Für schockierte Reaktionen sorgten zuletzt Berichte, wonach in Kroatien angeblich schmerzhafte gynäkologische Eingriffe ohne Anästhesie durchgeführt werden. Zu derartigen Operationen zählen den Berichten zufolge etwa Kürettagen, Plazentaentfernungen oder Dammschnitte.
„Sollten diese Berichte zutreffen, dass derartige Eingriffe ohne die Expertise von Anästhesiologinnen und Anästhesiologen durchgeführt werden, wäre dies eine Verletzung der Unversehrtheit von Frauen und eine im Höchstmass unethische Vorgangsweise”, sagt Univ.-Prof. Dr. Klaus Markstaller, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) und Leiter der Universitätsklinik für Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerzmedizin (Medizinische Universität Wien/AKH Wien). Es gebe keinerlei fachliche Rechtfertigung für ein derartiges Vorgehen, so der ÖGARI-Präsident. “Dass das in Österreich heute undenkbar ist, steht ausser Frage. Allerdings beschäftigen wir uns seit langem über unsere engeren fachlichen Grenzen hinaus mit ethischen Fragestellungen, und das aktuell zitierte Beispiel zeigt auch, wie wichtig das ist.”
Erst kürzlich hat die ÖGARI ihr Ethik-Manifest veröffentlicht, das sich für eine menschliche Medizin stark macht. “Es ist unser Versprechen an unsere Patientinnen und Patienten, ihr Wohl und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt unseres Handelns zu stellen”, sagt Prof. Markstaller. “Kolleginnen und Kollegen anderer Fächer und Gesundheitsberufe laden wir ein, diese Werte zu unterstützen und gemeinsam zu leben.”
Gefordert wird in dem sieben Punkte umfassenden Manifest unter anderem, der Zuwendungsmedizin genügend Zeit einzuräumen. Betont wird auch, dass es ein Gebot der Stunde sei, mit knappen Ressourcen effizient umzugehen — es dürfe aber nicht an der menschlichen Arbeitskraft gespart werden, wo sie nötig ist. Gefordert wird auch ein solidarisches und bedarfsgerechtes Gesundheitssystem: Der medizinische Fortschritt und die breite Palette diagnostischer und therapeutischer Möglichkeiten solle allen Patientinnen und Patienten zugutekommen, die davon profitieren können – unabhängig von Alter, Geschlecht, Einkommen, Wohnort, ethnischer oder nationaler Zugehörigkeit. Es müsse außerdem sichergestellt sein, so das ÖGARI Manifest, dass medizinisch Notwendiges und Zweckmäßiges in jedem Fall durchgeführt werden kann. Diagnostische oder therapeutische Entscheidungen dürfen nicht von wirtschaftlichen Kriterien abhängen. Gleichzeitig muss auch jede Maßnahme daraufhin überprüft werden, welche Patientennutzen sie bringt.
Das ÖGARI Ethik-Manifest für eine menschlichere Medizin ist kürzlich in der Wiener Medizinischen Wochenschrift erschienen: https://www.springermedizin.at/oegari-ethik-manifest-fuer-eine-menschlichere-medizin/16580628