„MitGefühl zum Schmerz“ war das Motto des Deutschen Schmerzkongresses, der von 9. bis 12. Oktober in Mannheim stattgefunden hat. Mehr als 2.300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutierten eine breite Palette aktueller Themen aus der Schmerzmedizin – von der Frage, welche Rolle Achtsamkeit in Therapiekonzepten spielen muss, bis hin zu den neuen Leitlinien zur Behandlung neuropathischer Schmerzen.

„In den Neurowissenschaften gab es in den letzten 15 Jahren mit der Entdeckung der Spiegelneuronen einen revolutionären Durchbruch“, erklärte Prof. Dr. Christian Maihöfner, Präsident des Deutschen Schmerzkongresses 2019 und Chefarzt der Neurologischen Klinik am Klinikum Fürth, das Kongressmotto „MitGefühl zum Schmerz“. „Diese Spiegelneuronen liefern nicht nur die Basis für wichtige Interventionen wie die Spiegeltherapie, sondern sie sind auch ein wichtiges neuronales Element für Empathie und Mitgefühl. Beide Aspekte sind heute in der Schmerztherapie nicht mehr wegzudenken. Empathie ist ein wichtiger Bestandteil zur Entwicklung einer vertrauensvollen Beziehung, etwa zwischen Arzt und Patient. Achtsamkeitsbasierte Therapieverfahren haben in den letzten Jahren erhebliche Aufmerksamkeit erlangt. Es wird vermutet, dass Achtsamkeit auch Empathie verstärken kann.“

Neue Leitlinie zu Diagnose und Therapie neuropathischer Schmerzen

Eines der viel diskutierten Kongressthemen war die neue S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zur Diagnose und Therapie neuropathischer Schmerzen. Die Prävalenz neuropathischer Schmerzen liegt bei drei bis fünf Prozent der Bevölkerung, sie sind oft schwer zu diagnostizieren, auch die Therapie gilt als schwierig. „Die neue Leitlinie betont, dass die ausführliche Befragung der Patienten und eine genaue klinische Untersuchung essenziell sind“, so Prof. Dr. Claudia Sommer, Präsidentin der Deutschen Schmerzgesellschaft und Leitende Oberärztin an der Neurologischen Klinik und Poliklinik des Uniklinikums Würzburg. „Es wird auch auf die Wertigkeit verschiedener Untersuchungsverfahren eingegangen.“ Die diesbezüglich wichtigsten Empfehlungen: Die Diagnose neuropathischer Schmerzen stützt sich auf die typischen Symptome und Befunde neuropathischer Schmerzen, insbesondere die Kombination von Minussymptomen, also sensiblen Defiziten, und Plussymptomen wie brennende Schmerzen, einschießende Schmerzattacken, Allodynie oder Hyperalgesie. Die Schädigung oder Läsion des somatosenorischen Systems muss mittels klinisch-neurologischer Untersuchung und konfirmatorisch mittels apparativer Diagnostik nachgewiesen werden. Die Hautbiopsie kann weiterhin – mit Einschränkungen – als Goldstandard in der Diagnostik von Small-Fiber-Neuropathien angesehen werden. Etablierte nicht invasive Methode sind die quantitative sensorische Testung (QST) und die Untersuchung von Laser-evozierten Potenzialen, wobei Letztere nur in spezialisierten Zentren verfügbar ist. Pain-evoked potentials, die korneale konfokale Mikroskopie sowie Axonreflextests sind ebenfalls Verfahren zum Nachweis einer C- bzw. A-delta-Faserschädigung, sind in der Regel jedoch nur in spezialisierten Zentren verfügbar und nicht für alle Tests existieren validierte Normwerte.

In der Therapie sollten, so postuliert die neue Leitlinie, die Möglichkeiten einer kurativen oder kausalen Therapie ausgeschöpft werden, zum Beispiel Neurolyse bei Engpasssyndromen oder eine optimale Diabeteseinstellung bei diabetischer Neuropathie.  „Die Therapie zielt neben einer Schmerzlinderung auch auf eine Verbesserung in psychosozialen Bereichen ab“, betont DSG-Präsidentin Prof. Sommer. „Dazu zählen eine Verbesserung der Lebensqualität, der Schlafqualität, der Erhaltung der sozialen Aktivität und des sozialen Beziehungsgefüges, die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit und eine Verbesserung der Funktionalität.“

Für die pharmakologische Therapie empfiehlt die Leitlinie als erste Wahl die Antikonvulsiva mit Wirkung auf neuronale Kalziumkanäle (also Gabapentin und Pregabalin) sowie tri- und tetrazyklische Antidepressiva und den selektiven Serotonin-/Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer Duloxetin. Letzterer ist allerdings nur zugelassen zur Behandlung der diabetischen Neuropathie. In der topischen Therapie sind Lidocain-5 %- und Capsaicin-8 %-Pflaster wirksam und, wie die Leitlinie betont, bei fokalen Nervenläsionen bei geringeren Nebenwirkungen bevorzugt einsetzbar. Opioide sind laut Leitlinie wirksam, wobei aber die Nebenwirkungen und das Abhängigkeitspotenzial beachtet werden sollten. Hochpotente Opioide sowie das niederpotente Opioid Tramadol, das zusätzlich noch über eine noradrenerge und serotonerge Wiederaufnahme-Hemmung auf die endogene deszendierende Schmerzhemmung wirkt, können als Medikamente der dritten Wahl empfohlen werden.

Carbamazepin und Oxcarbazepin können für neuropathische Schmerzen aufgrund der geringen Evidenz und der häufigen Nebenwirkungen nicht generell empfohlen werden, können jedoch im Einzelfall erwogen werden. Nur für die Trigeminusneuralgie  ist Carbamazepin jedoch weiterhin das Mittel der ersten Wahl. Lamotrigin kann aufgrund der unzureichenden Datenlage nicht generell empfohlen werden, auch wenn es Hinweise aus kleineren Einzelstudien auf einen Effekt bei der HIV-Neuropathie und bei zentralen Schmerzen gibt. Prof. Sommer: „Auch Botulinumtoxin hat bei lokalen neuropathischen Schmerzen eine Wirksamkeit gezeigt und kann off-lable als dritte Wahl eingesetzt werden. Eine relativ einfach einzusetzende nicht medikamentöse Methode stellt die Transkutane Elektrische Nervenstimulation TENS dar, die im Einzelfall eingesetzt werden kann. In therapierefraktären Fällen können Cannabinoide erwogen werden.“ (Redaktionsteam/BKB)


Literatur:

Schlereth T et al: Diagnose und nicht interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen – Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Herausgegeben von der Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. 4. September 2019