ÖGARI Präsident elect Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder (Zams) hat – wie er dies seit Beginn der Krise auf regelmäßiger Basis gemacht hat – für den ÖGARI-Blog neuerlich interessante aktuelle Arbeiten zu SARS-CoV-2 bzw. COVID-19 ausgewählt und kommentiert. Diesmal neue Ergebnisse zu Redemsivier; eine Arbeit zur Dreifach- Kombination aus Interferon beta-1b, Lopinavir-Ritonavir und Ribavirin und Datem zum Einsatz von Tocilizumab.
Redemsivir zur Behandlung von COVID19 – erste positive Ergebnisse
Beigel JH et al (NEJM 2020; doi: 10.1056/NEJMoa2007764) veröffentlichten eine prospektive, randomisierte, doppelt-blinde Studie, in der die intravenöse Gabe von Redemsivir mit der Gabe eines Placebo bei an COVID-19 Erkrankten verglichen wurde. Das Virostatikum Redemsivir wird nach der Aufnahme in den Körper in ein Adenosin-Analogon für die virale, RNA-abhängige RNA-Polymerase umgewandelt und blockiert als „falsches“ Nucleosid die exakte Abschrift der viralen RNA.
Zwischen 21. Februar und 19. April 2020 wurden an 60 Studienzentren in der ganzen Welt insgesamt 1.063 Patientinnen und Patienten rekrutiert und in einem 1:1 Verhältnis den beiden Studienarmen Redemsivir(n= 541) und Placebo (n=522) zugeordnet. Redemsivir wurde am ersten Tag in einer Dosis von 200mg iv. verabreicht. In weiterer Folge wurden 100mg bis zum 10. Tag, der Entlassung aus dem Krankenhaus oder bis zum Tod der Erkrankten infundiert. Die weitere Therapie erfolgte nach den Richtlinien des jeweiligen Studienzentrums. Wegen Nebenwirkungen, Rückzug der Einverständniserklärung oder vorzeitigem Versterben haben insgesamt 391 Patienten in der Redemsivir– und 340 Patienten in der Placebo-Gruppe die Studie beendet.
Das mittlere Patientenalter betrug 58,9 Jahre; 64,3 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren Männer; fast 80 Prozent der Erkrankten wurden in Studienzentren in den USA rekrutiert. 27 Prozent litten an einer, 52,1 Prozent an zwei Vorerkrankungen. Die häufigsten waren Hypertension (49,6 Prozent), Adipositas (37 Prozent) und Typ-2 Diabetes (29,7 Prozent). Die mediane Zeitspanne zwischen Beginn der Symptomatik und der Randomisierung betrug 9 Tage (IQR: 6-12 Tage).
Tabelle 1 charakterisiert die Erkrankungsschwere der eingeschlossenen Patienten
Erkrankungsschwere | Redemsivir n (%) | Placebo n (%) |
mild keine Sauerstofftherapie notwendig | 67 (12,4%) | 60 (11,5%) |
moderat Sauerstofftherapie | 222 (41%) | 199 (38,1%) |
moderat bis schwer HF-Sauerstofftherapie oder nicht-invasive Beatmungstherapie | 98 (18%) | 99 (18,9%) |
schwer invasive Beatmung oder ECMO | 125 (23%) | 147 (28,2%) |
Patientinnen und Patienten der Redemsivir–Gruppe erholten sich rascher von der Erkrankung (Median: 11 Tage versus 15 Tage). Diese Effekte waren am deutlichsten bei mild und modert Erkrankten zu beobachten. Bei invasiv beatmeten Patienten oder Patienten an der ECMO war kein signifikanter Effekt in der Erholungszeit zu beobachten. Die Mortalität war zwar numerisch in der Redemsivir–Gruppe, über alle Patienten betrachtet, etwas geringer als in der Placebo-Gruppe aber dieser Unterschied war statistisch nicht signifikant. Schwere Nebenwirkungen wurden bei 114 Patienten (21,1 Prozent) der Redemsivir–Gruppe aber auch bei 141 Patienten (27Prozent) der Placebo-Gruppe berichtet. Keine der berichteten Nebenwirkungen war mit plötzlichem Versterben der Patienten assoziiert.
Redemsivir hat, im Vergleich zu Placebo vor allem bei mild bis moderat erkrankten COVID-19- Patientinnen und -Patienten den klinischen Verlauf der Erkrankung um median 4 Tage verkürzt. Dieser Effekt war am deutlichsten bei Personen unter Sauerstofftherapie. Die Zahl der Todesfälle in der Placebo-Gruppe war zwar numerisch etwas höher als in der Redemsivir-Gruppe – aber dieses Ergebnis waren statistisch nicht signifikant. Bei invasiv beatmeten Patienten und Patienten unter ECMO Therapie zeigte Redemsivir keine signifikanten Effekte auf den klinischen Verlauf oder die Mortalität.
Persönlich werte ich diese Ergebnisse vorsichtig optimistisch. In Zusammenschau mit anderen Untersuchungen zeigt sich immer mehr, dass eine frühzeitige Gabe von Redemsivir, vor dem Ausbruch der schwersten Symptome der COVID-19-Erkrankung, den klinischen Verlauf der Erkrankung abmildern kann. Allerdings würde ich auf Grund der Datenlage auf den Einsatz von Redemsivir bei beatmeten Intensivpatienten derzeit verzichten.
Redemsivir für 5 oder 10 Tagen bei SARS-Co-2 – eine randomisierte offene Untersuchung
In der gleichen Ausgabe des New England Journal of Medicine vergleichen Goldman JD et al (NEJM 2020; doi: 10.1056/NEJMoa2015301) in einer randomisierten, offenen Phase-3-Studie die Wirksamkeit einer 5-tägigen im Vergleich zu einer 10-tägigen Behandlung mit Remdesivir bei Patientinnen und Patienten mit nachgewiesener SARS-CoV-2 Infektion. Diese wurden zwischen dem 22. und 26. März 2020 in insgesamt 55 Behandlungszentren rekrutiert. Die Erkrankten mussten, vor Studieneinschluss, neben einer nachgewiesenen Infektion (PCR-Diagnostik) entweder eindeutige pneumonische Lungeninfiltrate oder eine Sauerstoffsättigung bei Raumluft von 94 Prozent oder weniger aufweisen. Beatmete Patienten oder Patienten an der ECMO, Patienten mit erhöhten Leberenzymen oder einer glomerulären Filtrationsrate < 50ml/min wurden von der Studie ausgeschlossen. Am ersten Tag wurde Redemsivir in einer Dosis von 200mg iv verabreicht; an nachfolgenden Tagen mit 100mg iv. Das primäre Studienziel war eine Verbesserung des klinischen Status um mindestens 2 Punkte gemessen anhand einer 7 Punkte Befindlichkeitsskale die wie folgt definiert ist:
KLINISCHER STATUS | PUNKTE |
Tod | 1 |
benötigt invasive mechanische Beatmung | 2 |
benötigt nicht-invasive Beatmungsformen oder „high flow“ Sauerstoffsysteme | 3 |
benötigt „Niederfluss“ Sauerstoffsysteme | 4 |
benötigt keinen Sauerstoff, aber sonstige medizinische und pflegerische Versorgung | 5 |
hospitalisiert aber weder von medizinischen noch von pflegerischen Maßnahmen abhängig | 6 |
nicht hospitalisiert | 7 |
Von den ursprünglich 408 für die Studie rekrutierten Patientinnen und Patienten erhielten 200 Personen Redemsivir für 5 Tage und 197 Patienten für 10 Tage.
Tabelle 2 fasst einige der demographischen und klinischen Daten der Patienten in den beiden Gruppen, zum Zeitpunkt der Randomisierung zusammen
Charakterisierung | 5 Tage Gruppe | 10 Tage Gruppe |
Alter Median (IQR) | 61 (50-69) | 62 (50-71) |
Männeranteil (%) | 60 | 68 |
Diabetes n (%) | 47 (24) | 43 (22) |
Hyperlipidämie n (%) | 40 (20) | 49 (25) |
Art. Hypertension n (%) | 100 (50) | 98 (50) |
Asthma n (%) | 27 (14) | 22 (11) |
Klinischer Status (7 teilige Skala) | ||
Invasive mechanische Beatmung/ECMO | 4 (2) | 9 (5) |
Nicht invasive Beatmung/HFO | 49 (24) | 60 (30) |
Low flow Sauerstoff | 113 (56) | 107 (54) |
Kein Sauerstoff aber medizinische Behandlung | 34 (17) | 21 (11) |
65 Prozent der Patienten in der 5-Tages-Gruppe und 54 Prozent in der 10-Tages-Gruppe zeigten in einem Beobachtungszeitraum von 2 Wochen eine klinische Statusverbesserung um mindesten 2 Punkte. Nach Berücksichtigung der Vorerkrankungen und höheren Erkrankungsschwere der Personen in der 10-Tages-Gruppe fand sich statistisch kein Unterschied im primären Outcome verglichen mit den Patienten aus der 5-Tages-Gruppe.
Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen keinen Unterschied in der klinischen Verbesserung zwischen einer 5- bzw. 10-tägigen Therapie mit dem Virostatikum Redemsivir. Die beobachtete klinische Verbesserung wurde vor allem bei leicht bis moderat an SARS-CoV-2 erkrankten Personen beobachtet. Ursprünglich waren Patienten mit invasiver mechanischer Beatmung oder ECMO-Therapie von der Studie ausgeschlossen. Dennoch wurden 7 Patienten, die unmittelbar nach Randomisierung beatmungspflichtig geworden sind, in der Studie belassen. Über mögliche Effekte von Redemsivir in dieser Gruppe können keinerlei Aussagen getätigt werden.
Aus meiner Sicht hätte unbedingt eine Kontrollgruppe mit aufgenommen werden müssen. Leicht beziehungsweise modert erkrankte Patienten bessern sich meist spontan im angegebenen Beobachtungszeitraum, ohne dass es einer spezifischen antiviralen Therapie bedarf.
Eine dreifach Kombination aus Interferon beta-1b, Lopinavir-Ritonavir und Ribavirin in der Behandlung von hospitalisierten COVID-19 Patienten
Sowohl Lopinavir-Ritonavir als auch verschiedene Interferone haben in vitro eine moderate Aktivität gegen das SARS-CoV-1 und das MERS Virus. Im Jahr 2003, während des SARS-Ausbruchs in China, konnte in einer Studie eine Mortalitätsreduktion durch eine Kombinationstherapie von Lopinavir-Ritonavir zusammen mit dem Virostatikum Ribavirin gezeigt werden. Auch bei Patienten mit schwerer Influenzaerkrankung und hoher Virusbelastung war eine Kombination verschiedener Virostatika in zumindest 2 Untersuchungen der Gabe einer Substanz überlegen.
In dieser Phase-2-Studie von Ngai-Hung IF et al (Lancet 2020; doi: 10.1016/50140-6736(20)31042-4) wurde eine Kombinationstherapie bestehend aus Lopinavir-Ritonavir, Ribavirin und Interferon beta-1b einer alleinigen Therapie mit Lopinavir-Ritonavir in der Behandlung von an SARS-CoV-2 erkrankten und hospitalisierten Patienten gegenübergestellt.
Insgesamt wurden 127 Patientinnen und Patienten in 3 großen Krankenhäusern Hongkongs rekrutiert. 86 Patienten wurden in die Kombinationsgruppe randomisiert, davon hatten 52 Patienten einen Symptombeginn in den letzten 7 Tagen vor Studienbeginn; 34 Patienten zwischen dem 7. und dem 14.Tag. 43 Patienten wurden in die Kontrollgruppe (Lopinavir-Ritonavir) randomisiert. In dieser Gruppe war der Symptombeginn bei 24 Personen innerhalb von 7 Tagen und bei 17 Patienten zwischen dem 7. und dem 14. Tag.
Tabelle 1 gibt die Therapieschemata der beiden Gruppen wieder:
Substanz | Kombinationsgruppe | Kontrollgruppe |
Lopinavir-Ritonavir (400mg/100mg) | alle 12 Stunden für 14 Tage | alle 12 Stunden für 14 Tage |
Ribavirin 400mg | alle 12 Stunden für 14 Tage | – |
Interferon beta-1b 8 Mio IE | – | |
Symptombeginn < 2 Tage | 3 Dosen sc. | – |
Symptombeginn vor 3-4 Tagen | 2 Dosen sc. | |
Symptombeginn vor 5-6 Tagen | 1 Dosis sc. | |
Symptombeginn > 7 Tage | Keine Gabe |
Der primäre Studienzielparameter war die Zeit bis zum Verschwinden der Virusausscheidung aus dem Nasen-Rachenraum (PCR-Diagnostik). Sekundäre Outcome Parameter waren Verschwinden der Symptomatik; Veränderungen im SOFA Score; Dauer des Krankenhausaufenthaltes und 30 Tage Mortalität.
Das mediane Alter der Patientinnen und Patienten betrug 52 Jahre (IQR: 32-62). 54 Prozent waren Männer und 40 Prozent hatten eine chronische Vorerkrankung. In der Kombinationsgruppe war die mediane Zeit der Virusauscheidung mit 7 Tagen (IQR: 5-11) verglichen mit der Kontrollgruppe (12 Tage; IQR: 8-15) signifikant kürzer. Auch eine signifikante klinische Besserung trat in der Kombinationsgruppe rascher ein (Median 4 Tage; IQR: 3-8) verglichen mit der Kontrollgruppe (Median 8 Tage; IQR: 7-9). Die mediane Krankenhaus-aufenthaltsdauer war in der Kombinationsgruppe mit 9 Tagen kürzer als in der Kontrollgruppe (14,5 Tage). Kein Patient der beiden Gruppen ist verstorben.
In weiteren Subgruppenanalysen stellte sich heraus, dass die größten Verbesserungen bei Patienten auftraten, die möglichst früh, d.h. innerhalb der ersten 7 Tage nach Symptombeginn, mit der Dreierkombination behandelt wurden. Bei Patientinnen und Patienten, die erst 7 Tage nach Symptomausbruch eine Triple-Therapie erhielten, kam es im Vergleich zur Kontrollgruppe zu keinen Verbesserungen im Erkrankungsverlauf. Signifikante Nebenwirkungen unter der Therapie traten bei 48 Prozent der Kombinationspatienten und bei 49 Prozent der Kontrollpatienten auf. Durchfälle (41 Prozent), Fieber (38 Prozent), Übelkeit (34 Prozent) und erhöhte Leberwerte (14 Prozent) waren die häufigsten Nebenwirkungen. Die meisten dieser Nebenwirkungen verschwanden innerhalb der ersten 3 Tage nach Therapiebeginn.
In der Diskussion der Ergebnisse, weisen die Autoren darauf hin, dass eine Kombinationstherapie mit mehreren Ansatzpunkten im Infektionsgeschehen wahrscheinlich einer Therapie mit einer antiviralen Substanz überlegen ist. Das Blockieren der Virus- Wirtszellen Interaktion, eine Verhinderung des „Uncoating“ d.h. der Freisetzung des viralen Genoms und Kapsids aus der Virushülle, die Behinderung der Virusreplikation durch Störung der viralen Replikation und der Synthese viraler Struktur- sowie Funktionsproteine und die Unterdrückung der Freisetzung von fertigen Vironen aus Wirtszellen zählen zu den therapeutisch möglichen Ansatzpunkten. Ein möglicher weiterer Vorteil in der Kombinationstherapie liegt in der Vermeidung der viralen Resistenzentstehung durch Mutation. Gerade RNA Viren zeigen hohe Mutationsraten und können so rasch Unempfindlichkeit gegen bestimmte antivirale Medikamente erwerben. Das Auftreten viraler Resistenz wurde z.B. bei Influenzaviren H5N1 und H7N9 unter der Therapie mit Substanzen wie Amatadine, Baloxavir, Marboxil und Oseltamivir beschrieben. So konnte bereits in früheren Untersuchungen gezeigt werden, dass eine Kombinationstherapie von Naproxen, Clarithromycin (beide Substanzen haben schwache antivirale Eigenschaften) mit Oseltamivir den klinischen Verlauf von Patienten mit Influenza A/H3N2 Pneumonie mildert. Die Kombinationstherapie, sofern sie frühzeitig begonnen wird, ist in der Lage die Virusbelastung der Erkrankten deutlich zu senken und dadurch den weiteren klinischen Verlauf günstig zu beeinflussen. Die Autoren begründen ihren Verzicht der Gabe von Interferon beta-1b nach dem 6. Erkrankungstag mit der Möglichkeit einer Verstärkung der systemischen Inflammation.
Insgesamt denke ich, dass das Konzept der frühen Gabe mehrere antiviraler Substanzen Zukunft hat. Allerdings ist eine klinische Wirksamkeit vorwiegend bei mild bis moderat Erkrankten zu erwarten. Dies bestätigt auch eine Tabelle der Studie in der die medianen SOFA Scores über 7 Tage nach Studieneinschluss wiedergegeben werden. Die medianen SOFA Scores bewegen sich zwischen 0 und 1. Bei keinen der eingeschlossenen Patienten bestand eine moderte bis schwere Organfunktionsstörung und kein Patient ist verstorben. Somit repräsentieren die Studienpatienten leider nicht, jenes Patientenkollektiv, das wir während der COVID-19 Krise auf österreichischen Intensivstationen behandelt haben.
Ein weiterer, aus meiner Sicht großer Kritikpunkt der Studie ist das Fehlen einer echten Kontrollgruppe ohne Virostatikum. Wir wissen, dass auch bei den hospitalisierten Patienten nur etwa 5 Prozent intensivpflichtig werden, d.h. bei der Mehrheit der Betroffenen verläuft die Infektion selbst limitierend. Die Begründung der Autoren für ein Weglassen einer Kontrollgruppe hört sich im Text irgendwie lustig an: „because a placebo group was generally not accepted in Chinese culture“ – eine eigenartige kulturelle Einstellung – „ich will unbedingt eine spezifische Behandlung ganz gleich ob ihr Nutzen bewiesen ist und unabhängig davon ob sie mir vielleicht schadet!“ – aber auch wir sind immer wieder mit spezifischen Therapieforderungen von Angehörigen konfrontiert!
Die Behandlung von COVID-19 Patienten mit Tocilizumab
Bei Patientinnen und Patienten mit COVID-19 kommt es zu einer massiven Aktivierung von T-Lymphozyten und Makrophagen, welche große Mengen an proinflammatorischen Zytokinen, darunter auch Interleukin 6 (IL-6), ausschütten können. Besonders IL-6 soll die weitere Bildung von proinflammatorischer Zytokine aus Zielzellen unterschiedlicher Organe boostern. Der daraus resultierende Zytokinsturm bewirkt eine deregulierte Immunantwort des Organismus, die sich auch gegen gesundes Gewebe richtet und eine wichtige, pathophysiologische Rolle bei der Entstehung von Multiorganversagen einnimmt. Tocilizumab ist ein rekombinanter, monoclonaler Antikörper, der gegen den IL-6 Rezeptor auf verschiedenen Zytokin-produzierenden Zellen gerichtet ist, diesen blockiert und damit die immunologische Antwort auf verschiedenen inflammatorische Stimuli abschwächen kann.
Xu X et al (PNAS 2020; doi: 10.1073/pnas.2005615117) berichten ihre Erfahrungen mit Tocilizumab in 21 Patientinnen und Patienten mit schwerer COVID-19-Erkrankung. Retrospektiv wurden die Veränderungen im klinischen Verlauf, der CT-Bildgebung und den Laborwerten nach der Gabe von Tocilizumab, zusätzlich zur Routinetherapie, analysiert.
Das mittlere Patientenalter war 56,8 Jahre, neun Personen litten an arterieller Hypertonie, fünf an Diabetes, jeweils zwei an koronarer Herzkrankheit und chronisch obstruktiver Atemwegserkrankung. Neun Patienten benötigten „High Flow-Sauerstofftherapie“ ; sieben Patienten Sauerstoff über Nasensonden, zwei Patienten invasive Beatmung und je ein Patient nicht-invasive Beatmung bzw. Sauerstoff über eine Maske. Nach Gabe von Tocilizumab konnte die Sauerstofftherapie bei 15 Patienten innerhalb von 5 Tagen deutlich reduziert werden. Bei 19 Patienten kann es zu radiologischen Besserungen der Infiltrate im CT. Bei 84 Prozent der Patienten fiel das C-reaktive Protein innerhalb von fünf Tagen signifikant ab. Nach im mittel 15,2 Tagen wurden alle Patienten aus dem Krankenhaus in häusliche Pflege entlassen. Die einmalige Verabreichung von Tocilizumab führte in der Studie bei keinem Patienten zu schweren Nebenwirkungen.
Das therapeutische Eingreifen in die Pathophysiologie der Inflammation, im Rahmen von systemischen Infektionen, ist schon seit langem ein attraktives Therapieziel in der Intensivmedizin. Im Rahmen des septischen Schocks wurden bereits Antikörper gegen proinflammatorische Zytokine, z.B. den TNF-alpha oder Rezeptorblocker, z.B. gegen IL-1? verabreicht. Allerdings konnte bisher keine dieser Studien eine Verbesserung im Patientenoutcome nachweisen. Bisher wurden mehr als 100 verschiedene Botenstoffe identifiziert, die den systemischen Inflammationsprozess steuern. Es ist anzunehmen, dass wir auch heute bei weitem nicht alle beteiligten Moleküle und ihre Bedeutung, im „Konzert“ der immunologischen Antwort des Organismus auf Noxen, kennen. Die Vorstellung, dass eine Manipulation an einem Steuerungselement dieses komplexe System in eine für den Patienten günstige Richtung lenken kann, erscheint unter diesen Blickwinkel fast etwas naiv zu sein.
Auch in der Studie von Xu fehlt eine Kontrollgruppe. Die Patientenzahl ist sehr klein und die Tatsache, dass keine schweren Nebenwirkungen beobachtet wurden, sollte nicht überbewertet werden. Tocilizumab wird unter anderem in der Behandlung der schweren rheumatoiden Arthritis und der Riesenzellarteriitis eingesetzt. Es wirkt immunsuppressiv und kann daher, als Nebenwirkung, zu schweren Infektionskomplikationen führen. Inwieweit eine einmalige Gabe des Medikaments, z.B. zu Beginn einer SARS-CoV-2 Infektion, das Risiko für zusätzliche Infektionen erhöhen kann, ist aus meiner Sicht nur im Rahmen randomisierter, Placebo-kontrollierter Studien geklärt werden.
Fazit
Die vier in diesem Update besprochenen Untersuchung zeigen uns, dass immer noch viele Fragen zur spezifischen Therapie der SARS-CoV-2 Infektion offen sind. Keine der bisher besprochenen Therapeutika scheint derzeit den Verlauf der am schwersten erkrankten Patienten auf Intensivstationen positiv zu beeinflussen. Was mir persönlich Unbehagen bereitet ist die Tatsache, dass die Rolle der Blutgerinnung als verantwortliches Element für einen ungünstigen, ja oft tödlichen Verlauf, kaum in Studien abgebildet wird. Wir erinnern uns an die Untersuchung von Ning Tang et al. (J Thromb Haemost 2020; doi: 10.1111/jth.14817) aus dem Update vom 14. April, der mittels Thromboseprophylaxe die 28-Tage-Mortalität, bei einer definierten Gruppe von schwer an COVID-19 erkrankten Patienten, um 20 Prozent reduzieren konnte. Das ist ein Outcome-Effekt, wie wir ihn selten bei therapeutischen Interventionen auf der Intensivstation beobachten können! Ich kenne derzeit noch keine prospektive Untersuchung, in der im Rahmen einer Studie eine systematische therapeutische Antikoagulation oder sogar eine milde Lysetherapie bei Patienten mit therapieresistenten, hypoxämischen Lungenversagen bei COVID-19 Erkrankung durchgeführt wurde.