Erstmals seit acht Monaten hat sich in den vergangenen Tagen die Zahl der kritisch kranken Menschen mit COVID-19 auf Österreichs Intensivstationen wieder im zweistelligen Bereich eingependelt. Das sei zwar kein Grund, das Ende der Pandemie auszurufen – zu unberechenbar ist der weitere Verlauf auch angesichts weiterer möglicher Virenmutationen. Aber die aktuelle Entwicklung stelle „doch eine enorme Erleichterung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unseren Spitälern“ dar, sagt der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) Prim. Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder, St. Vinzenz Krankenhaus Zams.
Das Sonderfach Anästhesiologie und Intensivmedizin hatte von Beginn der Corona-Pandemie an wichtige Bereiche des Krisenmanagements zu schultern: Auf den über weite Strecken höchst belasteten Intensivstationen, beim Abarbeiten von OP-Wartelisten unter Hochdruck zwischen den Infektionswellen, oder aufgrund der massiven Zusatzbelastungen in der außerklinischen Notfallmedizin, die ebenfalls zu einem großen Teil von Anästhesiologinnen und Anästhesiologen abgedeckt wird.
„Die Atempause bei der Zahl schwerer COVID-Erkrankungen sollten wir für eine sorgfältige Vorbereitung für den Herbst nutzen, damit wir keine bösen Überraschungen erleben“, betont Prof. Hasibeder. In den einzelnen Häusern ebenso wie in der Ampelkommission und anderen Gremien werde intensiv an verschiedenen Szenerien gearbeitet. Aus Sicht der ÖGARI sei es hier unbedingt notwendig, vorhandene Strukturen, wie zum Beispiel Aufwachräume und Intermediate Care Einheiten (IMCU), personell und teilweise auch apparativ besser auszustatten, sodass diese im Bedarfsfall intensivmedizinisch noch besser genutzt werden können.
„Genauso ist es auch wichtig, über die Lehren zu reflektieren, die wir aus dem bisherigen Pandemieverlauf mittelfristig für die Zukunft ziehen können“, so der ÖGARI-Präsident. Diese Pandemie habe die Schwächen unseres und anderer Gesundheitssysteme genauso wie die Stärken nochmals viel deutlicher gemacht, sagt Prof. Hasibeder. „Unter anderem hat sich unsere im internationalen Vergleich sehr gute Ausstattung mit Intensivbetten in Zeiten hoher Zusatzbelastung durch schwer kranke COVID-19-Patientinnen und Patienten sehr bewährt, allen früheren Unkenrufen diverser Gesundheitsökonomen zum Trotz. Um gut für künftige Krisensituationen gerüstet zu sein ist es unumgänglich, neben der besseren Ausstattung bestehender Strukturen regional unterschiedlich IMCU- und Intensivbereiche auch zu erweitern.“
Es sei aber auch für eine breite Öffentlichkeit deutlich geworden, dass Intensivbetten nur dann ihren Zweck erfüllen können, wenn ausreichend viel spezialisiertes Personal zur Verfügung steht, sagt der ÖGARI-Präsident: „Hier hat sich leider gezeigt: wir haben schon jetzt Engpässe bei der spezialisierten Fachpflege und es drohen in einer ganzen Reihe von Häusern ebensolche bei Fachärztinnen und Fachärzten, wenn wir nicht rasch und konsequent gegensteuern.“ Hier müsse an vielen Rädern gedreht werden, von einer angemessenen Entschädigung für Höchstbelastungen über Finanzierungsmodelle für die Pflegeausbildung bis hin zur Sicherstellung ausreichend vieler und qualitativ hochwertiger Ausbildungsplätze für Fachärztinnen und -ärzte der Anästhesiologie und Intensivmedizin.
Gezeigt habe sich auch, wie wichtig es ist, in Krisenzeiten Ressourcen flexibel einsetzen zu können, so Prof. Hasibeder. „Wichtig ist es hier nicht nur, dass Rechtssicherheit für einen flexiblen Ressourceneinsatz geschaffen wird. Für die Mobilisierung zusätzlicher Personalreserven für die Intensivversorgung, zum Beispiel aus der Anästhesie, hat sich das österreichische Modell als goldrichtig erwiesen. Nämlich ärztliches Personal in der Intensivmedizin auf der Basis eines Grundlagenfaches wie Anästhesie oder Innerer Medizin auszubilden, statt im Rahmen einer eigenen Facharztausbildung. Das sichert flexible Einsatzmöglichkeiten, wie sie in den wenigen Ländern mit einem eigenen Facharzt für Intensivmedizin nicht bestehen. Eine zumindest teilweise Zusammenführung der Spezialausbildungen zur Fachpflege Anästhesiologie und Intensivmedizin würde eine solche flexible Einsetzbarkeit auch von Pflegespezialistinnen und -spezialisten deutlich erhöhen.“