Es gibt eine Reihe von Gründen, wieso die Zahl der Krebspatienten auf der Intensivstation stetig zunimmt. Die Fortschritte der Krebstherapie, die unter anderem zu aggressiveren Therapien führten, sind eine Ursache. Außerdem erhalten immer mehr ältere und – im Gegensatz zu früher – multimorbide Patienten eine nebenwirkungsträchtige Krebstherapie. Die Zahl der Tumorpatienten auf der Intensivstation steigt daher stetig an. Das unterstreicht die Notwendigkeit einer interdisziplinären Zusammenarbeit der Onkologen mit den Intensivmedizinern.
Das Lebenszeitrisiko für eine Krebserkrankung liegt US-Daten zufolge bei 41 %. Tumorpatienten haben dabei ein überdurchschnittlich hohes Risiko, im Verlauf ihrer Erkrankung einer intensivmedizinischen Behandlung zu bedürfen, wobei derzeit rund 15–20 % der Intensivpatienten Tumorpatienten sind.
Aggressive Krebstherapie zunehmend auch bei älteren und multimorbiden Patienten
Der Anteil intensivmedizinischer Behandlungen dürfte durch Fortschritte in der Hämatoonkologie künftig noch steigen, vermutet Prof. Michael von Bergwelt, München. Denn neue Therapieoptionen wie die zielgerichtete Therapie oder die CAR-TZell-Therapie (CAR: „chimeric antigen receptor“) gehen nicht selten mit gravierenden Nebenwirkungen einher, die das Risiko für die Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Behandlung steigern können. So scheint die CAR-T-Zell-Therapie ein inflammatorisches Milieu zu fördern und rund 25 % der Patienten scheinen unter dieser Therapie eine ausgeprägte Neutropenie zu entwickeln.
In gewisser Weise vorhersagen, wer so reagieren wird, lässt sich nach von
Bergwelt anhand der Werte des C-reaktiven Proteins sowie des Ferritins. Diese können als eine Art hämatotoxischer Score zur Einschätzung des Verlaufs genutzt werden.
Hinzu kommt nach Angaben des Intensivmediziners, dass zunehmend ältere Patienten und auch kranke, multimorbide Tumorpatienten eine aggressive Antitumorbehandlung erhalten und dies auch immer häufiger im ambulanten Setting.
Die Entwicklung ist gerechtfertigt, denn den Fortschritten in der Hämatoonkologie stehen auch Fortschritte in der Intensivmedizin
gegenüber, welche die Prognose der Patienten verbessern. „Ich sehe in diesem Spannungsfeld eine dichotome Entwicklung“, sagte von Bergwelt. „Wir trauen uns, Krebspatienten – auch im ambulanten
Bereich – aggressiver zu behandeln, und wir sind besser in der supportiven Therapie geworden“.
Als ein Hauptproblem bezeichnete der Mediziner Infektionen. Diesen ist jedoch durch eine antifungale Prophylaxe sowie durch Screeningmaßnahmen und die Verfügbarkeit neuer Antibiotika besser zu begegnen als früher. Dennoch bleiben Infektionen ein zentrales Problem, was nach von Bergwelt insbesondere für bakterielle Infektionen gilt.
Oft noch Skepsis gegenüber der Intensivmedizin
Die verbesserten Möglichkeiten der intensivmedizinischen Behandlung sind allerdings noch nicht allen Kollegen bewusst, monierte von Bergwelt. Das betrifft insbesondere Tumorpatienten. So ist nach wie vor die Ansicht zu hören, dass eine intensivmedizinische Therapie die Prognose der Patienten kaum bessere, jedoch eine erhebliche Einbuße an Lebensqualität bedeute. Doch die Prognose von Patienten auf der Intensivstation bessert sich stetig. Die Überlebensraten liegen bei Krebspatienten laut von Bergwelt derzeit bei 60–70 %. Zugleich bessert sich die Prognose der Patienten kontinuierlich, die eine intensivmedizinische Versorgung überleben.
Entscheidend ist die Akuterkrankung
Letztlich bestimmt die Akuterkrankung die Prognose des Intensivaufenthalts, die onkologische Grunderkrankung spielt eine
nachrangige Rolle. „Daher ist eine frühe Intensivaufnahme instabiler Krebspatienten beispielsweise bei der Einleitung einer Polychemotherapie sinnvoll und sicher“, erläuterte der Intensivmediziner. Ihm zufolge besteht zudem der Irrglaube, die Lebensqualität der Tumorpatienten sei nach der
intensivmedizinischen Behandlung massiv eingeschränkt. „Die Lebensqualität ist nach eigenem Bekunden bei den meisten Intensivüberlebenden unverändert“, sagte von Bergwelt. Auch die onkologische Behandelbarkeit ist nach seiner Darstellung kaum beeinträchtigt und liegt bei etwa 80 %.
Bemerkenswert sind nach von Bergwelt Befunde, wonach das Outcome der Patienten sich überproportional bessert, wenn der Onkologe einmal am Tag zur Visite kommt. Das unterstreicht die Notwendigkeit einer interdisziplinären Zusammenarbeit der Onkologen mit den Intensivmedizinern. Als eine Art Zukunftsperspektive zeichnete der Mediziner eine Veränderung des Rollenbilds der Intensivmedizin, bei der es auch bei Tumorpatienten zunehmend mehr um die Prävention als um die aktive Behandlung von Komplikationen gehen wird.
Christine Vetter, Köln
Quelle: 25. Münchner LymphomWorkshop:
„Hämatoonkologie: Was hat sich getan in 25 Jahren?“ am 16. und 17. Dezember 2022 in München.
Veranstalter: German Lymphoma Alliance e. V. – GLA, Münster.