Prim. Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder, President-elect der ÖGARI, über mögliche Folgeschäden nach schweren COVID-19-Erkrankungen, worauf auf Intensivstationen besonders zu achten ist, warum umfassende Reha-Maßnahmen im Anschluss unverzichtbar sind und warum mehr Männer als Frauen betroffen sind.

Welche Folgeschäden können nach einer schweren COVID-19-Erkrankung mit intensivmedizinischer Betreuung auftreten?

Hasibeder: Intensivpatienten brauchen nach allen schweren Infektionserkrankungen mit Multiorganversagen sehr lange, um sich davon zu erholen. Solche Erkrankungen beeinflussen außerdem den weiteren Lebensverlauf über mehrere Jahre. Studien belegen, dass etwa Patienten, die einen septischen Schock durchgemacht haben und deren Herz-Kreislaufsystem medikamentös stabilisiert werden musste, über sechs bis acht  Jahre eine erhöhte „all-cause mortality“ haben.

Ein großes Problem bei allen schweren Infektionen ist auch, dass immer mehr ältere Menschen betroffen sind. Sie bringen nicht nur Ko-Erkrankungen mit, sondern sind in ihrer Leistungsreserve an sich eingeschränkt. In der langen Reha-Phase entwickeln sie leichter sekundäre Infektionen, zum Beispiel bakterielle Infektionen.

Stichwort Reha-Phase. Sie betonen immer wieder die Bedeutung einer umfassenden Rehabilitation. Warum ist das so wichtig?

Hasibeder: Bei COVID-19 haben wir, sobald invasiv-mechanisch beatmet werden muss, extrem lange Verläufe, wie wir sie bei anderen schweren Infektionserkrankungen nie sehen. Bei uns liegen COVID-19-Patienten vier Wochen und länger auf der Intensivstation. Bereits nach 48 Stunden maschineller Beatmung findet man histologisch eine Verminderung von funktionsfähigem Muskelgewebe im Zwerchfell und in der interkostalen Muskulatur. Je länger die Beatmung andauert, desto mehr Atmungsmuskelmasse – aber natürlich auch Skelettmuskulatur – verschwindet. Patienten bauen Muskelprotein ab und werden immer schwächer. Bei Langliegern sieht man richtige Muskelatrophien. Geschwächte Patienten brauchen daher nach überstandener Krankheit ganz intensive physiotherapeutische Programme, um wieder auf die Beine zu kommen.

Können Lungenschäden auch aufgrund einer „falschen“ Beatmung entstehen?

Hasibeder: Ja, in zweifacher Hinsicht: Wenn der positive endexspiratorische Druck zu nieder ist und die Lungenbläschen immer wieder kollabieren und dann wieder öffnen, dann macht das einen extremen mechanischen Stress und führt zu Entzündung und Schädigung der Lungenbläschen. Der  endexspiratorische Druck sollte also immer über diesem „lower inflection point“ liegen, dem Punkt,  wo Lungenbläschen zu kollabieren anfangen. Wenn man auf der anderen Seite mit zu hohem Druck beatmet – über 30-35 Millibar –, dann sind die Lungenbläschen schon so aufgedehnt, dass jede weitere Druckerhöhung zu mechanischen Schäden und ebenfalls zur Entzündungsreaktion führt. Diesen Punkt nennen wir „upper inflection point“.  Die mechanische Beatmung sollte beide Grenzwerte nicht unter- bzw. überschreiten, wobei diese individuell unterschiedlich sind, stark vom Habitus des Patienten abhängen, aber auch von der Lungenpathologie.

Bei einerschweren  Lungeninfektion zum Beispiel kann eine Beatmung mit sehr hohen Drücken oder hohem Bezugsvolumina zu einer mechanischen Schädigung der Lunge führen, die in der Folge eine Entzündungsreaktion auslöst. Diese kann Mit-Ursache von schweren chronischen Lungenschäden sein. Aus Tierexperimenten  wissen wir außerdem, dass eine Entzündung aufgrund einer falschen Beatmung nicht auf Lunge beschränkt bleibt, sondern Entzündungsmediatoren über die Blutbahn in andere Körperteile gelangen und dort die Funktion von Organen in Mitleidenschaft ziehen.

Gerade bei SARS-CoV-2 ist die Beatmung aus meiner Sicht allerdings nicht das große Problem, weil diese Patienten meist keine großen verschlossenen Areale haben und man daher in der Regel keine hohen Drücke braucht, um solche Lungen zu beatmen. COVID-19-Patienten haben ganz offensichtlich viele verschlossene Mikrogefäße in der Lunge, dadurch werden viele Lungenareale belüftet, die keine Durchblutung haben. Die Todraumventilation ist also extrem hoch. Daraus resultieren Probleme in der Sauerstoffversorgung ebenso wie Schwierigkeiten, das Kohlendioxid aus dem Körper auszuscheiden. Daher haben viele Patienten relativ hohe  CO2-Werte in den Blutgasanalysen, wobei das allerdings kein besonderes intensivmedizinisches Problem darstellt.

Entscheidend bei COVID-19-Patienten auf der Intensivstation ist also nicht die Beatmung allein, sondern die Kombination aus Beatmungs- und Lagerungstherapie. Wenn man beispielsweise einen Patienten, der in Rückenlage große verschlossene Areale auf der Rückenseite der Lunge hat, auf den Bauch dreht, dann hat das bei entsprechend guter mechanischer Beatmung einen Effekt auf diese Areale und sie öffnen sich wieder.

Sind direkte Organ-Folgeschäden in der Lunge aufgrund einer schweren COVID-19-Erkrankung möglich?

Hasibeder: Ausschließen können wir das bei einer neuen Erkrankung – und das ist COVID-19 – letztendlich nicht. Aber unsere bisherigen Erfahrungen sprechen dafür, dass bei der überwiegenden Zahl der Patienten die Schäden in der Lunge, die durch die Entzündung entstanden sind, wieder vollständig verschwinden. Das kann Wochen oder auch Monate dauern. Aber die Lunge hat wie die meisten Körperorgane eine sehr gute Regenerationsfähigkeit.

Immer wieder landen auch jüngere COVID-19-Patienten auf Intensivstationen. Muss die  Risikogruppe neu definiert werden?

Hasibeder: Es ist Tatsache, dass Patienten über 65 Jahren und mit Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko haben, einen schweren Krankheitsverlauf zu entwickeln. Aber natürlich können auch andere Personengruppen betroffen sein. Wir haben zwei relativ junge Patienten (Anm.: 43 und 48 Jahre) ohne Vorerkrankungen zur ECMO-Therapie nach Innsbruck transferiert, weil sie so schwer erkrankt waren, dass wir sie mit invasiver Beatmung allein nicht mehr adäquat mit Sauerstoff versorgen konnten.

Gibt es eine Erklärung, warum signifikant mehr Männer als Frauen an COVID-19 erkranken?

Hasibeder: Es gibt eine Theorie: Man weiß, dass der Angiotensin-converting enzyme 2 (Anm.: ACE2) Rezeptor, der notwendig ist für das Andocken des Virus am Atemweg, dass der bei Männern in einer höheren Dichte vorhanden ist. Das könne die Erklärung sein, warum Männer sowohl ein höheres Risiko haben zu erkranken als auch dafür, schwerere Verläufe zu entwickeln. (RED/VW)


Künstlich hergestellte Antikörperpräparate

Viel wird derzeit über das Potenzial – aber auch die Grenzen – einer Plasmatherapie mit diskutiert.

Prim. Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder, President-elect der ÖGARI, glaubt an das Potenzial einer Therapie mit Rekonvaleszentenplasma. Zwar fehle es noch an entsprechenden Daten und Fakten, allerdings wisse man von anderen schweren Infektionserkrankungen, „dass Rekonvaleszentenplasma sehr wohl Wirkung zeigt. Es gibt ganz klare Fallstudien in China und Einzelfälle in Europa, die belegen, dass die Gabe von rekonvaleszentem Serum den Krankheitsverlauf mildert und die Patienten heilt.

Allerdings werde es kaum möglich sein, genug entsprechendes Plasma herzustellen, um alle Patienten, die schwer erkrankt sind, zu behandeln, schränkt Hasibeder zu hohe Erwartungen ein. Außerdem sei die „Antikörperkonzentration von Spender zu Spender unterschiedlich und die Menge der Antikörper, die ein Patient braucht, um zu genesen, ist kaum zu definieren. Aber vielleicht gelingt das noch.

Hasibeder bezieht sich dabei auf Meldungen, wonach in China bereits intensiv daran gearbeitet wird, solche Antikörperpräparate künstlich herzustellen. „Das könnte ein Weg sein, um die oben genannten Probleme zu lösen.“