Rezensent(en): Elke Ruchalla

Sinha P. et al. 
Identifying molecular phenotypes in sepsis: an analysis of two prospective observational cohorts and secondary analysis of two randomised controlled trials. 

Lancet Respir Med 2023; 
11: 965-974 
DOI: 10.1016/S2213-2600(23)00237-0. (PMID: 37633303)

Bei der Behandlung von Patienten mit Sepsis stellt sich weiterhin die Frage der optimalen Therapie: Denn es existieren viele kleinere Studien, in denen das eine oder andere Vorgehen zu deutlichen Besserungen geführt hatte – die aber dann in randomisierten Studien mit größeren Patientenzahlen nicht bestätigt werden konnten.

Vor einiger Zeit fanden Forscher heraus, dass ein ARDS keine homogene Entität darstellt, sondern dass es (mindestens) 2 verschiedene Subgruppen gibt (ein hypo- und ein hyperinflammatorisches Syndrom), die unterschiedlich auf ein und dieselbe Therapie reagieren können. Ob das schwierige Vorgehen bei einer Sepsis auf ähnlichen Gründen beruht, haben nun Pratik Sinha und Kollegen untersucht.

Die Wissenschaftler verwendeten dazu 2 prospektiven Beobachtungsstudien zur Sepsis: die VALID-Studie (Validating Acute Lung Injury biomarkers for Diagnosis) mit 1140 Teilnehmern und die EARLI-Studie (Early Assessment of Renal and Lung Injury) mit 818 Teilnehmern. Dabei waren die VALID-Patienten im Schnitt jünger als die EARLI-Patienten (56 vs. 65 Jahre), und in VALID hatten bei Aufnahme in die Studie weniger Patienten Vasopressoren erhalten als in EARLI (48,1 vs. 56,1%), obwohl die Schwere der Erkrankung laut APACHE II vergleichbar war (APACHE: Acute Physiology And Chronic Health Evaluation).

Mit klinischen Daten und Labormarkern aus diesen Arbeiten führten Sinha et al. eine latente Klassenanalyse (Latent Class Analysis, LCA) durch. Bei diesem Verfahren wird zwischen direkt beobachteten Variablen und hypothetisch angekommenen (latenten) Variablen ein Zusammenhang konstruiert. Dabei lässt sich u. a. ermitteln, wie viele Klassen (bzw. Subgruppen einer Erkrankung) am besten zugrunde gelegt werden, um Unterschiede zu erklären. Anhand der Modelle, die sie daraus gewannen, prüften sie dann retrospektiv an 2 weiteren Arbeiten, ob ihre Hypothese von mehreren Sepsis-Untergruppen zutraf und die unterschiedlichen Behandlungseffekte erklären konnte. Dabei handelte es sich um die PROWESS-SHOCK-Studie (Prospective Recombinant Human Activated Protein C Worldwide Evaluation in Severe Sepsis and Septic Shock) und die VASST (Vasopressin and Septic Shock Trial),

Die Auswertung zeigte für die VALID- und die EARLI-Studie, dass ein 2-Klassen-Modell am besten geeignet war, um Subgruppen zu unterscheiden. Für die VALID-Studie ergab sich dabei für 70,5% der Patienten ein hypoinflammatorisches Krankheitsbild (n = 804), für 29,5% ein hyperinflammatorisches Bild (n = 336). Ähnlich lagen die Verhältnisse bei der EARLI-Studie: 64,8% der Patienten wiesen ein hypoinflammatorisches Bild auf, 35,2% ein hyperinflammatorisches Bild. Dabei waren die Ausgangsdaten zwischen den jeweiligen Klassen (1 und 2) deutlich unterschiedlich, wobei sich die Muster in den beiden Studien ähnelten: Bei den hyperinflammatorischen Gruppen war die Konzentration proinflammatorischer Zytokine im Plasma (Interleukin[IL]-8, IL-6, löslicher Tumornekrosefaktor-Rezeptor vom Typ 1) höher, außerdem waren die Marker für Organfunktionsstörungen erhöht (Kreatinin, Bilirubin). Darüber hinaus erhielten die jeweiligen Patienten häufiger Vasopressoren, und bei ihnen lag häufiger eine Bakteriämie vor. Umgekehrt waren die Konzentrationen der Thrombozyten, des Bikarbonats und von Protein C geringer. Die Sterblichkeit lag dagegen höher, alles im Vergleich zu den hypoinflammatorischen Gruppen.

Classifier-Modelle – ob nun aufgrund von Biomarkern (in VASST nur für eine Subgruppe von 285 Patienten verfügbar) oder aufgrund klinischer Variablen erstellt – wiesen auf eine deutliche Übereinstimmung zwischen den beschriebenen ARDS-Typen und den hypothetischen Sepsis-Typen hin. Demnach wiesen in der PROWESS-SHOCK-Studie 68% der Patienten ein hypoinflammatorisches Syndrom auf (n = 1142), 32% ein hyperinflammatorisches Syndrom (n = 538). Darüber hinaus fand sich eine Interaktion zwischen der Behandlung mit Protein C und dem Inflammationsstatus: Patienten mit hypoinflammatorischem Bild wiesen unter der Gabe ein höhere Sterblichkeit auf als Patienten mit hyperinflammatorischem Bild (23,4% vs. 17,3%). In VASST dagegen fand sich ein ähnliches Muster der Phänotypen, aber keinen Interaktion zwischen Behandlung und Outcome.

Und diese Übereinstimmung zwischen ARDS- und Sepsis-Typen galt weiter, wenn bei der Auswertung aus der VALID- und der EARLI-Studie Patienten ausgeschlossen wurden, bei denen an den Studientagen 1 oder 2 ein ARDS diagnostiziert worden war.

FAZIT

Damit finden sich auch bei Sepsispatienten ähnliche molekulare Phänotypen wie schon früher bei ARDS gezeigt, fassen die Autoren zusammen. Diese Phänotypen könnten die unterschiedlichen Behandlungseffekte erklären, die in bisherigen Studien beobachtet wurden. Und das könnte nicht nur für (wie hier beschrieben) Protein C gelten, sondern auch u. a. für Hydrokortison, Simvastatin, Volumengabe und Beatmungsmodus.

Dr. Elke Ruchalla, Bad Dürrheim


Korrespondenzadresse: Dr. Elke Ruchalla, Bad Dürrheim, E-Mail: elke.ruchalla@medizin-recherchen.de

Publikationsverlauf: Artikel online veröffentlicht am 21. März 2024

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