Sepsis kann jeden treffen. Was die überschießende Reaktion des Immunsystems auslöst, weiß man nicht genau. Doch übersieht man sie, kann es zu Langzeitfolgen ähnlich Long Covid kommen.

Hohes Fieber, Schüttelfrost, heftiges Schwitzen, generell ein schweres Krankheitsgefühl – da schrillten bei Gerhard Schwarz (Name geändert) die Alarmglocken. Zwar laborierte der damals 56-Jährige schon rund zehn Tage an einer Verkühlung, aber die war eigentlich wie ein ganz normaler grippaler Infekt verlaufen. Als es mit seinem Befinden auf einmal rapide bergab ging, rief seine Frau den Notarzt. Zum Glück!

Denn Schwarz hatte eine Sepsis entwickelt – eine außer Kontrolle geratene Reaktion des Immunsystems. Auslöser war, wie man später feststellte, seine Knieprothese. Ein Erreger haftete an dieser körperfremden Oberfläche an und setzte von dort ausgehend das Immunsystem außer Gefecht. Für Schwarz ging es „glimpflich“ aus. Die Prothese musste entfernt werden, der Herd über rund drei Monate ausheilen, dann bekam er ein neues Kniegelenk. Doch er überlebte und hatte auch keine weiteren Langzeitfolgen.

Das ist nicht selbstverständlich. Jedes Jahr haben rund 50 Millionen Menschen weltweit eine Sepsis, elf Millionen sterben daran – drei Millionen davon sind Kinder und Jugendliche. Sepsis ist die häufigste Ursache für Todesfälle im Krankenhaus, wie die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (Ögari) anlässlich des Welt-Sepsis-Tages am 13. September mitteilt. Und von jenen, die sie überleben, hat die Hälfte Langzeitfolgen.

DER STANDARD 12. September 2022

Covid-19 als „virale Sepsis“

Doch was ist eine Sepsis genau? „Eine überschießende Reaktion des Immunsystems auf einen oft unerkannten Erreger. Das kann ein Bakterium, ein Virus oder auch ein Pilz sein. Die außer Kontrolle geratene Infektion richtet sich gegen den eigenen Körper und die Organe. Wird das nicht rechtzeitig behandelt, führt das im schlimmsten Fall zu Schock und Multiorganversagen, die betroffene Person stirbt“, erklärt Eva Schaden, Anästhesistin, Intensivmedizinerin und Vorstandsmitglied der Ögari.

Wieso es zu einer Sepsis kommt, ist unklar. Auf die gleichen Keime reagieren Menschen völlig unterschiedlich, viele mit leichten Symptomen, manche extrem. „Man kennt das auch von Covid-19, manche haben ein bisschen Halsweh, andere werden schwer krank. Warum, weiß man nicht genau. Wenn man so will, kann man schwere Covid-19-Verläufe auch als virale Sepsis bezeichnen“, sagt Schaden.

Ähnlich wie bei schweren Corona-Verläufen kennt man aber das Risikoprofil von Sepsis-Gefährdeten. Grundsätzlich haben jene ein erhöhtes Risiko, deren Immunsystem nicht ideal arbeitet: sehr alte Menschen, jene mit Komorbiditäten, Personen, deren Immunsystem unterdrückt ist – und auch kleine Kinder. Anders als bei Covid-19 sind sie im Verhältnis häufig von Sepsis betroffen. Und natürlich kann es auch, wie immer, völlig gesunde, eher junge und fitte Menschen treffen – diese sind jedoch wirklich die Ausnahme, die die Regel bestätigt.

Häufige Ausgangspunkte für die überschießende Reaktion des Immunsystems sind Lungenentzündung, Harnwegsinfekte, Infektionen im Bereich der Haut und Infekte im Bauchbereich. Insbesondere bei Kindern ist außerdem Hirnhautentzündung ein relevanter Auslöser. Weitere Ursachen können Fremdoberflächen im Körper sein wie ein Katheter oder, wie eben bei Gerhard Schwarz, eine Prothese. Schaden erklärt: „Auf diesen Fremdoberflächen bilden Keime einen Biofilm und schützen sich so vor antiinfektiven Medikamenten. Die Keime können aber auch in die Blutbahn ausgeschwemmt werden, dann kann es zu einer Sepsis kommen.“

Einer von fünf stirbt

Wie erkennt man nun eine Sepsis? Das ist genau das Problem. Die Anzeichen sind unspezifisch, typisch sind hohes Fieber, Schüttelfrost, schnelles Atmen, Schwitzen, aber auch Verwirrtheit. „Wenn man beobachtet, dass der Opa oder die Oma hohes Fieber hat und sich nicht mehr wirklich auskennt, dann holen Sie bitte sofort Hilfe und warten nicht zu“, appelliert Schaden. Denn Früherkennung ist im Kampf gegen die Sepsis der wichtigste Faktor. „Je früher man die Anzeichen erkennt, desto besser kann man gegensteuern. Rechtzeitig kann das mit der richtigen Behandlung in zwei, drei Tagen wieder erledigt sein.“

Wird man nicht rechtzeitig aufmerksam, kann ein septischer Schock entstehen, Herz und Niere arbeiten nicht mehr richtig, der Blutdruck ist betroffen. Langzeitfolgen können entstehen wie Organschäden, die etwa eine Dialyse notwendig machen. Und auch Amputationen nach Durchblutungsschäden können eine Folge sein. Im schlimmsten Fall stirbt man an einer Sepsis – was bei einer von fünf betroffenen Personen der Fall ist.

Und es gibt andere, weniger greifbare Langzeitfolgen, wie kognitive Einschränkungen, posttraumatische Belastungsstörung oder Depression, körperliche Einschränkungen durch Neuro- und Myopathien, Versteifung der Gelenke, Schluckstörungen, kardiovaskuläre Probleme. Die Symptome sind auch mit den Folgen einer Covid-19-Erkrankung mit Intensivversorgung vergleichbar. Man nennt das Post-Sepsis-Syndrom, in der Hoffnung, dass die Reha-Versorgung dadurch besser strukturiert wird. Denn: „Alle therapeutischen Erfolge der Intensivteams verlieren an Bedeutung, wenn die Nachsorge nur unzureichend gewährleistet ist“, betont Intensivmedizinerin Eva Schaden.

WISSEN

Die Anzeichen sind unspezifisch, doch hier sollte man alarmiert sein:

QSymptome: Hohes Fieber, Schüttelfrost, schnelles Atmen, Verwirrtheit

QAuslöser: Das ist oft nicht klar, Virus, Bakterium oder auch Pilz können die überschießende Immunreaktion triggern.

QBehandlung: Möglichst breit mit Antibiotikum. Kann man den Auslöser eruieren, wird die Therapie spezifischer. Je früher man die Symptome erkennt, desto besser sind die Heilungschancen.

Bild: Bei einer Sepsis überreagiert das Immunsystem und richtet sich gegen den eigenen Körper – mit Langzeitfolgen bis zum Tod. Jedes Jahr sind 50 Millionen Menschen weltweit betroffen.

Bild: Foto: Getty Images / iStockphoto

Autor: Pia Kruckenhauser