W. HASIBEDER

GESUNDHEITLICHER UND ÖKONOMISCHER NUTZEN EINES FÜR ALLE ZUGÄNGLICHEN IMPFPROGRAMMS FÜR KINDER

In einem neu veröffentlichen CDC-Report wurden die Effekte des US Kinder-Immunisationsprogramms auf die Kindergesundheit und Gesundheitsökonomie in den USA mittels epidemiologischer Methodik aufgearbeitet. Im Rahmen dieses Programmes, das im Jahr 1994 begonnen wurde, können alle Kinder kostenlos, unabhängig vom Versicherungs- oder sozioökonomischen Status, gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Polio, Hämophilus Influenza Typ B, Masern, Rötels und Mumps, sowie im Laufe der Weiterentwicklung des Programms gegen Hepatitis A und B, Pneumokokken und Rotaviren geimpft werden.

Berechnet wurden die durch das Impfprogramm verhinderten Infektionserkrankungen, Todesfälle, Hospitalisationsfälle und ökonomische Einsparungen. In den Jahren 1994 bis 2023 wurden offiziell 117 Millionen Kinder in den USA geboren. Das frei zugängliche US Impfprogramm hat in diesem Zeitraum zirka 508 Millionen Infektionsfälle, 32 Millionen Hospitalisationen, und  1,129 Millionen Todesfälle bei Kindern verhindert. Dadurch wurden 540 Milliarden US Dollar an direkten Gesundheitskosten und zirka 2,7 Billionen US Dollar an Kosten für die Gesellschaft eingespart.

FAZIT für die Praxis: Die Autoren weisen darauf hin, dass ähnlich wie in Österreich, durch eine zunehmende Polarisierung der Gesellschaft mit extremer Wissenschaftsskepsis diese positive gesundheitspolitische Entwicklung zunehmend gefährdet wird. Besonders wichtige Impfungen wie jene gegen Keuchhusten, Diphterie, Masern und Polio werden, nach der Corona Pandemie, weniger in Anspruch genommen. Eine von „Fake News“ durchseuchte Gesellschaft neigt zu abstrusen Übertreibungen bezüglich der Häufigkeit von Impfkomplikationen und propagiert angebliche positive Auswirkungen natürlich erworbener Infektionskrankheiten auf das Immunsystem. Das generell Infektionserkrankungen eine der häufigsten Todesursachen in unserer Gesellschaft sind und ein Großteil davon, durch regelmäßiges Impfen, vermeidbar gewesen wäre, wird in den verschwörungstheoretischen Blasen einer „Social Media Gesellschaft“ völlig ignoriert.     

Eine signifikante Zunahme vom Masern- und Keuchhusten Erkrankungen ist bereits beobachtbar. Es ist zu befürchten, dass bei anhaltender Impfskepsis bereits totgeglaubte Infektionen erneut zu Geiseln der Menschheit werden können und vor allem betroffene Kinder dauerhafte Schäden oder sogar sterben werden. Dies wird, bei anhaltendem Trend, mit Sicherheit negative Auswirkungen auf die Kindersterblichkeit haben. Gerade in einer schrumpfenden Bevölkerung sollte derartigen Entwicklungen politisch vehement gegengewirkt werden.    

Literatur: Zhou F, Jatlaoui TC, Leidner AJ, et al. Health and economic benefits of routine childhood immunizations in the era oft he vaccines for children programm – United States, 1994-2023. CDC MMWR, August 8, 2024; Vol 73; No.31

Wieviel Hämoglobin braucht ein Patient/eine Patientin mit akutem Herzinfarkt und vorbestehender Anämie?

In einer großen Multicenterstudie (144 Krankenhäuser in 6 Ländern) wurde der Effekt von 4 verschiedenen Transfusionstriggern auf das 30 Tage Überleben bzw. die Inzidenz von Reinfarkten bei anämen PatientInnen (n=3492; Ausgangshämoglobinwert < 10mg%) mit akutem Myokardinfarkt (AMI) untersucht. Die PatientInnenkohorten wurden nach folgenden Transfusionstriggern eingeteilt: Hb < 10g%; Hb < 9g%; Hb < 8g%; Hb < 7g%. Mittels Propensity Score Analysen wurden die PatientInnen nach demographischen Daten und Vorerkrankungen gematscht und damit vergleichbar gemacht. 

Tabelle 1 zeigt die Ergebnisse der Untersuchung 

TransfusionstriggerKombiniertes Outcome 30 Tage Mortalität und Re-Myokardinfarktrate
HB < 10g%14,8%
HB < 9g%15,1%
HB < 8g%15,9%
HB < 7g%18,3%

FAZIT für die Praxis: Prof. Drexler D. schreibt in einer Zusammenfassung der Arbeit im NEJM Journal Watch vom 8. Oktober 2024, dass trotz vieler Unsicherheiten in der individuellen Vergleichbarkeit der PatientInnen ein Hämoglobinwert von 9g% als vernünftiger Transfusionstrigger bei anämen PatientInnen mit AMI sein dürfte. Generell denke ich, dass definierte Transfusionstrigger im besten Fall als allgemeine Empfehlungen gelten sollten. Im speziellen Patienten/der speziellen Patientin müssen individuelle Parameter, wie z.B. der Allgemeinzustand und die Herzfrequenz in Entscheidungen für oder gegen eine Tranfusion miteinbezogen werden. Dabei müssen sich behandelnde ÄrztInnen bewusst machen, das die Gabe von Fremdblutzellen, gleich welcher Art im eigentlichem Sinne eine Organtransplantation mit potentiellen, selten lebensbedrohlichen Komplikationen darstellt. 

Aber auch die Anämie selbst kann ein erheblicher Stressor für den menschlichen Organismus sein. Physiologisch konnte schon früh gezeigt werden, dass Anämie zu einer Steigerung des Atemminutenvolumens führt und gleichzeitig durch eine regional gesteigerte Produktion von NO in der Lunge die Verhältnisse von Ventilation und Lungenperfusion, in verschiedenen Lungenabschnitten, verbessert werden, mit dem Ziel den arteriellen PO2 anzuheben. Anämische Hypoxie steigert den peripheren Sympathikotonus und führt zu einer Steigerung des Herzminutenvolumens und Reduktion des peripheren Gefäßwiederstandes. Letzterer wird auch durch die Abnahme der Blutviskosität verringert. Die Anzahl durchbluteter Kapillargefäße steigt und dadurch verkürzen sich die Diffusionsstrecken für Sauerstoff. Mit zunehmender Anämie steigt auch die Sauerstoffextraktionsrate aus dem Blut. Dies gilt für jene Organe mit geringer Sauerstoffextraktion unter physiologischen Bedingungen (z.B. Gastrointestinaltrakt, Muskulatur, ZNS). Die zelluläre Stabilisierung und Neubildung des „Hypoxia Inducible Factors alpha“ (HIF?) fördert die Bildung und Ausschüttung diverser Wachstumsfaktoren, die unter anderem die Erythropoese (Erythropoetin) und die Angiogenese anregen. 

Im klinischen Alltag stellt sich daher immer wieder die Frage welche Anämiegrade klinisch toleriert werden können. Da für diese Fragestellung prospektiv randomisierte Untersuchungen beim Menschen nicht in Frage kommen sind wir auf retrospektive Datenanalysen angewiesen. In einer Untersuchung an 300 Zeugen Jehovas mit z.T. massiven perioperativen Blutverlusten und strikter Verweigerung einer Erythrozytentransfusion ist die Krankenhausmortalität bezogen auf den niedrigsten gemessenen Hb-Wert in Tabelle 2 dargestellt:

Niedrigster gemessener Hb-Wert in g%Krankenhausmortalität in %
<2100
2,1-354
3,1-434
4,1-525
5,1-69

Die Odds Ratio für eine Abnahme der Hb-Konzentration um jeweils 1g% lag in den dargestellten Hb-Grenzen bei 2,5, das heißt, das jede Abnahme der Hämoglobin-konzentration um 1g% die Mortalität um das 2,5-fache gesteigert hat.

In einer Subanalyse von 256 PatientInnen lag die gemeinsame Inzidenz von 30 Tage Mortalität und Morbidität (kardiale Komplikationen; Pneumonien; Wundinfektionen) bei 100%, 92%, 53%, 58% und 29% in den gleichen Hb Gruppen wie in Tabelle 2 dargestellt.     

Ich denke drastischer lassen sich die Konsequenzen einer schweren akut auftretenden Anämie auf den menschlichen Organismus nicht darstellen. 

Literatur: Portela GT, Carson JL, Swanson SA, et al. Effects of four transfusion threshold strategies in patients with acute myocardial infarction and anemia: a target trial emulation unsing the MINT trial data. Ann Intern Med 2024; e-pub https://doi.org/10.7326/M24-0571

Carson JL, Noveck H, Berlin JA, et al. Mortality and morbidity in patients with very low postoperative Hb levels who decline blood transfusion. Transfusion 2002; 42: 812-18

Shander A, Javidroozi M, Ozawa S, et al. What is really dangerous. Anemia or transfusion? BJA 2011; 107: i41-i59

DARF PERIOPERATIV ASPIRIN BEI PATIENTINNEN MIT LÄNGER BESTEHENDEN KORONAREN DRUG ELUTING STENTS ABGESETZT WERDEN?

Derzeitige internationale Guidelines bestehen auf das perioperative Fortführen einer TASS Therapie auch wenn „Drug Eluting Stents (DES)“ bereits vor über einem Jahr gesetzt wurden. 

In der vorliegenden prospektiv randomisierten Studie wurden 1010 PatientInnen, die ihre DES vor über einem Jahr bekommen haben vor elektiven, nicht kardialen operativen Eingriffen in 2 Gruppen randomisiert: 

TASS Gruppe: Weiterführen der präoperativen TASS Therapie

Kontroll Gruppe: TASS wurde 5 Tage vor der Operation abgesetzt und spätestens 48h nach den Eingriff wieder begonnen. 

Der primäre Outcome Parameter der Studie war die perioperative Mortalität kombiniert mit akutem Myokardinfarkt, dem Auftreten von Stentthrombosen und Schlaganfällen vom Beginn des Absetzten von TASS bis zum 30 postoperativen Tag.

Die Studie konnte keinerlei Unterschiede im Auftreten von primären Outcomeparametern (Mortalität, Stentthrombosen, akuter Myokardinfarkt, Schlaganfall) zwischen den Gruppen nachweisen (TASS 0,6% versus Kontrolle 0,8%; p=0,99). Allerdings traten kleinere Blutungskomplikationen häufiger in der Gruppe der TASS PatientInnen auf (14,9% versus 10,1%; p <0,027). Das Auftreten klinisch relevanter perioperativer Blutungen war in beiden Gruppen gleich häufig.

FAZIT für die Praxis: Die Autoren schreiben, dass der Umgang mit TASS bei PatientInnen mit DES > 1 Jahr durchaus flexibler gestaltet werden kann. Bei großen elektiven Eingriffen mit möglichen größeren Blutverlusten kann TASS 5 Tage vor dem Eingriff bis maximal 48 Stunden nach der OP sicher abgesetzt werden. Bei Eingriffen ohne erwarteten Blutverlust ist das Fortführen einer TASS Therapie vollkommen sicher. In der PARIS Studie, einer großen retrospektiven Studie mit 5018 TeilnehmerInnen kam es bei kurzer Unterbrechung einer dualen Plättchentherapie (<14 Tage) ebenso zu keiner signifikanten Zunahme perioperativer myokardialer Komplikationen. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass frühere retrospektive Datenanalysen ein erhöhtes Thrombembolierisiko nach Absetzten von TASS nachgewiesen haben. In der POISE-2 Studie wurden z.B. 470 Patientinnen eingeschlossen. Bei jenen, bei denen perioperativ TASS abgesetzt wurde war die postoperative Mortalität und die Inzidenz von Myokardinfarkten signifikant erhöht. Allerdings hatte mehr als die Hälfte der Patientinnen „bare metal-stents“, die von ihrer Thrombogenität den neueren DES deutlich unterlegen sind.    

Literatur: Kang Do-Y, Lee Sang-H, Lee Se-W, et al. Aspirin Monotherapie vs no antiplatelet therapy in stable patients with coronary stents undergoing low-to-intermediate risk noncardiac surgery. J Am Coll Cardiol 2024; doi.org/10.1016/j.jacc.2024.08.024

Mehran R, Baber U, Steg PG, et al. Cessation of dual antiplatelet treatment and cardiac events after percutaneous coronary intervention (PARIS): 2 year results from a prospective observational study. Lancet 2013; 382:1714-1722

Levine GN, Bates ER, Bittl JA, et al. AHA guideline focused update on duration of dual antiplatelet therapy in patients with coronary artery disease: a report of the American College of Cardiology/ American Heart Association Task Force on Clinical Practice Guidelines. J Am Coll Cardiol 2016; 68: 1082-1115

WAS TUN, WENN HOSPITALISIERTE ASYMPTOMATISCHE PATIENTINNEN DURCH ERHÖHTE BLUTDRUCKMESSUNGEN AUFFALLEN?

Jüngste Untersuchungen weisen darauf hin, dass eine neu begonnene parenterale antihypertensive Therapie oder ein Auftitrieren einer vorbestehenden oralen antihypertensiven Therapie bei asymptomatischen PatientInnen mit hypertensiven RR-Werten zu einer unerwünschten Erhöhung der Morbidität im Krankenhaus führt. Die American Heart Association hat deshalb erstmals Empfehlungen zum medizinischen Management dieser PatientInnen veröffentlicht. Die Empfehlungen gelten für alle Spitalsbereiche inklusive Intensivstationen, Notaufnahmen und Normalstationen.

Bei allen asymptomatischen PatientInnen mit hypertensiven RR-Werten:

  • Identifiziere und behandle mögliche auslösende Ursachen: Stress, Angst, Schmerz, Schlafstörungen, Substanzentzug
  • Limitiere oder beende jede Therapie, die zu erhöhtem RR beitragen: NSAR, Steroide, übermäßige Flüssigkeitstherapie, Stimulantien
  • In den meisten klinischen Szenarien ist eine akute medikamentöse Therapie erhöhter RR-Werte bei asymptomatischen PatientInnen ohne Endorganschädigungen nicht notwendig. Das gilt auch im Falle stark erhöhter RR-Werte (RR > 180/110 mmHg)! In diesen Fällen sollte jedoch eine vorbestehende orale antihypertensive Therapie fortgeführt werden. Eine Entscheidung hinsichtlich einer Intensivierung der Therapie oder eines Neubeginns einer antihypertensiven Medikation sollte individuell überlegt werden und kann im Rahmen von Kontrollterminen oder außerhalb des Krankenhauses beim niedergelassenen ÄrztInnen erfolgen. In jedem Fall sollten nachbehandelnde KollegInnen über die RR-Auffälligkeiten während eines Krankenhausaufenthaltes informiert werden.
  • Stark erhöhte RR-Werte bei PatientInnen mit Hinweisen auf Endorganschädigungen mit und ohne neu aufgetretener Symptomatik sollten nach den derzeit geltenden Richtlinien medizinischer Fachgesellschaften behandelt werden. Die Zielorgane hypertensiver Krisen sind das Gehirn (Schlaganfall, Blutung, hypertensive Enzephalopathie), die Arterien (dissezierendes Aortenaneurysma, Pre- und Eklampsie, HELP Syndrom), die Retina, die Nieren (akutes Nierenversagen, thrombotische Mikroangiopathie) und das Herz (akutes Koronarsyndrom, akute Herzinsuffizienz). Mnemonic: BARKH (Brain, Arteries, Renal, Kidney, Heart) 

Literatur: Bress AP, Anderson TS, Flack JM, et al. The management of elevated blood pressure in the acute care setting: a scientific statement from the American Heart Association. Hypertension 2024; 81: doi.org/10.1161/HYP.0000000000000238

THERAPIE DER PSEUDOMONAS AERUGINOSA SEPSIS – EIN ANTIBIOTIKUM ODER EINE KOMBINATIONSTHERAPIE?

Dieser Frage widmete sich eine italienische Multizenterstudie (14 Krankenhäuser). Eingeschlossen wurden PatientInnen mit septischen Schock aufgrund einer nachgewiesenen Blutstrominfektion mit Pseudomonas aeroginosa und zunächst empirischer Antibiotikatherapie. Die PatientInnen wurden retrospektiv in 2 Gruppen aufgeteilt:

Gruppe 1: Monotherapie mit einem adäquaten empirischen Antibiotikum (n=74)

Gruppe 2: Kombinationstherapie mit zwei „wirksamen“ empirisch begonnenen Antibiotika (n=24)

Primärer Outcome Parameter war die 30 Tage Mortalität. Ausschlusskriterien waren der Tod innerhalb von 24h nach Therapiebeginn. Von den primär eingeschlossenen 98 PatientInnen starben 27 innerhalb von 24h (Ausschlusskriterium)  und 71 erhielten eine, nach mikrobiologischen Kriterien, adäquate empirische Antibiotikatherapie.

PatientInnen mit adäquater, empirischer Kombinationstherapie zeigten eine deutliche Reduktion der 30 Tage Mortalität (25% versus 57%; number needed to treat =3). Allerdings war dieses Ergebnis nicht mehr signifikant, wenn die Anibiotikaempfindlichkeit des Erregers bereits bekannt war und ein adäquate Antibiotikatherapie erst zu diesem Zeitpunkt gegeben wurde.

FAZIT für die Praxis: Bei Verdacht auf Pseudomonas aeroginosa Infektion ist es aus meiner Sicht sinnvoll zunächst mit einer Kombinationstherapie zu beginnen. Die Mortalität der Pseudomonas Sepsis ist extrem hoch, die betroffenen PatientInnen sind häufig älter und haben schwerwiegende Zusatzerkrankungen. Sind mikrobiologische Empfindlichkeitstestungen vorhanden – dies braucht in der Regel einige Tage – kann sicher auf Monotherapie gewechselt werden. 

Literatur: Vena A, Schenone M, Corcione S, et al. Impact of adequate empirical combination therapy on mortality in septic shock due to Pseudomonas aeruginosa bloodstream infections. A multicenter retrospective cohort study. J Antimicrobial Chemotherapy 2024; doi.org/10.1093/jac/dkae296

HIGH VERSUS LOW INTENSITY NON-INVASIVE POSITIVE PRESSURE VENTILATION (NPPV) BEI PATIENT:INNEN MIT EXAZERBIERTER COPD UND HYPERKAPNIE

In diese randomisierte Studie wurden PatientInnen mit hyperkapnischen Lungenversagen aufgrund einer exazerbierten COPD eingeschlossen, die zunächst mit NPPV und Tidalvolumina von 6-10ml/kg Körpergewicht im Krankenhaus beatmet wurden. Ausgeschlossen wurden alle Patientinnen mit Lungenemphysem und gleichzeitigem Vorhandensein von Bullae in den erkrankten Lungen.

Bei Persistieren der Hyperkapnie wurden noch unintubierte PatientInnen nach 5 Tagen in 2 Gruppen randomisiert: Eine „Low-intensity“ NPPV – Gruppe (n=153) in der die NPPV-Therapie mit gleichbleibenden Tidalvolumina weitergeführt wurde und in eine „high-intensity“ NPPV-Gruppe (n=147) in der die Tidalvolumina an der Beatmungsmaske auf 10-15ml/kg Körpergewicht erhöht wurden. 

Der primäre Outcome Parameter der Studie war Abbruch der NPPV-Therapie und Intubation (Therapieversagen) nach genau festgelegten Kriterien.  

Das mittlere Alter (+SD) der PatientInnen war 73 (+10) Jahre. In der „high-intensity“ NPPV Gruppe mussten 7 von 147 PatientInnen (4,8%) im weiteren Verlauf intubiert werden. In der „low-intensity“ NPPV Gruppe 21 von 153 PatientInnen (13,7%; NNT=11). Abdominelle Blähungen im Rahmen der NPPV Therapie kamen häufiger in der NPPV Gruppe vor. 

Da das Studienprotokoll bei einem Therapieversagen in der „low-intensity“ Gruppe auch einen Wechsel in die „high-intensity“ Gruppe erlaubt hat, war am Ende des Beobachtungszeitraumes die Intubationsrate in beiden Gruppen mit 3,4% versus 3,9% fast gleich.

FAZIT für die Praxis:  Interessante Ergebnisse! Die Studie wurde wegen der Überlegenheit der „high-intensity“ NPPV Therapie vorzeitig beendet. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass doch einige PatientInnen, nämlich jene mit emphysematösen Lungen und Bullae, von der Studie ausgeschlossen waren. Weiters waren zahlreiche PatientInnen in der Studie bereits zu Hause auf zumindest nächtlicher NPPV Therapie, was natürlich die Toleranz für diese Form der Beatmung deutlich erhöht. Das Ergebnis lässt sich, aus meiner Sicht, zu einem großen Anteil durch eine deutliche Verbesserung des arteriellen CO2 bei Beatmung mit deutlich höheren Tidalvolumina erklären. Die PatientInnen klaren auf und werden kooperativer, sodass auf eine vorzeitige Intubation verzichtet werden kann. Durch die gewonnene zusätzliche Zeit hat eine neu begonnene Antibiotikatherapie – akute Infektionen sind bei den meisten COPD PatientInnen Ursache des akuten Lungenversagens – mehr Zeit die Infektion wirksam zu bekämpfen und den ursprünglichen funktionellen Zustand der Lungen wieder herzustellen.

Literatur: Luo Z, Li Y, Li W, et al. Effect of high-intensity vs low-intensity noninvasive positive pressure ventilation on the need for tracheal intubation in patients with an acute exacerbation of chronic obstructive pulmonary disease: The HAPPEN randomized clinical trial. JAMA 2024; doi: 10.1001/jama.2024.15815

REDUZIERT SUGAMMADEX (SDX) WIRKLICH DIE ANTIKONZEPTIVE WIRKUNG DER PILLE – EIN REVIEW?  

SDX wurde 1999 entwickelt und erstmals 2008 innerhalb der EU von der Europäischen Arzneimittelkommission zugelassen. SDX ist ein modifiziertes Gamma Cyclodextrin, dass lipophile Moleküle wie z.B. Aminosteroid Muskelrelaxantien enkapsulieren und irreversibel binden kann.  Das gebundene Muskelrelaxants kann nicht mehr mit Acetylcholinrezeptoren an neuromuskulären Endplatten interagieren.

Frühe Untersuchungen postulierten eine mögliche Interaktion zwischen Progesteron basierten Kontrazeptiva und SDX. Damals wurde vermutet, dass der intraoperative Einsatz von SDX dem „Auslassen“ einer einzelnen Pillendosis entspricht und somit die Gefahr einer ungewollten Schwangerschaft erhöhen kann. Dieser Review beschäftigt sich mit der Frage welche tatsächlichen Beweise es für diese Gefahr gibt: 

Orale Kontrazeptive werden prinzipiell in kombinierte- und Progesteron basierte Medikamente eingeteilt, wobei die kontrazeptiven Eigenschaften auf die Progesteron Komponente zurückzuführen sind. Progesteron hemmt durch negatives Feedback die Ausschüttung von Gonadotropin-releasing Hormon (GnRH), das letztlich einen Anstieg von luteinisierendem (LH) und Follikel-stimulierenden Hormon (FSH) verhindert. 

Prinzipiell können Interaktionen von Medikamenten auf verschiedensten Mechanismen beruhen. Tatsächlich führt SDX, nach heutigem Wissen,  zu keinerlei Induktion von Medikamenten metabolisierenden Stoffwechselwegen. In-vitro Untersuchungen mit 300 verschiedenen Substanzen und SDX haben klinisch relevante Interaktionen nur für 3 Substanzen zeigen können: Flucloxacillin, Fusidinsäure und Toremifen. Theoretisch kann SDX aufgrund seiner Fähigkeit lipophile Subsanzen zu binden mit Steroidhormonen interagieren. Diese Interaktionsmöglichkeiten wurden ebenfalls in in-vitro Versuchen und sehr hohen SDX Dosierungen nachgewiesen. 

In klinischen Untersuchungen konnten diese Interaktionen bisher nicht gezeigt werden: In einer prospektiven Untersuchung wurden die Gabe von SDX oder Neostigmine auf Plasmakonzentrationen von Aldosterone, Progesteron, Testosteron und Cortisol bei männlichen Patienten 15 und 240 Minuten nach Verabreichung der Reversierung untersucht. Die Plasma Progesteron Konzentrationen waren ident in beiden Gruppen.  Nur eine klinische Studie hat bisher den Einfluss von SDX auf Sexualhormone bei Frauen unter Kontrazeptiva untersucht. Östrogen und Progesteron Serum Konzentrationen wurden 15 und 240 Minuten nach der Gabe von 2,6mg/kg Körpergewicht SDX gemessen. Die Progesteron Konzentrationen sind nach 15 Minuten signifikant angestiegen um bis zur 240 Minute um zirka 20% abzufallen. Insgesamt waren die Veränderungen zwischen Baseline (vor Gabe von SDX) und der der Messung nach 240 Minuten nicht signifikant.

In zwei weiteren retrospektiven Patientinnenstudien mit insgesamt mehr als 18.000 Fällen, wurde die Häufigkeit von Schwangerschaften nach Gabe von SDX berichtet. In beiden Studien wurde jeweils eine Schwangerschaft in der Gruppe der Frauen unter Kontrazeptiva berichtet. Wenn man bedenkt, dass unter „Pillengebrauch“ ein Risiko für eine Schwangerschaft selbst unter optimalen Einnahmebedingungen von 0,3% berichtet wird, so ist es derzeit nicht möglich einen Zusammenhang zwischen der Gabe von SDX und dem Auftreten einer ungeplanten Schwangerschaft herzustellen. 

FAZIT für die Praxis:  Derzeit ist die Beweislage für eine signifikante Interaktion zwischen SDX und weiblichen Sexualhormonen nicht wirklich existent. Es gibt in der existierenden Literatur auch keine Beweise für einen Zusammenhang zwischen SDX Gebrauch und Laktation nach der Geburt bzw. SDX Gebrauch bei Narkosen in der Schwangerschaft und irgendwelchen Schwangerschaftskomplikationen im weitern Verlauf.

Literatur: Devoy T and Smith N. Sugammadex and oral contraceptives. Curr Opin Anesthesiol 2024; 37: 338-343

ES GIBT EINEN ZUSAMMENHANG ZWISCHEN HERPES ZOSTER VIRUSINFEKTION UND EINER SPÄTEREN DEMENZERKRANKUNG! 

Es ist schon länger bekannt, dass chronische, niederschwellige, inflammatorische Prozesse das Risiko für die Entwicklung einer Demenzerkrankung erhöhen – dies ist auch immer wieder Thema in unseren Literaturbesprechungen. Schon länger beschrieben ist auch eine Assoziation zwischen bestimmten neurotropen Viren, die lebenslang in Neuronen persistieren und der Entwicklung von Demenz. So werden z.B. Herpes Simplex Viren Infektionen mit den Typen I und II sowie Zytomegalievirusinfektionen mit erhöhtem Demenzrisiko assoziiert.

Zwei neue Untersuchungen zeigen, dass auch Erkrankungen mit dem Varizellen Zoster Virus (VZV) das Risiko einer Demenzerkrankung signifikant erhöhen. 

In prospektiven Observationsstudien (3 Studien mit fast 150.000 TeilnehmerInnen) wurden in periodisch durchgeführten Fragebogenuntersuchungen über einen Zeitraum von 10 Jahren des Auftretens dementieller Symptome untersucht. Ebenso wurden anamnestisch frühere Episoden von VZV-Infektionen erhoben. Die Studienergebnisse zeigen, dass VZV-Infektionen ein signifikanter Risikofaktor für das Auftreten einer Demenzerkrankung darstellen (RR: 1,14-1,34).

In einer weiteren Fall-kontrollierten Studie wurden die elektronischen Krankengeschichten von zirka 200.000 PatientInnen nach Risikofaktoren für die Entwicklung einer Demenzerkrankung evaluiert. PatientInnen, die gegen VZV geimpft waren (Impfung mit Zostavax oder Shingris) wurden jenen mit „nur“ Influenza oder Tetanus-Pertussis-Polio Impfungen gegenübergestellt. Über einen Beobachtungszeitraum von 6 Jahren war das Risiko einer Demenzerkrankung bei VZV-Geimpften um zirka 20% geringer, verglichen mit jenen Personen die „nur“ gegen Influenza oder Tetanus-Pertussis-Polio geimpft waren. Diese Risikoreduktion gilt besonders für die Entwicklung von Alzheimer- und vaskulärer Demenz.

FAZIT für die Praxis:  Die Pathophysiologie verschiedener Demenzformen ist extrem komplex und zu einem großen Teil noch wenig bekannt. Aber eine gemeinsame Endstrecke in der Pathophysiologie scheinen längerfristige inflammatorische Prozesse im Gehirn zu sein. Diese können durch verschiedene Ereignisse ausgelöst werden. Zum Beispiel chronische Erkrankungen die mit niederschwelliger generalisierter Inflammation einhergehen (Adipositas; Diabetes mellitus; autoimmunologische Erkrankungen), Veränderungen in der Mikrobiota – der Zusammensetzung der Darmkeime und schließlich zahlreiche Infektionserkrankungen ausgelöst durch Viren oder Bakterien. 

Literatur: Yeh TS, et al. herpes zoster and long-term risk of subjective cognitive decline. Alzheimers Res Ther 2024; doi: 10.1186/s13195-024-01511-x

Taquet M, et al. The recombinant shigles vaccine is associated with lower risk of dementia. Nat Med 2024; doi: 10.1038/s41591-024-03201-5

Shah S,  et al. Herpes zoster vaccination and the risk of dementia: a systematic review and metaanalysis