In der COVID-19-Pandemie kamen und kommen in vielen Ländern die intensivmedizinischen Einrichtungen immer wieder an ihre Belastungsgrenzen. Aktuelle wissenschaftliche Studien in JAMA Network Open (1) und Anaesthesia (2) zeigen einerseits den offenbaren „Lerneffekt“ der Intensivmedizin in der Behandlung von schwer kranken COVID-19-Patientinnen und -Patienten, andererseits die Abhängigkeit des Behandlungsergebnisses von der Beanspruchung bzw. Überbeanspruchung der ICUs.
Univ.-Prof. Dr. Tim Cook (Royal United Hospitals Bath NHS Foundation Trust) und Co-Autorinnen und -Autoren haben bereits im Sommer vergangenen Jahres einen internationalen systematischen Review plus Meta-Analyse von Beobachtungsstudien zur Mortalität von COVID-19-Patientinnen und -Patienten auf Intensivabteilungen begonnen. Jetzt ist in Anaesthesia eine Folgeuntersuchung auf breiterer Datenbasis und mit aktualisierten Auswertungen erschienen.
Sinkende ICU-Mortalität
„Die vorangegangene Meta-Analyse von Cook et al., die im Juli 2020 veröffentlicht worden ist, kam zu dem Schluss, dass die Mortalität von COVID-19-Patientinnen und -Patienten auf ICUs von fast 60 Prozent Ende März 2020 auf 42 Prozent Ende Mai 2020 gefallen ist. Das war eine relative Abnahme um rund ein Drittel. Die neue Analyse zeigt, dass in Studien bis Ende Oktober 2020 die Mortalität weiter auf 36 Prozent gesunken ist. Die Situation bessert sich also weiterhin, das Tempo bei diesen Fortschritten hat sich aber deutlich verlangsamt“, teilte Anaesthesia in einer Aussendung am 1. Februar mit.
Insgesamt haben die Autorinnen und Autoren mittlerweile 52 Beobachtungsstudien mit 43.128 COVID-19-Patientinnen und -Patienten aus allen Weltregionen für ihre neue Publikation ausgewertet. „Insgesamt war die Mortalität in allen Studien Ende September 2020 geringer (35,5 Prozent) als wir es für den Zeitraum bis Ende Mai (41,6 Prozent) publiziert haben – und das bei Aufnahme von mehr Studien aus mehr Ländern und einem weiteren geografischen Spektrum über einen längeren Zeitraum hinweg. Wir haben also jetzt ein besseres Bild als in den ersten Monaten der Pandemie“, schreiben die Autorinnen und Autoren.
Das dürfte mit der oft zitierten „Lernkurve“ in der Behandlung von intensivpflichtigen an COVID-19 Erkrankten zu tun haben. Anfang Juni wurden beispielsweise die ersten Daten über den Effekt von Corticoiden bei in der Intensivtherapie von COVID-19 veröffentlicht. Auch erst im Laufe der Zeit gab es die Studien zur Unwirksamkeit von Hydroxychloroquin, Azithromycin, Lopinavir/Ritonavir und zum adäquaten, eventuellen frühen Einsatz von Remdesivir. Was die Autoren weiter anmerken: Natürlich wurde auch im Beatmungsmanagement, im Flüssigkeitsersatz und in der Antikoagulation bei diesen Patientinnen und Patienten dazugelernt.
Einige der in der Publikation angeführten Daten:
– Registeranalysen zeigen offenbar eine geringere COVID-19-ICU-Mortalität (25,7 Prozent) als andere Studien (36,8 Prozent).
– In 24 ausgewerteten Untersuchungen aus Europa fand sich eine COVID-19-ICU-Mortalität von 33,4 Prozent (Nordamerika, 10 Studien: 40,0 Prozent; Naher Osten und Nordafrika mit 4 Studien: 61,9 Prozent; Südasien mit 1 Studie: 16,7 Prozent und Ozeanien mit ebenfalls einer Studie: 10,6 Prozent).
– Ein „Ausreißer“ ist offenbar eine Registauswertung in der Region von Melbourne in Australien mit einer ICU-Mortalität von nur 11 Prozent, während im Nahen Osten eben 62 Prozent registriert wurden.
– Wendel, Garcia et al. (3) haben vergangenes Jahr eine Analyse aus dem europäischen RISC-ICU-Register (unter anderem Schweiz, Spanien, Italien, Frankreich, Deutschland etc.) mit 398 ICU-Patientinnen und -Patienten mit schwerem COVID-19-Krankheitsverlauf veröffentlicht. Sie publizierten eine Mortalität von 24,4 Prozent.
– Das deutsche Robert-Koch-Institut kam für den Zeitraum von 1. Jänner 2020 bis 22. Oktober 2020 bei insgesamt 19.229 ICU-Patientinnen und -Patienten wegen COVID-19 (4.443 Verstorbene) auf eine Mortalität von 23,1 Prozent.
Die Autorinnen und Autoren: „Unsere Analyse umfasst allerdings nur Studien und Analysen bis zum Oktober 2020. Seither sind mehrere Virusmutationen aufgetaucht, die den Verlauf der Pandemie bis in den Dezember 2020 und den Jänner 2021 hinein verändert haben. Das hat die Inanspruchnahme der Intensivabteilungen in den betroffenen Regionen erhöht und bedarf weiterer Analysen in der Zukunft.“
Mehr Auslastung bzw. mehr Stress führt zu höherer Mortalität
Je größer die Auslastung bzw. Überbelastung von Intensivabteilungen ist, desto höher ist auch die COVID-19-Mortalität. Dawn M. Bravata haben dazu in JAMA Network Open (1) eine Studie mit der Analyse der Daten von 8.516 Patientinnen und Patienten an 88 Spitälern des US-Department of Veterans Affairs Hospitals veröffentlicht. 8.014 von ihnen waren Männer, das mittlere Alter betrug 67,9 Jahre.
Auch in dieser Studie zeigte sich für die in die Krankenhäuser der US-Veteranenbehörde eine mit dem Fortlaufen der Pandemie geringer werdende Mortalität: 22,9 Prozent im März 2020, 25,0 Prozent im April, aber nur noch 15,5 Prozent im darauf folgenden Mai. Im Juni lag die Mortalität bei 13,6 Prozent, im Juli bei 12,5 Prozent und im August bei 12,8 Prozent. Auch hier könnte eine „Plateaubildung“ erfolgen.
Doch die Prognose der Patientinnen und Patienten auf den Intensivstationen hängt laut dieser Studie offenbar vom Grad der Belastung der Abteilungen mit an COVID-19 Erkrankten ab. Die Autorinnen und Autoren: „Patientinnen und Patienten mit COVID-19, die auf ICUs während Zeiten einer höheren Inanspruchnahme von Intensivstationen versorgt wurden, wiesen eine höhere Mortalität auf als während Perioden mit weniger Belastung der Abteilungen (<25 Prozent der COVID-19-Patienten benötigen ICU).“
Einige Beispiele aus den publizierten Daten: Bei COVID-19-Auslastung der ICU von 25 bis 50 Prozent war das Mortalitätsrisiko um 10 Prozent erhöht, bei einer 50- bis 75prozentigen Auslastung durch COVID-19-Patientinnen und Patienten war das Mortalitätsrisiko um 15 Prozent erhöht. Bei einem Überbelag (>100 Prozent war das Mortalitätsrisiko um mehr als das Doppelte höher.
Daraus lassen sich laut den Autorinnen und Autoren und auch laut einem Kommentar von Lewis Rubinson (Morristown Medical Center, Atlantic Health System) zwei Schlüsse ziehen: Erstens sollte alles daran gesetzt werden, um die Kurve bei den SARS-CoV-2-Infektionen und in der Folge bei den Erkrankungen so flach zu halten, dass die Intensivabteilungen nicht überbelastet werden. Zweitens sollten Patientinnen und Patienten mit schwerem COVID-19-Verlauf auf ICUs so verteilt werden, dass ein Überbelag bzw. eine sehr hohe Auslastung möglichst vermieden wird. (ÖGARI-Redaktionsteam/Wiolfgang Wagner).
(1) Dawn M. Bravata et. al. In: JAMA Network open: Association of Intensive Care Unit Patient Load and Demand With Mortality Rates in US Department of Veterans Affairs Hospital During the COVID-19 Pandemic)
(2) R. A. Amstrong et. al. In: Anaesthesia 2021: Mortality in patients admitted to intensive care with COVID-19: an updated systematic review and meta-analysis of observational studies 1.2.2021;
(3) Wendel Garcia PD, Fumeaux T, Guerci P, et al. Prognostic factors associated with mortality risk and disease progression in 639 critically ill patients with COVID?19 in Europe: initial report of the international RISC?19?ICU prospective observational cohort. EClinicalMedicine 2020; 25: 100449.
(4) Robert Koch Institute. Coronavirus disease 2019 (COVID?19) daily situation report of the Robert Koch Institute, 22nd Oct 2020. 2020. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Okt_2020/2020?10?22?en.pdf?__blob=publicationFile