Sorge wegen negativer Konsequenzen unzureichender Immunisierung für die gesamte Gesundheitsversorgung
Besorgt über die negativen Konsequenzen einer ungenügenden Eindämmung der Corona-Pandemie für zahlreiche Bereiche der Gesundheitsversorgung zeigen sich mehrere medizinische Fachgesellschaften in einem gemeinsamen Aufruf. „Es geht darum, durch eine ausreichend hohe Immunisierung in der Bevölkerung einen Schaden für das Gesundheitssystem als Ganzes abzuwenden, denn anders können wir dieser Pandemie nicht Einhalt gebieten. Eine zu hohe Belastung der Spitalsressourcen durch COVID-19 kann sich für Patientinnen und Patienten mit unterschiedlichsten medizinischen Problemen potenziell negativ auswirken – vom Mountainbiker, der nach einem schweren Unfall ein Intensivbett braucht, über die Krebspatientin mit beeinträchtigtem Immunsystem, die weiterhin Angst vor einer Ansteckung haben muss, bis zum Schmerzpatienten, der noch länger auf seinen Hüftersatz wartet“, heißt es in der gemeinsamen Stellungnahme.
Die Präsidenten der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (ÖGHO), der Österreichischen Krebshilfe, der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft (ÖKG) und der Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI), rufen noch Ungeimpfte dazu auf, sich impfen zu lassen bzw. bereits Geimpfte, bei denen laut aktuellen Empfehlungen der „dritte Stich“ angezeigt ist, die Auffrischung zu machen. So können alle ihren Beitrag zum Eigenschutz, zum Schutz anderer und zum Schutz der gesamten Gesundheitsversorgung leisten. Die Gesundheitspolitik sei gefordert, alle erforderlichen Maßnahmen zu setzen, um die Motivation zum Impfen weiter zu steigern und vulnerable Gruppen vor Risiken zu schützen.
Mehr als 3.000 Intensivaufenthalte durch Impfeffekt vermieden
„Die Datenlage ist eindeutig. Alle bei uns verwendeten Impfstoffe schützen effektiv vor schweren und schwersten Verläufen von COVID-19, und der überwiegende Teil kritisch erkrankter Personen in den Spitälern ist nicht vollständig immunisiert“, betont ÖGARI-Präsident Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder. „Berechnungen der Gesundheit Österreich GmbH zufolge wurden in den Monaten Februar bis September 2021 österreichweit schon durch den bisherigen Impfeffekt 11.577 Krankenhausaufenthalte, 3.186 Aufenthalte in Intensivstationen und 3.587 Todesfälle vermieden – entsprechend höher könnte der Effekt bei einer höheren Durchimpfung sein. Wer sich impfen lässt, schützt also nicht nur sich selbst von einer unberechenbaren COVID-19-Erkrankung, die langwierige Folgen haben kann. Mit der Entscheidung zur Impfung schützen wir auch uns alle vor dem Risiko einer erschwerten medizinischen Versorgung, wenn Ressourcen auf den Normal- und Intensivstationen durch eine weitere Corona-Welle überlastet werden.“
Herzgesundheit: Größere Herzinfarkte und schwerere Schäden in der Pandemie
„Wie gefährlich eine Beeinträchtigung der Gesundheitsversorgung durch die Pandemie und durch eine hohe Zahl an schweren COVID-19 Erkrankungen sein kann, konnten wir in der Herzmedizin bereits in mehreren Studien zeigen“, sagt ÖKG-Präsident Univ.-Prof. Dr. Bernhard Metzler. Aktuell zeigt eine Arbeit der Innsbrucker Universitätsklinik für Innere Medizin III, Kardiologie und Angiologie, die demnächst im renommierten European Heart Journal erscheinen wird, dass Herzinfarkte, die während der Pandemie auftraten, größer und mit stärkeren Schädigungen verbunden waren, verglichen mit Myokardinfarkt-Fällen vor der Pandemie. In einer im Vorjahr publizierten Studie wiesen Innsbrucker Forscherinnen und Forscher nach, dass bei Herzinfarkten die Ischämiezeit – also die Zeitspanne, während der das Herz nicht mit Sauerstoff versorgt wird – gegenüber Fällen vor der Pandemie um das 1,7fache gestiegen ist.
„Ist die Pandemie nicht unter Kontrolle, dann ist das Gesundheitssystem als Ganzes in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Das betrifft viele Versorgungsbereiche und viele Krankheitsbilder“, so ÖKG-Präsident Prof. Metzler. „Ausreichend viele geimpfte Menschen sind die Voraussetzung dafür, dass wir dieses Problem überwinden.“
Krebspatientinnen und -patienten brauchen Solidarität
„Krebspatientinnen und -patienten sind in der Pandemie besonderen Risiken ausgesetzt“, sagt der Präsident der ÖGHO Prim. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Hilbe. „Wenn sie an COVID-19 erkranken, ist ihr Risiko für schwere oder tödliche Verläufe gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöht. Gleichzeitig haben viele Menschen mit einer onkologischen Erkrankung trotz Vollimmunisierung aufgrund eines beeinträchtigten Immunsystems aufgrund von Therapien und der Erkrankung einen reduzierten Impfschutz.“ Das betreuende Gesundheitspersonal sowie An- und Zugehörige hätten daher eine besonders große Verantwortung, sich impfen zu lassen und dadurch Betroffene zu schützen. Doch nicht nur diese, wie Krebshilfe-Präsident Univ.-Prof. Dr. Paul Sevelda betont: „Als Gesellschaft haben wir die Verpflichtung, vulnerable Gruppen bestmöglich zu schützen. Sich gegen COVID-19 impfen zu lassen dient daher nicht nur dem eigenen Schutz, sondern ist auch ein Akt der Solidarität gegenüber anderen, der selbstverständlich sein sollte.“ Besorgt zeigen sich die Krebsexperten über die Konsequenzen, die eine hohe Belastung des Gesundheitssystems durch die Pandemie für Früherkennung und Therapie mit sich bringen kann. „Wir wissen, dass die Teilnahme-Raten bei den Früherkennungsprogrammen für Brust- oder Darmkrebs 2020 gegenüber der Vorpandemie-Zeit um 12 bzw. 15 Prozent zurückgegangen sind. Das wird unvermeidlich verspätete Krebsdiagnosen mit sich bringen“, sagt Prof. Sevelda. „Um solche Probleme zu vermeiden, müssen wir die Pandemie konsequent durch eine hohe Grundimmunisierung eindämmen.“ Es müsse auch unbedingt vermieden werden, so Prof. Hilbe, dass es durch eine zu hohe Belastung der Krankenhaus- und insbesondere der Intensivkapazitäten zu Einschränkungen in anderen Therapiebereichen komme. „Es muss sichergestellt bleiben, dass dringend erforderliche Krebsoperationen durchgeführt werden können. Daher müssen wir wieder steigende Zahlen bei durch COVID-19 verursachte Intensivaufenthalten unbedingt vermeiden.“
„Wir sehen in den Spitälern tagtäglich die Kollateralschäden, die eine unzureichende Impfquote mit sich bringt: Nämlich zu viele schwer kranke COVID-19 Patientinnen und Patienten auf den Normal- und den Intensivstationen, und zu viele Patientinnen und Patienten mit anderen Erkrankungen, die unter der zu hohen Belastung der Versorgungsressourcen zu leiden haben“, so ÖGARI-Präsident Prof. Hasibeder. „Das müsste nicht so sein. Die Impfung ist der Schlüssel dazu, das zu ändern. Daher muss der Motivation aller zur Immunisierung höchste gesundheitspolitische Priorität zukommen.“
Pressemitteilung der ÖGHO, ÖKG und ÖGARI am 7. Oktober 2021