Prim. Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder, Präsident elect der ÖGARI, Zams, beschrieb beim ÖGARI-Online-Pressegespräch aus Anlass des AIC Digital, welche Patientinnen und Patienten mit COVID-19 auf den Intensivstationen behandelt werden, wie die Erkrankung verläuft und warum auch nach der Intensivbehandlung viele Ressourcen für die Langzeitbetreuung nötig sind.

685 Intensivpatientinnen und -patienten, die schwer an COVID-19 erkrankt sind, werden aktuell (Stand 23.11.) auf Österreichs Intensivstationen behandelt – bereits seit 17. November bewegen wir uns auf diesem hohen Niveau von mehr als 650. Ein guter Grund, Ihnen heute neben der Frage der Versorgungsressourcen, über die gerade gesprochen wurde, auch einen aktuellen Überblick zur intensivmedizinischen Behandlung von Patientinnen und Patienten mit einer schweren COVID-19-Erkrankung zu geben – unter anderem zu Patientencharakteristika bei intensivpflichtigen Verläufen,  den aktuellen Behandlungsoptionen und den Spätfolgen.

Was das aktuelle medizinische Wissen zu all diesen Fragen betrifft, so hat die ÖGARI es sich als Fachgesellschaft ab dem Beginn der Pandemie zur Aufgabe gemacht, die Kolleginnen und Kollegen aus der Anästhesie und Intensivmedizin zu unterstützen, sich in der Fülle der Informationen zur neuen Erkrankung orientieren zu können. Wir haben auf unserem Blog anaesthesie.news laufend Literaturbesprechungen veröffentlicht, Online-Fortbildungen angeboten und Empfehlungen publiziert. Bereits im März lagen die ersten Behandlungsempfehlungen für die Intensivtherapie von COVID-19-Patientinnen und –Pateinten vor, erst vor wenigen Tagen wurde eine neuerliche Aktualisierung dieser Empfehlungen veröffentlicht. Und ebenfalls schon im März lagen erste Empfehlungen zur Entscheidungsfindung bei knappen Ressourcen vor, auch dazu ist jetzt eine aktuelle Fassung erschienen („Allokationsethische Orientierungshilfe“).

Es wird zwar außerordentlich viel zu diesem Thema publiziert: Mit Stichtag gestern wies die Wissenschaftsdatenbank PubMed bereits knapp 77.000 Veröffentlichungen zu SARS-CoV-2 und COVID-19 aus. Und trotzdem sind wir weit davon entfernt, diese Krankheit zu verstehen, weil sie so vielfältig und auch so unberechenbar ist. Immer wieder tauchen neue Facetten dieser Erkrankung auf, mit denen wir nicht rechnen, oder plötzliche Verschlechterungen. Jeder Tag ist anders, nichts ist vorhersehbar. Das alles belastet natürlich auch die Angehörigen von Betroffenen schwer – denn einmal schöpfen sie Hoffnung, und dann tritt wieder eine massive Verschlechterung ein.

Zum Glück erkrankt nur ein relativ kleiner Anteil von Menschen, die sich mit SARS-CoV-2 infizieren, schwer. Rund fünf Prozent entwickeln aber ein schweres „Acute Respiratory Distress Sydrome“ (ARDS), also eine massive Beeinträchtigung der Atmung („Lufthunger“, Atemnot). Etwa drei Prozent der COVID-19-Patienten müssen intensivmedizinisch betreut werden. Sie leiden in der Regel an einer lebensbedrohlichen kritischen Erkrankung, wie wir sie sonst kaum je gesehen haben.

Wir haben schon vom ÖGARI-Präsidenten gehört, dass die Zahl der Menschen, die mit oder an COVID-19 versterben, sich in Österreich in sehr unerfreulicher Weise stark nach oben entwickelt – naturgemäß Hand in Hand mit den sehr hohen Infektionszahlen, zumal leider in zunehmendem Maße auch Alters- und Pflegeheime betroffen sind.

Allerding ist zumindest bisher die Mortalität – bzw. die so genannte „case-fatality“, also die Zahl der Todesfälle im Verhältnis zu positiv Getesteten – innerhalb der Gruppe der intensivpflichtigen Patienten stetig gesunken. Haben wir im Frühjahr zum Beispiel in New York oder Italien bei intubierten Patienten häufig eine Sterblichkeit von bis zu 90 Prozent gesehen, so liegt diese heute bei uns zwischen 20 und 30 Prozent – zumindest so lange die Intensivkapazitäten nicht völlig überfordert sind.

Patientenprofile: Alt, multimorbid, gefährdet?

Ein Bild, das sich hartnäckig hält, ist jenes der „Risikogruppe“, die besonders vulnerabel für schwere Krankheitsverläufe sein soll: alt, mit vielen Vorerkrankungen, gebrechlich. Dies müssen wir doch deutlich zurechtrücken. Wenn ich die Analyse* der Daten der intensivpflichtigen COVID-19-Patientinnen und Patienten in Tiroler Krankenhäusern zugrunde lege, so sind diese zu zwei Dritteln männlich und im Schnitt 64 Jahre alt. Zwischen den ersten Symptomen und der Intensiv-Aufnahme liegen im Schnitt 8 Tage. Die Behandlungsdauer auf der Intensivstation liegt in unserer Studie bei 18 Tagen, die Mortalität bei knapp 22 Prozent.

Die immer wieder postulierte Darstellung, die meisten COVID-19-Opfer seien bereits vor der Infektion sehr alt und/oder schwer krank gewesen und hätten auch ohne das Virus keine lange Lebenserwartung gehabt, ist nicht haltbar. Ebenso wenig übrigens die Annahme, Erkrankte würden vorwiegend an den sogenannten „Vorerkrankungen“ sterben und nicht am Virus.

Intensivmedizinische Therapie: Kein „Wundermittel“ in Sicht

Wir haben sehr oft – insbesondere im Sommer, als vielerorts zu Unrecht vorläufige „Entwarnung“ bezüglich der Pandemie gegeben wurde – gehört, die Erkrankung habe an Brisanz verloren, weil große Fortschritte in der Behandlung gemacht wurden. Leider kann ich auch das nicht oder nur sehr bedingt bestätigen.

Wir haben tatsächlich Fortschritte gemacht – dies aber nicht aufgrund von neuen spezifischen Medikamenten. Tatsächlich haben entscheidende Verbesserungen optimierte Beatmungsstrategien gebracht. Bei leichteren Verlaufsformen versuchen wir, mittels nichtinvasiver Beatmungsverfahren eine Intubation – also eine invasive Beatmung – zu vermeiden. Auf diese muss dann bei entsprechendem Fortschreiten des Lungenversagens zurückgegriffen werden. 

Ebenso wichtig für positive Behandlungsergebnisse ist unser zunehmendes Verständnis für die Rolle der Blutgerinnung im Krankheitsgeschehen: Zu Beginn der Pandemie waren Lungenembolien eine sehr wichtige Todesursache, weil COVID-19 die Blutgerinnung deutlich aktiviert. Deutlich wurde das für uns auch durch die klinische Beobachtung von schwersten Mikrozirkulationsstörungen der Haut, vor allem an den Fußsohlen der Patienten. Inzwischen können wir das durch eine sehr konsequente prophylaktische Blutverdünnung besser unter Kontrolle bringen, und das ist auch durch immer mehr Daten belegt: Erst kürzlich zeigte eine Untersuchung aus den USA**, dass COVID-19-Patienten, die eine präventive oder therapeutische Antikoagulation erhielten, seltener intubiert werden mussten und ein signifikant reduziertes  Sterberisiko hatten. Ein besonders interessanter Aspekt dabei: Patienten in der Studie, die Blutverdünner erhielten, waren deutlich älter, mehr vorerkrankt und hatten höhere Entzündungswerte, man würde sich bei ihnen also eine deutlich erhöhte Mortalität erwarten. Dies war aber nicht der Fall. Die Antikoagulation ist also eine sehr wichtige Behandlungsstrategie. Ein Ansatz, der in Studien eine gewisse Reduktion der Sterblichkeit zeigt, ist die Gabe des Kortikosteroids Dexamethason. In der klinischen Praxis sind die Effekte aber nicht immer erzielbar.

Eine gesicherte spezifische Therapie gegen SARS CoV-2 gibt es hingegen nach wie vor nicht. Was die viel diskutierten „Hoffnungsträger“ unter den Medikamenten betrifft, so gibt es keine Durchbrüche im Sinne einer ursächlichen Behandlung zu vermelden. Den Einsatz von Chloroquin/Hydroychloroquin, Azithromycin, Lopinavir/Ritnavir und Toclizumab können wir nach aktuellem Wissensstand allenfalls im Rahmen von klinischen Studien empfehlen, sicher nicht im Routinebetrieb. Der Einsatz von Remdesivir zeigte in einer rezenten Studie zwar eine Verkürzung der Erkrankungsdauer – dies aber nur für nicht beatmete Patienten – aber keinen Nutzen für das Überleben. Auch Rekonvaleszenten-Plasma hat keine gesicherte Evidenz und kann derzeit nur m Rahmen von Studien empfohlen werden.

Spätfolgen: Post-COVID-Syndrom

Sorge bereitet uns auch, was mehr und mehr zutage tritt: Das Post-COVID-19-Syndrom, das besonders nach den langen Intensivaufenthalten sehr schwerwiegend ausfällt. Wir kennen nach Intensivaufenthalten das „Post-ICU-Syndrome“, ein Bündel von Beschwerden, die von Muskelschwäche bis zu schweren neurologischen Störungen reichen. Nachdem Intensivaufenthalte aufgrund von COVID-19-Erkrankungen in der Regel deutlich länger dauern als der Durchschnitt, ist es nicht verwunderlich, dass auch die Folgeerscheinungen häufig dramatischer ausfallen und lange andauern. In der Literatur ist mittlerweile häufig schon von „Long-COVID“ statt „Post-COVID“ die Rede. Wesentliche Symptome sind eine massive Erschöpfbarkeit („Fatigue“) und schwer wiegende Atemwegsprobleme wie Bindegewebsvermehrungen in der Lunge, Langzeitprobleme, die sich aus den Mikro-Thrombosierungen ergeben. Es können aber auch kognitive Störungen, Depressionen oder Neuropathien und vieles mehr in diesem Zusammenhang auftreten.

Patientinnen und Patienten müssen also nach ihrem Aufenthalt im Krankenhaus unbedingt weiter betreut werden – in vielen Fällen in spezialisierten Reha-Einrichtungen. Und hier werden wir sicher angesichts der hohen Patientenzahlen – das ist noch weitgehend unterschätzt – dafür Sorge tragen müssen, dass nicht der nächste Flaschenhals und Engpass im Versorgungssystem entsteht.

* Klein et al, WiKliWo 2020
** Nadkarni et al, J Am Coll Cardiol 2020