Cannabinoide werden intensiv erforscht und gewinnen in verschiedenen medizinischen Anwendungsgebieten zunehmend an Bedeutung. Zur österreichischen Arzneipflanze des Jahres hat das Blog-Redaktionsteam mit ÖGARI-Präsident Prof. Rudolf Likar gesprochen.
Wegen ihrer aktuellen Bedeutung und ihrem vielfältigen Wirkstoffspektrum hat die Herbal Medicinal Products Platform Austria (HMPPA) kürzlich Cannabis sativa L zur österreichischen Arzneipflanze des Jahres 2018 gewählt. Forschergruppen in aller Welt publiziert laufend neue Erkenntnisse über die Wirkung der einzelnen Cannabinoide. Es gibt 104 Cannabinoid-Verbindungen, die sich hinsichtlich ihrer Verwendbarkeit als Arzneimittelstoff stark unterscheiden. Einsatzgebiete von Cannabinoiden sind etwa chronische Schmerzen, Spastizität, Übelkeit und Erbrechen, gastrointestinale Störungen oder bestimmte Epilepsie-Formen.
Die österreichische Rechtslage ist klar: Cannabisblüten oder Marihuana dürfen nicht für medizinische Zwecke eingesetzt werden, erlaubt sind nur Fertigarzneimittel oder magistraliter zubereitete Arzneimittel mit den Inhaltsstoffen Tetrahydrocannabinol (THC) oder Cannabidiol (CBD). „Nach derzeitigem Wissenstand gibt keine Hinweise darauf, dass Blüten oder Marihuana wirksamer und sicherer wären als die bereits verschreibbaren und in klinischen Studien untersuchten Cannabinoid-Medikamente“, sagt ÖGARI-Präsident Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, Vorstand der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Klinikum Klagenfurt am Wörthersee.
THC gegen Übelkeit, Erbrechen und Appetitlosigkeit
Bei den medizinischen Anwendungen im Vordergrund stand zunächst die bekannteste Substanz, das Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC). Ihre psychotropen Eigenschaften bescherten Cannabis den Ruf als Rauschmittel. THC wirkt aber auch schmerzstillend, entzündungshemmend und appetitanregend. Eine aktuelle österreichische Arbeit zeigt, dass sich Dronabinol – der internationale Freiname für THC – gut für onkologischen Patienten in der Palliativmedizin eignet. „Wenn keine andere Therapie gegen Übelkeit und Erbrechen hilft, ist die Behandlung mit Dronabinol zusätzlich zu etablierten Antiemetika sinnvoll“, sagt Prof. Likar. Er hat mit seinem Team die Untersuchung durchgeführt. „Für die Behandlung von Appetitlosigkeit ist es sogar das Mittel erster Wahl. Gerade in der Palliativmedizin haben kaum andere Optionen.“
Zusatzmedikation bei starken Schmerzen
Als Schmerzmittel können Cannabis-Produkte allerdings keine Wunder bewirken. „Die Cannabinoid-Medikamente sind kein gleichwertiger Ersatz für Opioide bei starken und stärksten Schmerzen“, betont Prof. Likar. Sie zeigen sich aber in der Schmerzreduktion gegenüber Placebo überlegen und haben nur selten schwerwiegende Nebenwirkungen. Die Autoren der deutschen CaPRiS-Studie stellen zudem „sekundäre Wirksamkeitsbelege“ der Cannabinoid-Arzneimittel fest, zum Beispiel eine Reduktion der durchschnittlichen Schmerzintensität. Cannabinoide werden daher in der Regel mit etablierten Analgetika kombiniert – auch um potenzielle Nebenwirkungen anderer Substanzen abzumildern.
Cannabidiol (CBD) nicht psychoaktiv, kaum Nebenwirkungen
Auch der Inhaltsstoff Cannabidiol (CBD), der aus der weiblichen Hanfpflanze gewonnen wird, gewinnt für verschiedene medizinische Anwendungsbereiche an Bedeutung. Er hat krampflösende und angsthemmende Eigenschaften sowie antiemetische und entzündungshemmende Effekte.
Bisweilen wurden Bedenken formuliert, CBD könnte im Magen in psychotropes THC umgewandelt werden. Diese Bedenken konnten neuere Erkenntnisse inzwischen zerstreuen: CBD bindet sich nicht an CB1-Rezeptoren und ist daher frei von psychotropen Effekten. Unter Laborbedingungen kann CBS zwar in THC und andere Cannabinoide umgewandelt werden. Dies geschieht unter Einsatz von künstlich hergestellter Säure, die der Magensäure ähnelt. Doch solche In-vitro-Experimente lassen keine Rückschlüsse auf den menschlichen Körper zu, so Prof. Likar: „Die physiologischen Zustände im Magen weichen stark ab von jenen, die im Labor erzeugt werden. Daher überrascht es auch nicht, dass die Umwandlung von oral eingenommenem CBD zu THC und seinen Metaboliten selbst nach Einnahme von hohen Dosen nicht festgestellt wurde. Typische psychotrope Wirkungen von THC wie Benommenheit, Euphorie, Konzentrationsschwäche, Übelkeit oder Herzrasen wurden in keiner der kontrollierten randomisierten Studien zur Einnahme von CBD beobachtet.“
Prof. Likar sieht Einsatzgebiete für Cannabidiol als additive Therapie bei Patienten, bei denen schwere Schmerzsymptome infolge von Krebserkrankungen, Fibromyalgie oder anderen Ursachen auch mit starken Medikamenten wie Opioiden nicht ausreichend unter Kontrolle gebracht werden können.
Eine neuere britische Arbeit legt nahe, dass CBD helfen könnte, die Entwicklung von peripheren Neuropathien bei einer Chemotherapie zu verhindern und somit die neuropathischen Beschwerden von Krebspatienten lindern. Seine Wirksamkeit könnte durch den gleichzeitigen Einsatz von geringen Dosen von THC verstärkt werden.
CBD ist in Österreich derzeit eine Rezeptursubstanz, Zubereitungen sind über Apotheken erhältlich. Es werden jedoch für CBD in Europa und den USA erste Arzneimittel-Zulassungen zur Behandlung frühkindlicher Epilepsie und Schizophrenie bekommen. (Redaktionsteam/SW).