Die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin wurde um einen Kommentar zu den Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für urogenitale Radiologie (European Society of Urogenital Radiology, ESUR Guidelines on Contrast Agents V 10.0) vom März 2018[1] und den darin formulierten Feststellungen zur Therapie, vor allem aber Prophylaxe kontrastmittelinduzierter allergischer Reaktionen gebeten. Dieser Bitte wird mit dieser Stellungnahme entsprochen.

Autoren:

 Prim. Dr. Helmut Trimmel, MSc (LK Wiener Neustadt)

 OA Dr. Günther Frank (LK Horn)

Für die Behandlung akuter anaphylaktischer bzw. anaphylaktoider Reaktionen existieren zahlreiche und größtenteils übereinstimmende Empfehlungen und Leitlinien[2], [3], [4], denen auch die vorliegenden Empfehlungen der ESUR entsprechen. Von Seiten der ÖGARI darf ergänzend der Vorschlag eingebracht werden, hinsichtlich der vorzuhaltenden Infusionslösungen zum Volumenersatz statt Kochsalz- oder Ringerlösung aufgrund deren unphysiologischer Elektrolytkomposition bzw. Tonizität balancierte Elektrolytlösungen (zum Beispiel ELO-MEL isoton®) zu verwenden. Als antikonvulsive bzw. sedierende Medikation wäre aus Sicht der ÖGARI statt des langwirksamen Diazepam das kurzwirksame, somit besser steuerbare und gut wasserlösliche Midazolam zu empfehlen.

In Hinblick auf den Wert einer prophylaktischen Medikation zur Verhinderung KM-induzierter anaphylaktischer oder anaphylaktoider Reaktionen gibt es vergleichsweise wenig evidenzbasierte Empfehlungen. In der Literatur findet sich oft nur der lapidare Hinweis, dass eine präemptive Gabe von Kortikoiden, H1- bzw. H2-Blockern wohl empfehlenswert wäre, um den Verlauf allergischer Reaktionen abzuschwächen[5], [6]. Rezent wurde eine prospektive Studie über fünf Jahre und 600.000 Untersuchungen mit Kontrastmittelapplikation in Frankreich publiziert, aus der wichtige Erkenntnisse abgeleitet werden können[7]. Hier konnte gezeigt werden, dass Gadolinium-haltige Kontrastmittel (KM) nicht sicherer sind als nicht-ionische jodhaltige KM. Patienten, die eine andere als rein kutane Manifestation der Unverträglichkeitsreaktion gezeigt hatten, also Symptome, die den Kreislauf und/oder die Atmung mitbetreffen (Typ II und III nach Ring und Messmer[8]), sollten nach Meinung der Autoren unbedingt einer weiterführenden Diagnostik unterzogen werden (siehe unten). Der alleinige Wechsel des verabreichten KM und die Gabe einer prophylaktischen Medikation mittels Kortikoiden und Antihistaminika darf hier nicht genügen.

Der ätiologische Mechanismus der meisten Überempfindlichkeitskontrastreaktionen gegen intravenös verabreichte KM ist letztlich nicht vollständig geklärt[9]. Rund 90 Prozent der Reaktionen sind mit der Freisetzung von Tryptase, Histamin und anderen Mediatoren aus zirkulierenden basophilen und eosinophilen Granulozyten verbunden. Viele allergieartige Reaktionen sind jedoch nicht mit einem IgE-Anstieg assoziiert. Dennoch gibt es Hinweise auf IgE-Mediation[10]. Dies erklärt, warum auch Patienten, die noch nie einem KM ausgesetzt waren, bereits bei der ersten Exposition eine schwere Überempfindlichkeitsreaktion zeigen können. Für eine KM-induzierte anaphylaktoide Reaktion ist also keine vorherige Sensibilisierung erforderlich. Es ist wichtig, nach entsprechenden Reaktionen eine strukturierte Diagnostik einzuleiten, die die Bestimmung von Tryptase, Histamin, IgE, ein Differentialblutbild, eventuell auch Interleukin-6 umfasst. Diese sollte zeitnah zum Ereignis (innerhalb von längstens zwei Stunden) erfolgen und nach 24 Stunden wiederholt werden. Ein geeignetes standardisiertes Testkit sollte also bereits im Bereich der Radiologie vorgehalten werden. Im weiteren Verlauf hat unbedingt eine kutane Testung auf das Vorliegen einer Allergie durch ein allergologisches Zentrum zu erfolgen. Bei Bestätigung einer Allergie ist das entsprechende Agens selbstverständlich für den betreffenden Patienten lebenslang kontraindiziert. Das ideale Zeitfenster für eine derartige Testung beginnt vier bis sechs Wochen nach dem Akutereignis[5, 7].

 Tomografie und Kontrastmittel | CC BY-SA 30

Im „Handbuch für den Umgang mit Kontrastmitteln“ (aktuelle Version 10.3 aus 2018) diskutiert die amerikanische Gesellschaft für Radiologie diese Thematik ausführlich und gibt Empfehlungen zur medikamentösen Prophylaxe ab[11]. Im Folgenden wird vor allem darauf Bezug genommen.

Derzeit ist selbst unter Experten die Meinung noch weit verbreitet, dass eine prophylaktische Medikation die Wahrscheinlichkeit einer Reaktion bei Patienten mit hohem Risiko, die ein nicht ionisches jodiertes KM mit niedriger Osmolalität erhalten, verringern kann[12]. Mit Ausnahme der französischen Studie, die immerhin 319 Hypersensitivitätsreaktionen aus rund 600.000 Anwendungen dokumentiert hat, gibt es jedoch dazu nur wenig Daten aus größeren Kollektiven. O’Malley und Mitarbeiter konnten in einer randomisierten Studie zeigen, dass eine medikamentöse Prophylaxe bei Patienten mit mittlerem Risiko vor der Verabreichung eines modernen jodierten Kontrastmittels mit niedriger Osmolalität die Wahrscheinlichkeit leichter Ereignisse verringert. Die Studie hatte jedoch zu wenig Power, um die Auswirkung bei mittelschweren und schweren Reaktionen zu bewerten12. Tramér et al. sahen in einer Metaanalyse aus 2006 den Stellenwert der Prophylaxe ebenfalls kritisch, allerdings lagen keine Daten zur kombinierten Gabe von Kortikoiden und Antihistaminika vor[13]. Die zur Verhinderung einer Reaktion erforderliche Zahl an mittels prophylaktischer Medikation behandelten Patienten dürfte jedoch sehr hoch sein[14], [15]. Schätzungen gehen von einer „number needed to treat“ (NNT) von 69 aus, um eine einzige Reaktion bei Hochrisikopatienten zu verhindern. Die NNT für die Verhinderung einer schweren Reaktion dürfte bei 569 liegen[6], jene zur Verhinderung einer tödlichen Reaktion bei Patienten mit hohem Risiko wird auf 50.000 geschätzt[9]. Dies zieht bei routinemäßigem Einsatz einer medikamentösen Prophylaxe durchaus relevante Kosten nach sich. Prophylaktische Medikation kann auch nicht alle KM-Reaktionen verhindern9, [16], [17]. Patienten, die wegen einer anamnestisch bekannten Reaktion vorbehandelt werden, weisen mit 2,1 Prozent eine Durchbruchreaktionsrate auf, die drei- bis viermal so hoch ist wie die normale Reaktionsrate in der Allgemeinbevölkerung. Patienten, die für andere Indikationen (zum Beispiel unspezifischer Verdacht auf Allergie) vorbehandelt wurden, zeigen hingegen eine Durchbruchreaktionsrate nahe null Prozent12. Eine rezente Studie aus Südkorea berichtet über eine digitale Unterstützung in der Auswahl der für eine prophylaktische Medikation in Frage kommenden Patienten: Hypersensitivitätsreaktionen bei Risikopatienten konnten damit von 15,2 Prozent auf 6,7 Prozent reduziert werden[18]. Clement und Mitarbeiter warnen aber wohl zu Recht eindringlich davor, sich auf die Prophylaxe zu verlassen[7]. All dies unterstreicht, dass harte Evidenz durch kontrollierte Studien zur eindeutigen Beantwortung dieser Frage aller Voraussicht nach wohl auch in Zukunft nicht zu erwarten sein wird.

Das Risiko, das mit der Verabreichung einer medikamentösen Prophylaxe verbunden ist, ist vergleichsweise gering[19]. Es umfasst vorübergehende Leukozytose, transiente, in der Regel asymptomatische Hyperglykämie und ein fraglich erhöhtes Infektionsrisiko. Die sedierende Wirkung von Antihistaminika verbietet das Lenken von Fahrzeugen im Anschluss an eine Untersuchung. Die durch prophylaktische Medikamentengabe entstehenden Kosten können durch orale Verabreichung vergleichsweise moderat gehalten werden. Die orale Kortison-Prophylaxe ist auch hinsichtlich ihrer Wirksamkeit mit höherer Evidenz belegt[9, 12]. Oral verabreichte H1-Blocker können die Ausprägung von Urtikaria, Angioödem und respiratorischen Symptomen reduzieren, wenn sie in ausreichendem zeitlichen Abstand gegeben werden. H2-Blocker sind noch wenig untersucht, es gibt aber Hinweise auf Vorteile bei additiver Gabe[20].

Die aktuellen amerikanischen Empfehlungen zur medikamentösen Prophylaxe lauten wie folgt:

Orale Medikation: ambulante oder stationäre Patienten mit einer früheren allergieähnlichen oder fraglichen Reaktion auf KM, wenn die Durchführung der Untersuchung geplant und nicht unmittelbar dringlich ist.

Intravenöse Medikation: ambulante oder stationäre Patienten mit einer früheren allergieähnlichen oder fraglichen Reaktion auf KM, wenn die Durchführung der Untersuchung zeitlich dringlich ist, nicht umgeplant werden kann oder durch eine Verzögerung der Untersuchung Nachteile für den Patienten entstehen können. Die intravenöse Gabe soll so früh wie möglich begonnen werden, um eine Wiederholung nach vier Stunden, jedoch noch vor der KM-Gabe zu ermöglichen.

ORALE MEDIKATION

  • Prednisolon-Schema: 50 mg Prednisolon oral jeweils 13, sieben und eine Stunde vor der KM-Gabe, plus 50 mg Diphenhydramin (Dibondrin®) intravenös, intramuskulär oder oral eine Stunde vor der KM-Gabe. Bei Patienten, die nicht schlucken können, kann Prednisolon auch durch jeweils 200 mg Hydrocortison i. v. ersetzt werden[12].
  • Methylprednisolon-Schema: 32 mg Methylprednisolon oral 12 sowie zwei Stunden vor der Kontrastmittelgabe; optional plus 50 mg Diphenhydramin intravenös, intramuskulär oder oral eine Stunde vor der KM-Gabe[21]

INTRAVENÖSE MEDIKATION

  • Methylprednisolon (zum Beispiel Solu-Medrol®) 40 mg intravenös oder Hydrocortison (zum Beispiel Solu-Cortef®) 200 mg, alternativ auch Dexamethason (zum Beispiel Fortecortin®) 7,5 mg intravenös. Nach vier Stunden Wiederholung in gleicher Dosierung, plus 50 mg Diphenhydramin (Dibondrin®) eine Stunde vor der KM-Verabreichung[22].

ALTERNATIVE FÜR NOTFALLSITUATIONEN

  • Methylprednisolon (zum Beispiel Solu-Medrol®) 40 mg oder Hydrocortison (zum Beispiel Solu-Cortef®) 200 mg intravenös plus 50 mg Diphenhydramin (Dibondrin®) eine Stunde vor KM-Gabe. Für Behandlungsschemata mit einer Dauer von weniger als vier bis fünf Stunden gibt es allerdings keinen Beweis der Wirksamkeit.

Die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin schließt sich diesen Empfehlungen zur prophylaktischen Medikation im Wesentlichen an.

Obwohl der Stellenwert einer Prophylaxe nach wie vor als unklar bezeichnet werden muss, sollte nicht gänzlich darauf verzichtet werden. Das Risiko einer KM-induzierten Hypersensitivitätsreaktion muss stets mit einkalkuliert werden, auch wenn eine vorbereitende Medikation gegeben wurde.

Hochrisikopatienten, die anamnestisch eine Kontrastmittelunverträglichkeit aufweisen, müssen einer allergologischen Abklärung zugeführt und ein gemäß Austestung verträgliches Kontrastmittel erhalten. Zusätzlich sollte eine medikamentöse Prophylaxe (Kortikoid + H1- + H2-Blocker) verabreicht werden. Bei anamnestisch unklarem Zwischenfall im Rahmen einer radiologischen Voruntersuchung sollte die allergologische Abklärung ebenfalls erwogen und eine medikamentöse Prophylaxe durchgeführt werden.

Wenn eine orale Gabe nicht möglich ist, sollte die medikamentöse Prophylaxe intravenös erfolgen und dabei ein zeitlicher Abstand zwischen der ersten Kortisongabe und der Applikation des Kontrastmittels von mindestens vier Stunden eingehalten werden. Die Gabe von H1- plus H2-Blocker sollte mindestens eine Stunde vor der Kontrastmittelgabe erfolgen. Eine zweite Kortikoidgabe unmittelbar vor der Untersuchung ist zu empfehlen.

Die medikamentöse Prophylaxe darf jedoch eine Untersuchung bei Vorliegen einer dringlichen Indikation und dem Risiko einer relevanten Verschlechterung des Gesundheitszustands bzw. vitalen Gefährdung keinesfalls verzögern. Eine entsprechende Entscheidung ist im Konsens von Radiologie und behandelnder Disziplin zu treffen und zu dokumentieren.

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Referenzen:

[1] ESUR – Guidelines on Contrast Agents V 10.0. Internet: http://www.esur.org/guidelines/de/

[2] Truhla?? A et al. European Resuscitation Council Guidelines for Resuscitation 2015 Section 4. Cardiac arrest in special circumstances. Resuscitation 95. 2015;148–201.

[3] AWMF Leitlinie zu Akuttherapie und Management der Anaphylaxie. Allergo J Int 2014;23:96. Internet: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/061-25l_S2k_Akuttherapie_anaphylaktischer_Reaktionen

[4] Muraro A et al. Anaphylaxis: guidelines from the European Academy of Allergy and Clinical Immunology. Allergy. 2014; 69:1026e1045.

[5] Pfu?tzner W et al. Perioperative drug reactions – practical recommendations for allergy testing and patient management. Allergo J Int. 2018;27(4):126–129.

[6] Frühmorgen P. Gastroenterologische Endoskopie: Ein Leitfaden zur Diagnostik und Therapie (4. Aufl., Springer Verlag. ISBN 978-3-642-636571-7).

[7] Clement O et al. Immediate Hypersensitivity to Contrast Agents: The French 5-year CIRTACI Study. EClinicalMedicine 2018. 1:51–61.

[8] Ring J et al. Incidence and severity of anaphylactoid reactions to colloid volume substitutes. Lancet 1977;1:466–9.

[9] Lasser EC et al. Pretreatment with corticosteroids to alleviate reactions to intravenous contrast material. N Engl J Med 1987;317(14):845–849.

[10] Laroche D et al. Mechanisms of severe, immediate reactions to iodinated contrast material. Radiology 1998;209(1):183–190.

[11] ACR – Manuel on Contrast Media. Internet: https://www.acr.org/Clinical-Resources/Contrast-Manual

[12] O’Malley RB et al. A survey on the use of premedication prior to iodinated and gadolinium-based contrast material administration. J Am Coll Radiol 2011;8(5):345–354.

[13] Tramèr MR et al. Pharmacological prevention of serious anaphylactic reactions due to iodinated contrast media: systematic review. BMJ. 2006 Sep 30;333(7570):675.

[14] Mervak BM et al. Rates of Breakthrough Reactions in Inpatients at High Risk Receiving Premedication Before Contrast-Enhanced CT. AJR Am J Roentgenol 2015;205(1):77–84.

[15] Davenport MS et al. Indirect Cost and Harm Attributable to Oral 13- Hour Inpatient Corticosteroid Prophylaxis before Contrast-enhanced CT. Radiology 2016; 279 (2):492–501.

[16] Freed KS et al. Breakthrough adverse reactions to low-osmolar contrast media after steroid premedication. AJR Am J Roentgenol 2001; 176 (6):1389–1392.

[17] Davenport MS et al. Repeat contrast medium reactions in premedicated patients: frequency and severity. Radiology 2009; 253(2):372–379.

[18] Bae, Yun-Jeong et al. The effectiveness of automatic recommending system for premedication in reducing recurrent radiocontrast media hypersensitivity reactions. PLoS One. 2013;8(6): e66014.

[19] Davenport MS et al. Hyperglycemic consequences of corticosteroid premedication in an outpatient population. AJR Am J Roentgenol 2010;194(6):W483–488.

[20] Lin RY et al. Improved outcomes in patients with acute allergic syndromes who are treated with combined H1 and H2 antagonists. Ann Emerg Med 2000;36(5):462–468.

[21] Greenberger PA et al. The prevention of immediate generalized reactions to radiocontrast media in high-risk patients. J Allergy Clin Immunol 1991;87(4):867-72.

[22] Mervak BM et al. 5-hour intravenous corticosteroid premedication has a breakthrough reaction rate that is non-inferior to that of a traditional 13-hour oral regimen. Radiology. 2017 Nov;285(2):425–433.

Erschienen in den Anästhesie Nachrichten 3/2019