Beim AIC-Kongress in Villach (22. bis 24. November 2018) präsentierte Dr. Hartwig Pogatschnigg, 22 Jahre lang Chef der Abteilung für Anästhesie am LKH Wolfsberg und später auch Ärztlicher Direktor des LKH Klagenfurt, die differenzierte Geschichte des Faches mit Klinischer Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfall-, Palliativ- und Schmerzmedizin sowie Medizinischem Management als tragende Säulen und Gesamt-Berufsbild. – Eine Zeitreise ab 1846.
„Am Anfang stand William Morton, der am 16. Oktober 1846 in Boston die erste gelungene Anästhesie durchführte. Das ist ja quasi unser Geburtstag“, sagte Dr. Pogatschnigg. Die Entwicklung der Narkosemittel – das waren die ersten Eckpunkte der Entwicklung des Faches.
Noch vor Morton mit seiner sich schnell auch in Europa ausbreitenden Chloroform-Anästhesie hatte der US-Theologe und Chemiker Joseph Priestey im Jahr 1775 erstmals Lachgas synthetisiert. „Es gab ‚Lachgas-Partys‘ als Unterhaltung, und dabei wurde bemerkt, dass die Gäste, wenn sie zum Beispiel gegen ein Tischbein stießen, keinen Schmerz spürten“, schilderte der Kärntner Anästhesiologe. Auch die Isolierung von „Morphium“ durch den deutschen Apotheker Friedrich Sertürner (1806) war noch vor der ersten erfolgreichen Narkose erfolgt.
In der Hand der Chirurgen – Der Weg zur Selbstständigkeit
Dabei gab es die Anästhesiologie am Anfang natürlich noch gar nicht. „Die beteiligten Ärzte sind alle aus der Chirurgie gekommen. Die Entwicklung der Klinischen Anästhesiologie erfolgte zunächst ausschließlich unter dem Mantel der Chirurgie“, erzählte Dr. Pogatschnigg.
Der Weg in die Selbstständigkeit der Anästhesiologie erfolgte im Endeffekt erst nach dem 2. Weltkrieg. „Zumindest die deutschsprachigen Länder waren im Zweiten Weltkrieg von der internationalen Entwicklung abgeschnitten. In den USA wurden neue Operationsmethoden entwickelt, aber auch die ersten Beatmungsgeräte entwickelt. Der Äther wurde abgeschafft. Da hatte es Explosionen mit vielen Toten gegeben“, schilderte der Kärntner Anästhesiologie im Gespräch mit anaesthesie.news.
Aber Ärzte und junge Wissenschafter gingen in der Nachkriegszeit in die USA, um zu lernen, und damit einen Aufholprozess einzuleiten. Einer davon war Univ.-Prof. Dr. Otto Mayrhofer (Universität Wien). Er und andere lernten in den USA die neuen Techniken und auch die ersten intensivmedizinischen Einrichtungen kennen und brachten sie nach Europa.
Fazit: Am 19. Oktober 1951 erfolgte an der II. Chirurgischen Universitätsklinik in Wien die Gründungsversammlung der Fachgesellschaft „Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie“. Prof. Mayrhofer wurde erster Präsident, Prof. Rudolf Kucher sein erster Stellvertreter, Prof. Hans Bergmann der zweite. Man musste – wie es Prof. Mayrhofer sagte – „das Fach überhaupt erst schaffen in Österreich“. Ab Mitte Juni 1952 gab es erstmals Ausbildungsrichtlinien für das neue Sonderfach, man konnte mit der Ausbildung beginnen. Mit 1. Jänner 1954 wurde am AKH Linz erstmals eine eigene Anästhesiologie-Abteilung geschaffen.
In Deutschland ging es in dieser Zeit zwischen Chirurgen und Anästhesisten konfliktreich zu. Nicht zuletzt ging es um die Letztverantwortung bei chirurgischen Eingriffen, welche die Chirurgen für mit einem Rechtsgutachten für sich beanspruchten. Ein Gegengutachten (K. Engisch/1961 contra Walther Weißauer/1962) brachte dort schließlich eine Klärung. Die Anästhesisten wurden selbstständig fachlich gleichberechtigt nach den Grundsätzen strikter Aufgabenteilung zwischen Chirurgen und Anästhesisten und mit dem Vertrauensgrundsatz und wechselseitiger Koordinierungspflicht als Grundlagen.
Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesie und die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie trafen schließlich im November 1964 eine Vereinbarung. Darin heißt es unter anderem: „Der Fachanästhesist trägt in seinem Aufgabenbereich die volle ärztliche und juristische Verantwortung. Daher steht ihm auch die gleiche Selbstständigkeit wie anderen Fachvertretern zu.“
Zehn Mal mehr Anästhesisten in Österreich als in Deutschland
Interessanterweise gab es in Österreich im Jahr 1960 bereits rund 800 Fachanästhesisten. In Deutschland waren es nur 80. Nur zum Vergleich die österreichischen Zahlen für 2018: Aktuell gibt es 3.024 Anästhesistinnen und Anästhesisten sowie 698 in Ausbildung.
Intensivmedizin
In den 1950er-Jahren entstand die zweite Säule des Fachgebietes – die operative Intensivmedizin. „Mit dafür ausschlaggebend waren die Poliomyelitis-Epidemien zwischen 1947 und 1953 in Europa. Martha Mason zum Beispiel lebte 60 Jahre in der Eisernen Lunge“, erzählte Dr. Pogatschnigg.
Eine Konsequenz der Entwicklung war wiederum das Bestreben der sich neu entwickelnden Intensivmedizin, selbst wiederum zu einem eigenständigen Fach zu werden. In Österreich dauerte es von 1963 bis 1978, bis die Intensivmedizin offiziell an den Kliniken in die Anästhesie „eingemeindet“ wurde. So war zunächst auch eine eigene Fachgesellschaft gegründet worden (ÖGAAIM). Erst nach einigen Jahren (ver)einigte man sich im Rahmen der ÖGARI.
Eine Ausbildungsreform vor Beitritt Österreichs zur EU bildete schließlich die Grundlage für die Erweiterung der Fachbezeichnung auf „Anästhesiologie und Intensivmedizin“. Während es in dieser Zeit zu heftigen Diskussionen zwischen den Vertretern der Inneren Medizin und der Anästhesie kam, stellte ein unter Mitwirkung des späteren ÖÄK-Präsidenten Prim. Dr. Walter Dorner (Chirurg) und des damaligen Gesundheitsministers Dr. Michael Ausserwinkler erarbeiteter Erlass im Jahr 1994 die Fachbezeichnung klar. Zwar wurde die Facharztbezeichnung bis vor den Verfassungsgerichtshof gebracht, dieser erklärte sie aber für rechtmäßig.
2011 – inmitten einer immer schneller ablaufenden technischen Entwicklung in Anästhesie und Intensivmedizin – wurde schließlich die FASIM gegründet. Die FASIM ist die gemeinsame Plattform aller intensivmedizinischen Fachgesellschaften und intensivmedizinischer Arbeitsgruppen Österreichs. Die Gründung erfolgte durch die beiden größten intensivmedizinischen Gesellschaften – die Österreichische Gesellschaft für Internistische und Allgemeine Intensivmedizin und Notfallmedizin (ÖGIAIN) und die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI). Die FASIM gewährleistet mit ihrem breiten Spektrum an Mitgliedern die umfassende Basis für die Vertretung intensivmedizinischer Belange in Österreich.
Der Aufschwung von Anästhesiologie und Intensivmedizin lässt sich auch an Zahlen des AKH Klagenfurt ablesen, wo Prim. Dr. Hermann Millonig von 1949 bis 1991 die Abteilung leitete. Man begann 1950 mit drei Ärzten, vier Diplomkrankenschwestern und 5.000 Narkosen pro Jahr. 1979 waren es bereits 21 Ärzte und 29 andere Mitarbeiter, mit 31. Dezember 1990 33 Ärzte und 152 nichtärztliche Mitarbeiter (22.000 Narkosen im Jahr, 17 Intensivbetten und 16 Postnarkosebetten).
Notfallmedizin als „Einstiegsdroge“
Doch längst waren Anästhesiologen und Intensivmediziner nicht mehr nur in den Kliniken selbst tätig. „In Kärnten wurde 1986 unter Prim. Millonig das Notarztwagensystem etabliert, in dem die Anästhesie und das Rote Kreuz zusammenarbeiten. Wenn unser Fach heute für den ärztlichen Nachwuchs attraktiv erscheint, dann ist das in vielen Fällen die Notfallmedizin als Argument für die Ausbildung. Da ‚tut‘ sich etwas, da gibt es ‚Action‘. Da haben die jungen Ärzte den Eindruck schnell und entscheidend helfen zu können“, sagte Dr. Pogatschnigg. Die Anästhesiologie im OP oder die Schmerzmedizin erschienen da weniger als „Einstiegsdroge“ geeignet. Mittlerweile sind die Krankenhäuser in den meisten Regionen Österreichs über ihre Anästhesie-Abteilungen in die Notarztwagendienste eingebunden, in Wien führte das beispielsweise auch zur Behebung akuten Personalmangels bei der Berufsrettung, was Notfallmediziner anging.
Dr. Pogatschnigg macht sich für das Fach wenig sorgen: „Mit den fünf Säulen von Klinischer Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallmedizin, Schmerzmedizin und schließlich dem Medizinischen Management sind wir breit aufgestellt. Die vielen Arbeitsgruppen zeigen die Vielfalt, die es innerhalb der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) gibt.“ Anästhesisten und Intensivmediziner würden sich durch ihren Einblick in die chirurgischen Fächer und in die internistischen Fachgebiete für Managementaufgaben im Spital speziell eignen. „Man kann nicht alles der Ökonomie überlassen. Aber wer als Anästhesist und Intensivmediziner ins Management geht, sollte das nicht ausschließlich tun. Sonst verliert er die Medizin aus den Augen.“ (WW/Redaktionsteam)