Experten: Weitere Steigerungen bei den Infektionszahlen vermeiden und intensivmedizinische Ressourcen bedarfsgerecht anpassen, um die gesamte Gesundheitsversorgung zu schützen
Zur Debatte um die intensivmedizinischen Kapazitäten für schwer an COVID-19 Erkrankte, das Gefahrenpotenzial der Erkrankung und die therapeutischen Möglichkeiten melden sich heute die intensivmedizinischen Fachgesellschaften ÖGARI*, ÖGIAIN** und FASIM*** in einer gemeinsamen Erklärung zu Wort.
„Es ist zu begrüßen, dass die Frage der intensivmedizinischen Ressourcen im Zusammenhang mit der SARS-CoV-2-Pandemie einen wichtigen Stellenwert in der Diskussion einnimmt“, so ÖGARI-Präsident Univ.-Prof. Dr. Klaus Markstaller. „Allerdings wird sie häufig mit Argumenten außerhalb der intensivmedizinischen Fachexpertise geführt. Hier tragen wir gerne Fakten bei. Denn die Ausbreitung von SARS-CoV-2 hierzulande ist weiterhin sehr besorgniserregend und aus intensivmedizinischer Sicht gibt es keinen Grund für eine Entwarnung, was die Ressourcensituation betrifft.“
In den zwei Monaten zwischen 12. August und 12. Oktober stieg die Zahl der Patientinnen und Patienten, die wegen einer COVID-19 Erkrankung auf einer Normalstation aufgenommen wurden, von 118 auf 561, die Zahl der Intensivpatientinnen und -patienten von 25 auf 97.
SARS-COV-2 ist eine neue Variante der Corona-Viren mit häufig schwerwiegenden Folgen. Ungefähr jede fünfte Person, die wegen einer Infektion mit SARS-CoV-2 stationär aufgenommen werden muss, benötigt eine intensivmedizinische Behandlung.
„Die weltweite Dynamik der Infektionszahlen spricht dafür, dass SARS-COV-2 zukünftig ein fixer Bestandteil unseres Viruspools sein wird. Zusammen mit anderen saisonalen Viruserkrankungen wie Influenza oder RSV werden COVID-19 Infektionen daher zu zusätzlichen Fallzahlen von intensivmedizinisch zu betreuenden Patientinnen und Patienten beitragen“, wie ÖGIAIN-Präsident Univ.-Prof. Dr. Michael Joannidis erläutert. „Ein dauerhafter, vermutlich jahreszeitlich fluktuierender Mehrbedarf an intensivmedizinischen Ressourcen kann zwar bei Spitzenbelastungen durch die vorübergehende Reduktion anderer ressourcenintensiver Interventionen für kurze Zeit kompensiert werden, das Ziel muss jedoch eine kontinuierliche Versorgung aller Patientinnen und Patienten mit intensivmedizinischem Behandlungsbedarf sein.“ Die Sicherstellung der intensivmedizinischen Versorgung für alle kritisch kranken Personen erfordere zumindest die Aufrechterhaltung der bisherigen Ressourcen, in manchen Bereichen auch ihren weiteren Ausbau, so der Experte. Zusätzlich liege die Verantwortung für die Eingrenzung der Pandemie und damit auch der Schonung intensivmedizinischer Ressourcen bei jeder und jedem Einzelnen.
Keine Durchbrüche bei neuen Medikamenten, Behandlung bleibt Herausforderung
Nicht nachvollziehen kann Prof. Markstallerdie immer wieder vorgebrachte Darstellung, wonach sich im Vergleich zum Frühjahr die Behandlungsmöglichkeiten von COVID-19 dramatisch verbessert hätten und schon deshalb trotz steigender Infektionszahlen die Versorgungsressourcen nicht in Gefahr seien, überfordert zu werden: „Tatsache ist, dass wir seit Beginn der Pandemie sehr viel über diese Erkrankung, die zunächst eine große Unbekannte war, gelernt haben und weiter lernen. Es ist aber auch so, dass große therapeutischen Durchbrüche mit experimentell eingesetzten Substanzen, auf denen viele Hoffnungen ruhten, so bisher nicht eingetreten sind.“ Prof. Joannidis: „Outcome-Verbesserungen haben wir im Wesentlichen durch den Einsatz von gerinnungsmodulierenden Substanzen und von Kortikosteroiden erreicht, die nachweislich die Sterblichkeit bei beatmeten Patienteninnen und Patienten senken. Die schweren Verläufe der Erkrankung mit der Konsequenz langer Aufenthalte auf der Intensivstation und großen Herausforderungen für die daran anschließende Rehabilitation bleiben aber ressourcenintensiv.“ Es gebe somit auch im Vergleich zum Frühling keinen Grund zur Entwarnung.
Unverändert hohe Rate an schweren Verläufen, ressourcenintensive Versorgung
Nach wie vor benötigen 20 Prozent aller in Österreich hospitalisierten COVID-19-Patientinnen und -Patienten intensivmedizinische Betreuung. Derzeit ist ein gesamtösterreichisches Register mit Daten aus Intensivstationen im ganzen Land im Aufbau und wird in der Zukunft dazu wichtige Fakten liefern. „Die höchste Verweildauer an Intensivstationen ist laut einer aktuellen Analyse des Gesundheitsministeriums bei den 50- bis 64jährigen Betroffenen zu verzeichnen und liegt im Schnitt bei 14 Tagen. Das zeigt auch die hohe Belastung, die eine weitere Ausbreitung von SARS-CoV-2 für unsere Ressourcen bedeuten kann und die es zu vermeiden gilt,“ betont FASIM-Präsident Univ.-Prof. Dr. Andreas Valentin.
Infektionsvermeidung = Intensivmedizinische Ressourcen und Routineversorgung absichern
„Wenn wir nicht weiter sehr achtsam sind und die Anstrengungen der Infektionsvermeidung wieder verstärken, werden nicht nur die Infektionszahlen weiter steigen, sondern natürlich auch die Zahl der Hospitalisierungen und intensivpflichtigen Fälle“, betont Prof. Valentin. „Wir müssen jedenfalls alle Anstrengungen unternehmen, um eine Situation zu vermeiden, in der wir womöglich zur Absicherung von ausreichenden Intensivkapazitäten für die Pandemie in der Routineversorgung nicht mehr alle erforderlichen Leistungen für alle Patientengruppen erbringen können.“ Zu Recht werde häufig eingefordert, über COVID-19 nicht andere Erkrankungen zu vernachlässigen. „SARS-COV-2 wird uns noch länger begleiten, deshalb müssen wir unser Versorgungssystem rechtzeitig an den erhöhten Bedarf anpassen“, so die Präsidenten der drei Fachgesellschaften.
*Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (www.oegari.at); Präsident Univ.-Prof. Dr. Klaus Markstaller, Wien
**Österreichische Gesellschaft für Internistische und Allgemeine Intensivmedizin und Notfallmedizin (www.intensivmedizin.at); Präsident Univ.-Prof. Dr. Michael Joannidis, Innsbruck
***Verband der intensivmedizinischen Gesellschaften Österreichs (www.fasim.at); Präsident Univ.-Prof. Dr. Andreas Valentin, Schwarzach i.P.
Quelle: ÖGARI-Pressemitteilung, 13. Oktober 2020