Gesundheitsminister mit Expertinnen und Experten einig: Intensivkapazitäten personell und materiell absichern – Arbeit in multiprofessionellen Intensivteams attraktiver machen – Gesundheitsbildung verstärken – Erhebung von Intensivdaten ausweiten

„Die aktuelle Gesundheitskrise hat vielen erst richtig bewusst gemacht, wie entscheidend es ist, Intensivmedizin auf qualitativ höchstem Niveau betreiben zu können. Das Fach Anästhesie und Intensivmedizin als ein Rückgrat der Spitalsversorgung wurde zuvor oft nicht so wahrgenommen“, sagte Univ.-Prof. Dr. Klaus Markstaller, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) aus Anlass des „Wiener Anästhesietalks“. Bei dieser von der ÖGARI und der Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie, MedUni Wien/AKH Wien ausgerichteten Online-Panel-Veranstaltung diskutierte eine hochkarätige Runde Konsequenzen der SARS-CoV-2-Krise für die Anästhesie und Intensivmedizin und aktuelle Entwicklungen, die für die Zukunft der Intensivmedizin entscheidend sind. „Die gute Ausstattung der Intensivmedizin in Österreich war und ist ein wichtiger Vorteil in der Krisenbewältigung. Und seit Beginn der Pandemie wurden enorme Anstrengungen unternommen, dass sie nicht an ihre Kapazitätsgrenzen stößt“, so der ÖGARI-Präsident. „Jetzt geht es darum, die Intensivmedizin auch optimal für künftige Krisensituationen vorzubereiten.“

Nutzen von Investitionen in das Gesundheitssystem wurde deutlich

„Ich bin sehr dankbar dafür, dass alle in der Intensivmedizin tätigen Berufsgruppen schnell und professionell auf die großen Herausforderungen reagiert und in Österreich mit großartiger Arbeit viele Menschenleben gerettet haben. Hier wurde mit Flexibilität und Anpassungsfähigkeit Großartiges geleistet“, sagte Gesundheitsminister Rudolf Anschober. Die Politik sei in den vergangenen Jahren immer wieder mit Kritik wegen der im internationalen Vergleich hohen Intensivbettendichte in Österreich konfrontiert gewesen. „Diese Krise hat uns anschaulich vor Augen geführt, dass Investitionen in das Gesundheitssystem viel wert sind. Denn wir haben von unserem hervorragend aufgestellten Gesundheitssystem enorm profitiert.“ Es sei wichtig jetzt sicherzustellen, dass die Intensivmedizin so leistungsfähig bleibe und dass, wo immer möglich, gemeinsam an weiteren Optimierungen gearbeitet werde.

Ressourcen vorsorgen für den Notfall – grenzüberschreitende Zusammenarbeit optimieren

„Wir alle haben enorm viel gelernt in dieser Krise, unter anderem, dass die Ressource Intensivmedizin nicht einfach über Nacht erweiterbar ist“, betonte auch Dr. Eva Dichand, Herausgeberin der Tageszeitung Heute und Vorsitzende des Universitätsrates der MedUni Wien. „Denn es geht nicht nur um ausreichend viele Geräte, wie dies zu Beginn oft verkürzt dargestellt wurde, sondern um das hochqualifizierte Personal, das nicht vervielfachbar ist.“ Es sei wichtig, so Dr. Dichand, mit Blick auf künftige Krisen Strukturen zu schaffen, die im Notfall für die Intensivversorgung mobilisierbar sind und eine ausreichende personelle Ausstattung sicherzustellen.

Künftige Notfallpläne sollten auch „viel mehr als derzeit eine grenzüberschreitende gegenseitige Unterstützung zumindest von Nachbarländern bei Versorgungsengpässen berücksichtigen.“

„Medizinerinnen, Mediziner und Pflegepersonen aus der Anästhesie und Intensivmedizin haben ganz wesentlich dazu beigetragen, dass zahlreiche Menschen mit schweren COVID-19-Erkrankungen gerettet werden konnten,“ sagte SR Mag. Richard Gauss, Bereichsleiter der Geschäftsgruppe Soziales, Gesundheit und Sport der Stadt Wien. „Die Pandemie hat aber auch deutlich gemacht, dass wir einen schlagkräftigen öffentlichen Gesundheitsdienst als Ergänzung zu den, und als Entlastung für die Spitäler brauchen, und dass wir hier dem Spardruck nicht nachgeben dürfen.“

Menschenzentrierte Intensivmedizin

Wenn man der aktuellen Gesundheitskrise eine positive Seite abgewinnen will, so die, „dass unser Fach vor den Vorhang getreten ist“, sagte Assoc.-Prof. PD Dr. Eva Schaden,  Stellvertreterin für den Bereich Intensivmedizin der ÖGARI und Leiterin einer Intensivstation an der Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie, MedUni Wien/AKH Wien. „Es wurde für viele sichtbar, was die moderne Intensivmedizin leistet, und dass sie nicht auf Geräte und High-Tech zu reduzieren ist, sondern dass der menschliche Faktor eine ganz zentrale Rolle spielt.“  

Durch COVID-19 sei auch deutlich geworden, so die Expertin, „dass eine kritische Erkrankung nicht mit der Entlassung aus der Intensivstation endet. Wir sollten trachten, den gesamten Patientenweg in die Intensivmedizin hinein und aus ihr heraus noch besser zu strukturieren. Wir müssen schauen, welche Patienten von den Möglichkeiten der Intensivmedizin am meisten profitieren können, und wie sie nach dem Intensivaufenthalt rasch in der Phase der Rekonvaleszenz begleitet werden können, damit sie mit bestmöglicher Lebensqualität in ihr Leben zurückkehren.“

Intensivstationen personell und strukturell gut ausstatten

„Die Herausforderungen der Pandemie haben uns auch gezeigt, wie wichtig es ist, im Krisenfall zur Überbrückung zusätzliche Personalreserven für die Intensivversorgung mobilisieren zu können, zum Beispiel ärztliches und Pflegepersonal aus dem Bereich Anästhesie oder Notfallmedizin, um knappe Ressourcen zu überbrücken“, betonte Prim. Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder, Präsident elect der ÖGARI und Leiter der Abteilung für Anästhesie und operative Intensivmedizin am Krankenhaus St. Vinzenz in Zams. Hier habe sich das österreichische Modell der Intensivausbildung bewährt, waren sich die ÖGARI-Vertreterinnen und -Vertreter einig.  Wie in vielen anderen europäischen Ländern wird auch hierzulande intensivmedizinische Expertise auf der Basis eines Grundlagenfaches wie der Anästhesie oder auch der Inneren Medizin ausgebildet. „Das sichert nicht nur flexible Einsatzmöglichkeiten von qualifiziertem Personal auf den Intensivstationen in Krisensituationen, sondern auch die Attraktivität des Fachs für den Nachwuchs.“ Wichtig sei es aber auch, strukturell die verfügbaren Intensivbetten nach einheitlichen Qualitätsstandards bestmöglich auszustatten.

Arbeit in Intensivteams attraktiv machen

Für die Zukunft sei nicht nur eine intensive Beschäftigung mit der Pandemie-Prävention wünschenswert, so SR Gauss: „Eine zentrale Frage ist auch, wie wir perspektivisch mit einem möglichen Mangel an gut ausgebildetem Personal im Gesundheitswesen umgehen werden.“ Ein Punkt, in dem sich alle Diskutantinnen und Diskutanten einig waren – ebenso wie in der Frage, dass die Zukunft der Intensivmedizin immer auch die Zukunft der Intensivpflege mit betrachten müsse, und dass alle Potenziale genutzt werden sollten, den Beruf attraktiv zu machen.

„Wir stehen, was Ärztinnen, Ärzte und Pflegepersonal betrifft, durchaus in einem internationalen Wettbewerb“, betonte Dr. Dichand. „Wir werden also gut daran tun, Gesamtkonzepte zu entwickeln, die die Berufe an sich und den Standort Österreich für Gesundheitsberufe attraktiv machen.“

 „Unser erklärtes Ziel ist es, bis 2030 insgesamt 100.000 zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Pflege zu gewinnen, darunter auch für die Arbeit an Intensivstationen“, so Bundesminister Anschober.

Um die Verbleiberate im Beruf zu erhöhen, müsse man sich auch darum bemühen, die Gesunderhaltung des Intensivpersonals optimal zu unterstützen, so Prof. Schaden: „Im Intensivteam brauchen wir neben Medizin und Pflege auch viele andere Gesundheitsberufe, die leider nicht immer in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen. Die Arbeit wird sicher attraktiver, wenn sie auf mehr Schultern verteilt werden kann.“

Intensivmedizin verständlich machen – Information und Gesundheitsbildung

„Mehr Menschen denn je haben jetzt ein Bewusstsein für die Intensivmedizin entwickelt, das sollten wir nutzen und gemeinsam mit weiterer Informations- und Bildungsarbeit ansetzen“, betonte Gesundheitsminister Anschober. „Gesundheitsbildung sollten wir gerade in diesem spezifischen Bereich fördern, wo es um die Auseinandersetzung mit sehr schweren Erkrankungen geht.“

Jeder und jede sei aufgerufen, sich zu überlegen, ob und in welchem Ausmaß er oder sie im Fall des Falles intensivmedizinisch behandelt werden möchte, unterstrich auch Prof. Schaden. „Diese Konzept des ‚advanced care planning‘, wie es in der Fachwelt heißt, ist eine wichtige Basis dafür, dass Behandlerinnen und Behandler mit Erkrankten gemeinsam wesentliche Entscheidungen für die Therapieplanung treffen können.“

Die ÖGARI habe sich diesbezügliche Aufklärung bereits zur Aufgabe gemacht, so die Expertin: „In einem ersten Schritt haben wir gemeinsam mit der Dachorganisation aller intensivmedizinischen Gesellschaften FASIM und in Kooperation mit einer spezialisierten Online-Plattform eine Informationsangebot für alle Interessierten entwickelt.“ (www.oegari.at/patientenforum.php).

Intensivdokumentation ausbauen

Konsens bestand im Diskussionspanel auch darin, dass eine erweiterte Intensivdokumentation wünschenswert sei. „Wir sollten unser bestehendes Dokumentationssystem in der Intensivmedizin auf eine praktikable Weise so ausbauen, dass wir österreichweit Schlüsse ziehen können über die demographische Zusammensetzung unserer Patienten, über ihre Krankheiten, über Komplikationen oder Therapieerfolge“, erläuterte Prof. Hasibeder. „Das hätte uns in der Pandemie geholfen, würde aber auch darüber hinaus für die Zukunft nützlich sein.“

So ließen sich nicht nur forschungsrelevante Daten abbilden, unterstrich Prof. Schaden das Anliegen, sondern auch finanzierungsrelevante Aspekte: „Unsere Dokumentation ist noch stark an der Gerätezentrierung früherer Tage orientiert, wir müssen sie an die moderne, menschenzentrierte und personalintensive Intensivmedizin anpassen.“

Prof. Markstaller: „Wie die Intensivmedizin weiterentwickelt und gestärkt werden kann, muss Gegenstand eines intensiven Austauschs aller interessierten Kräfte sein, wie auch diese Diskussion gezeigt hat. Unser Fach steht jedenfalls bereit, an der weiteren Stärkung und dem Ausbau der Intensivmedizin zentral mitzuwirken, wenn die aktuelle Krise überwunden ist.“

Jährlich im Februar richtet die Universitätsklinik für Anästhesie, allgemeine Intensivmedizin, MedUni Wien/AKH die „Wiener Anästhesietage“ aus, eine Fachveranstaltung zu aktuellen Themen der Anästhesiologie. Pandemie-bedingt wurden die Anästhesietage 2021 ausnahmsweise zum Online-Event als „Wiener Anästhesietalk“. Unterstützt wurde die Veranstaltung von MSD und Philips.

Quelle: Pressemitteilung der ÖGARI vom 26. Februar 2021