Der Deutsche Schmerz- und Palliativtag 2022 fand vom 23. bis 26. März unter dem Motto „Endlich leben“ als Online-Veranstaltung statt. Die Tagungspräsidenten Dr. Johannes Horlemann, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS), und Norbert Schürmann, Vizepräsident der DGS, bekräftigten die Forderung nach einer besseren Versorgung chronischer Schmerzpatientinnen und -patienten. PD Dr. Michael Überall stellte die Bedeutung einer Zweitmeinung für die multimodale Schmerztherapie heraus.
Vielfältige Kongressthemen: Von Cannabinoiden bis Hämophilie
Tagungspräsident Dr. Johannes Horlemann: „Die typischen Patientinnen und Patienten werden in geltenden Leitlinien bzw. in der Studienlage oder Grundlagenforschung kaum abgebildet“. Dr. Horlemann plädierte für die Nutzung der Real-World-Evidenz, wie zum Beispiel aus dem PraxisRegister Schmerz. „Wir brauchen Praxis-Leitlinien, weil sie wissenschaftliche Studien mit Daten aus der Versorgung, Patientenbewertungen und Erfahrungen der Therapeutinnen und Therapeuten verbinden.“ Weitere Themen des Deutschen Schmerz- und Palliativtages waren Cannabinoide und Opioide in der Schmerztherapie, die spezielle Behandlung von Kopf-, Rücken- und neuropathischen Schmerzen sowie gesundheitspolitische Entwicklungen. Auch Schmerzen bei Hämophilie, verschreibungspflichtige Apps, Schmerztherapie bei Psychosen und Borderline-Störungen, Schmerzen vaskulärer Genese sowie Endometriose wurden thematisiert.
Spenden-Symposium für die Vertriebenen aus der Ukraine
Aus aktuellem Anlass wurde unter dem Motto „Hilfe für traumatisierte Schmerzpatienten“ kurzfristig ein Symposium zu den Folgen des Krieges in der Ukraine organisiert. Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin nutzte das Symposium für eine Hilfsaktion für die Vertriebenen aus der Ukraine und rief zu Spenden für die Organisation Ärzte ohne Grenzen auf. Der Appell der Fachgesellschaft: „Bitte unterstützen Sie unsere Hilfsaktion, damit die medizinische Versorgung der Verletzten und Vertriebenen verbessert werden kann. Wir sammeln Spenden über Ärzte ohne Grenzen, weil unsere Kolleginnen und Kollegen vor Ort wissen, wo das Leid am größten ist.“
OP oder multimodale Schmerztherapie?
PD Dr. Michael Überall, Vizepräsident der DGS und Präsident der Deutschen Schmerzliga (DSL), analysierte die Bedeutung einer qualifizierten zweiten Meinung vor der Entscheidung für oder gegen eine schmerzbedingte Wirbelsäulenoperation. „Systematische Untersuchungen belegen nicht nur eine auffällige Diskrepanz zwischen der schmerzmedizinischen Notwendigkeit und den faktisch realisierten Operationen, sondern auch bezüglich der Bewertung deren grundsätzlicher Sinnhaftigkeit“, so PD Überall. „Allem Anschein nach folgt die Versorgung in Deutschland hier nicht dem Bedarf, sondern dem Angebot, wobei diesbezüglich offensichtlich finanzielle Anreize für Behandler und Einrichtung den Blick für die schmerzmedizinische Rationale verstellen“. Eine multimodale Therapie sei in vielen Fällen die bessere und vor allem nachhaltigere Option. „Es gilt im Rahmen des Zweitmeinungsverfahrens nicht die grundsätzliche Operabilität im Rahmen technischer Möglichkeiten zu klären, sondern deren mögliche Konsequenzen im Rahmen einer individualisierten Nutzen-Risiko-Abwägung“.
Palliativmedizinischer Schwerpunkt
Passend zum palliativmedizinischen Schwerpunkt des Kongresses kooperierte die DGS mit der Österreichischen Palliativgesellschaft (OPG), es wurden palliativmedizinische Themen unter medizinischen, rechtlichen und ethischen Aspekten diskutiert. Dass Menschen mit Suizidwunsch nicht allein gelassen werden dürfen, das war der Konsens einer Podiumsdiskussion zum ärztlich assistierten Suizid. „Wir sollten die Todeswünsche unserer Patienten ernst nehmen, ihre Not verstehen und diese lindern“, sagte Prof. Claudia Bausewein, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP). Aus ihrer Sicht müssen dabei die Bewältigung der Lebenssituation und die Behandlung belastender Beschwerden im Vordergrund stehen.
In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht vor zwei Jahren das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufgehoben. Das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und in Anspruch zu nehmen, so die rechtliche Begründung. Die Deutsche Bundesärztekammer weist darauf hin, dass die Mitwirkung eines Arztes oder einer Ärztin bei der Selbsttötung voraussetze, dass der Suizid freiverantwortlich begangen werde. Kein Arzt könne zur Mitwirkung an einer Selbsttötung verpflichtet werden. Im Vordergrund solle vielmehr die Suizidprävention stehen. Es gehöre zur ärztlichen Tätigkeit, sensibel und offen auf die von Patienten geäußerten Todes- und Suizidwünsche zu reagieren und sie gegebenenfalls auf entsprechende Angebote palliativmedizinischer Versorgung und der ärztlich unterstützten Suizidprävention hinzuweisen. Dr. Dietmar Weixler, Präsident der Österreichischen Palliativgesellschaft (OPG), betonte: „Wir brauchen Maßnahmen, die gegen Einsamkeit und existenzielle Verzweiflung wirken und die eine wohnortnahe Begleitung sowie Therapien ermöglichen,“ sagte OA Weixler. Dr. Christina Grebe, Vizepräsidentin des Dachverbandes Hospiz Österreich, forderte einen gesellschaftspolitischen Diskurs zum Freitod. „Wir haben hier ein gesellschaftspolitisches Thema, das nicht in einen gesetzlichen Rahmen gepresst werden sollte“, so Dr. Grebe.
Quelle: Pressemitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS)