei ärztliche Handlung notwendig ist. Dies frustriert natürlich engagierte Ärzte, die gerne zu Notfällen ausrücken, aber nicht als „akademischer Krankentransport“ eingesetzt werden wollen. In Zeiten eines generellen Ärztemangels scheint es nicht opportun, für derartige Frustration zu sorgen: an Arbeitsplätzen für engagierte Kolleg*innen mangelt es nämlich nicht.
Um diesem Problem zu begegnen, erarbeitet die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin als notärztliche Fachgesellschaft übrigens gerade jetzt mit Vertretern der Rettungsorganisationen, Leitstellen, der Patientenanwaltschaft, der Österr. Gesellschaft für Ethik und Recht in der Notfallmedizin, der Wiener Berufsrettung und anderen mehr ein Positionspapier, welches u.a. auch die Kriterien für einen Notarzteinsatz spezifiziert.
Dass die Telemedizin mittlerweile auf dem Vormarsch ist, ist Fakt – hier gibt es bereits viele interessante und durchaus erfolgreiche Projekte in ganz Europa. Dabei unterstützen erfahrene Notärzte, die via Webcam und Datenübertragung der Notfallmonitore in das Geschehen vor Ort eingebunden werden, (Notfall-)Sanitäter bei der Behandlung von Patienten. Ein guter Ansatz, den man weiterverfolgen wird. Nicht verhehlt werden darf dabei, dass es hier natürlich auch einer entsprechenden Qualifikation des Sanitätspersonals bedarf: so dauert die Ausbildung eines Notfallsanitäters in Deutschland drei Jahre, und ist mittlerweile ein anerkanntes Berufsbild. Davon sind wir in Österreich noch ein gutes Stück entfernt ….
Die ÖGARI möchte die NÖ Ärztekammer einladen, sich fachliche Unterstützung für das sehr ehrenvolle Bemühen um eine Verbesserung der Akutversorgung zu holen. Es ist jedoch mehr als kontraproduktiv, auf Basis unrichtiger Behauptungen Unsicherheit zu verbreiten, um mediale Aufmerksamkeit zu erregen.
Prim. Univ.-Prof. Dr. Helmut Trimmel MSc
Leiter der Sektion Notfallmedizin der ÖGARI