Die Präsentation des Projekts „Acute Community Nurse“ (ACN) durch die Leitstellenorganisation „Notruf 144 Niederösterreich“ hat unterschiedliche und zum Teil auch sehr kritische Reaktionen hervorgerufen. Im Rahmen des Projektes sollen im Bezirk Bruck/Leitha diplomierte Pflegepersonen, die auch eine Notfallsanitäter-Ausbildung haben, in der Akutversorgung im Rahmen des Rettungsdienstes und in der extramuralen Versorgung zum Beispiel chronisch kranker Menschen eingesetzt werden.
Die Präsidenten der Niederösterreichischen und der Österreichischen Ärztekammer, Dr. Christoph Reisner und Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres, monierten, dass hier „mit der Sicherheit der Patientinnen und Patienten aufgrund von Einsparungen gespielt“ würde und „die Betreuung bei akuten gesundheitlichen Problemen nur in der Verantwortung von Ärztinnen und Ärzten liegen“ könne.
Aus Sicht der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI), der anerkannten notfallmedizinischen Fachgesellschaft Österreichs, ist diese Kritik berechtigt. Allerdings sollte die gesamte Entwicklung im Bereich Notfallmedizin differenzierter aufgearbeitet werden. Klar ist, dass schon lange auch nichtärztliche Gesundheitsberufe in die ambulante Betreuung von Patientinnen und Patienten eingebunden sind – und dies natürlich aus gutem Grund und mit vollem Recht. Auch die aktuell in Entwicklung befindlichen „Primary Healthcare“-Zentren (PHC) setzen genau auf dieses arbeitsteilige Konzept. Entscheidend ist allerdings, dass hierbei eine Delegation aber nur medizinisch sinnvolle Maßnahmen mit Patientennutzen in Betracht kommen, und nicht ärztliche Kernaufgaben wie etwa der Einsatz zentral wirksamer Medikamente.
Das „Neue“ an den nun präsentierten „Acute Community Nurses“ (warum eigentlich immer diese Anglizismen?) ist, dass hier in die Ausbildung der Diplompflegeperson auch eine Notfallsanitäterausbildung integriert ist. Dieses Modell wird an der Fachhochschule St. Pölten seit einigen Jahren gelebt. Wenn nun etwa das Rote Kreuz derart ausgebildete Pflegepersonen im Rahmen der qualifizierten Hauskrankenpflege einsetzt, und Notruf 144 diese zudem gemäß einem adäquaten „Indikationskatalog“ zu entsprechenden Leistungen (auch) der Akutversorgung wie zum Beispiel Katheterwechsel, Kanülenpflege oder einfachen Gesundheitsstörungen entsendet, so spricht wohl wenig gegen ein solches Konzept.
Fakt ist, dass es tatsächlich in vielen Regionen einen Mangel an hausärztlicher Verfügbarkeit gibt – nicht zuletzt deshalb wird ja auch das Modell der PHC seitens der Gesundheitspolitik forciert. Tatsache ist auch, dass aktuell der notärztliche Dienst, sei es mittels Notarzteinsatzfahrzeugen oder auch Hubschraubern, nicht selten zu Versorgungsleistungen ausrückt, die mit einem Notfall oder gar Lebensbedrohung wenig bis gar nichts zu tun haben. Dies ist unter anderem dadurch bedingt, dass adäquate extramurale Versorgungseinrichtungen offenbar fehlen.
Was ist also erforderlich?
Aus Sicht der ÖGARI braucht es mehr als ein „Flickwerk“ in der Versorgung durch einzelne medienwirksame Projekte wie das aktuelle in Bruck/Leitha. Was wir vielmehr benötigen ist eine gesamtheitliche Sicht und einen breiten Diskurs (längst) notwendiger Veränderungen, um die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten adäquat abdecken zu können. Besonders die folgenden Punkte müssten umfasst sein:
- Neudefinition der politisch gewünschten und finanzierbaren Strukturen der extramuralen Akut- und Notfallversorgung, unter Einbeziehung der zuständigen Fachgesellschaften, der Rettungsorganisationen, insbesondere deren Ärztlicher Leiter im Rettungs- bzw. Notarztdienst, der Notfallreferate der Ärztekammern, der Leitstellen sowie der Organisationen, die für Hauskrankenpflege und Palliativversorgung verantwortlich sind.
- Umfassende Ausbildungsreform für Sanitätspersonal mit erweiterten klinischen Praktika und daran anschließend auch eine allenfalls erforderliche Kompetenzerweiterung – jedoch nicht umgekehrt!
- Entwicklung klar strukturierter, integrierter ärztlicher Versorgungsmodelle für den ambulanten Bereich, welche den allgemeinmedizinischen und fachärztlichen Bereich umfassen: hier sind bereits bestehende PHC, niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, aber auch Kliniken in den Dialog einzubeziehen.
Auf all diesem kann dann die Disposition der Leitstellen aufbauen – anstatt Stückwerk medial als bahnbrechende Neuerung zu präsentieren.
Autor: Prim. PD Dr. Helmut Trimmel, MSc, Vorsitzender der Sektion Notfallmedizin in der ÖGARI