Prof. Dr. Walter Hasibeder


BEATMUNGSTHERAPIE: BITTE DEN DRIVING PRESSURE NICHT AUSSER ACHT LASSEN
In einer Vergleichsstudie mit „lungenprotektiv“ beatmeten Patient:innen wurden Effekte des „Driving Pressures“ auf das Patientenoutcome (Mortalität bis zum 30. Tag; erfolgreiche Entwöhnung vom Respirator) näher untersucht. Als Grundlage dienten die Daten des „Toronto Intensive Care Observational Registry“ zwischen 2014 und 2021. Insgesamt fanden sich 12.885 beatmete Patient:innen die anhand des dokumentierten dynamischen Driving Pressures (AP) in eine Gruppe mit AP > 15 cmH2O (n = 4468) und eine Gruppe mit limitierten AP < 15 cmH2O eingeteilt wurden. Der dynamische AP wurde durch Subtraktion des positiv endexpiratorischen Drucks (PEEP) vom Spitzendruck (PIP) errechnet. Bei Volumen kontrollierter Beatmung wurde der Plateaudruck zur Berechnung herangezogen. Das mediane Alter der Patient:innen betrug 60 Jahre; der mediane APACHE III – und der SOFA waren in beiden Gruppen ident (68 bzw. 4,5). Das mediane Tidalvolumen lag bei 6,7 ml/kg Körpergewicht. 48% der Patient:innen atmeten am Respirator spontan. Eine Limitation des AP auf < 15 cmH2O reduzierte die Risiko-adjustierte 30 Tage Mortalität von 20% auf 18% (Number needed to treat = 10). Diese Mortalitätsreduktion war umso ausgeprägter je früher der AP während der Beatmung < 15 cmH2O gehalten wurde.

FAZIT: Die Bedeutung von Druckgrenzen für die Verhinderung einer beatmungs-induzierten Lungenschädigung (VILI) sind schon lange bekannt. Üblicherweise bemüht man sich daher zu hohe Beatmungsdrücke durch Limitierung des Tidalvolumens auf zirka 6ml/kg KG zu vermeiden („Vermeidung eines „Volutraumas“). Die vorliegende Studie zeigt aber auch wie wichtig die Limitierung des „Driving Pressure“ für das Patient:innen Outcome ist. Eine mögliche Erklärung mag die extrem unterschiedliche Belüftung verschiedener Lungenareale in einer ARDS Lunge sein. Vor allen in abhängigen, schlecht belüfteten Lungenabschnitten mit schlechter Compliance einzelner Alveolen vermögen hohe AP zu extremen, zyklisch auftretenden Scherkräften an Alveolarstrukturen und zu weiteren Schädigungen derselben führen. Eine reine Konzentration auf niedere Tidalvolumina in der „lungenprotektiven“ Beatmung berücksichtigt wahrscheinlich regionale Unterschiede in der aktuellen Compliance von Alveolen in der ARDS Lunge zu wenig. Aber eine „richtige“ Respiratoreinstellung verlangt natürlich mehr als nur die Beachtung von Tidalvolumen und Driving Pressure! Die Wahl des optimalen positiv endinspiratorischen Drucks (PEEP) zum „offen“ halten geschädigter Alveolen hat ebenfalls entscheidenden Einfluss auf regionale, alveoläre Compliances und damit wiederum auf die Wahl des Driving Pressure während einer lungenprotektiven Beatmung. Auf unserer Intensivstation verwenden wir daher bei komplexen Beatmungsfällen eine Ösophagusdrucksonde zur Bestimmung des optimalen endexpiratorischen transalveolären Drucks. Der AP wird bei der Beatmung auf maximal 15cm H2O limitiert. Literatur: Urner M, et al. Limiting dynsmic driving pressure in patients requiring mechanical ventilation. Crit Care Med 2023; 51: 861-871

DIE LANGZEITPROGNOSE NACH COVID-19

In einer Schweizer Studie an 1106 nicht geimpften Erwachsenen, während der ersten Phase der COVID-19 Pandemie (Wuhan Virus), berichteten 20% der Betroffenen persistierende Symptome 6 Monate nach der Infektion. Zirka 30% der Untersuchten hatten längerfristige Beschwerden, knapp 51% davon waren Frauen. Während der akuten Infektion berichteten 86% der Patient:innen über Symptome, 4% mussten in Krankenhäusern aufgenommen werden. 55% der Studienteilnehmer:innen waren 1 Monat nach der Erkrankung wieder vollständig gesund. 18% fühlten sich nach 3 Monaten gesund. Nach einem halben Jahr berichteten immerhin noch 23% Symptome (6% leichte; 4% moderate; 3% schwere Gesundheitsprobleme). Die häufigsten Beschwerden waren Veränderungen im Geschmacks- und Geruchsinn (10%), allgemeines Krankheitsgefühl (9%), reduzierte Konzentrationsfähigkeit (8%), reduzierte Gedächtnisleistung (6%), Atemnot (8%) und rasche Erschöpfung (5%). Bei der Mehrheit der Patient:innen, vor allem bei jenen unter 65 Jahren, konnte eine zeitliche Verbesserung über 6 Monate im Schweregrad der jeweiligen Symptome beobachtet werden.

FAZIT: Eine stattgehabte COVID-19 Infektion mit dem ursprünglichen Wuhan Virus ist selbst nach 6 Monaten für 20% der Betroffenen mit z.T. erheblichen Einschränkungen im täglichen Leben verknüpft. Ohne Frage sind die gesundheitlichen und ökonomischen Belastungen durch COVID-19 enorm und in ihrer Bedeutung derzeit noch gar nicht richtig abschätzbar! Literatur: Ballouz T, et al. Recovery and symtom trajectories up tot wo years after SARS-CoV-2 infection: population based, longidudinal cohort study. BMJ 2023; 381: e074425

PERIOPERATIVES BLUTDRUCKMANAGEMENT

In einer randomisierten Studie wurde der Effekt eines präoperativen Absetzens von Renin-Angiotensin-Konverting-Enzym-Hemmern (ACE-Hemmer) bzw. von Angiotensin-Rezeptor-Blockern (ARB) auf das postoperative Outcome näher untersucht. Kleine randomisierte Untersuchungen haben gezeigt, dass Patient:innen unter ACE-Hemmer oder ARB häufiger intraoperative Blutdruckabfälle erleiden und in größeren Observationsstudien zeigten sich mehr unerwünschte peri- und postoperative Komplikationen bei Weiterführung der antihypertensiven Therapie. Darauf gründen sich auch Expert:innen Empfehlungen sowohl ACE-Hemmer als auch ARB am Tag vor der geplanten Operation abzusetzen. In der POISE-3 Studie wurden insgesamt 7500 Patient:innen aus 110 Krankenhäusern in 22 Ländern mit arterieller Hypertension (72% nahmen ACE-Hemmer oder ARB) in zwei Gruppen randomisiert:

Gruppe 1: Vermeidung von Hypotension – ACE-Hemmer und ARB sowie direkte Renin-Hemmer wurde präoperativ (Abend vor OP) bis zum 3. postoperativen Tag abgesetzt. Der mittlere arterielle Blutdruck wurde perioperativ > 80mmHG gehalten. Bei postoperativen systolischen Blutdrücken > 130mmHg wurden alternative kurz- oder mittelwirksame Antihypertensive (z.B. Dihydroperidine) eingesetzt um den Blutdruck zu senken Gruppe 2: Vermeidung von Hypertension – die präoperative, antihypertensive Therapie wurde weitergeführt. Die Patient:innen erhielten ihre antihypertensive Therapie auch am Morgen vor der Operation und die Therapie wurde ohne Pausen weitergeführt. Intraoperativ wurde eine MAP > 60mmHg gehalten.
Eine Behandlungsbedürftige, intraoperative Hypertension wurde in der Gruppe 2 (= Vermeidung von Hypertension) häufiger beobachtet (28% versus 23%). Bis zum 30. postoperativen Tag wurden allerdings keine Unterschiede im Auftreten von kardiovaskulären Todesfällen, nicht-tödlichen Myokardinfarkten, Schlaganfällen oder Herzkreislaufstillständen beobachtet (Häufigkeit 14% in beiden Gruppen). Diese Ergebnisse waren ident, wenn nur Patient:innen mit ACE-Hemmern oder ACB isoliert ausgewertet wurden.

FAZIT: Trotz gleichen Outcomes der Studienteilnehmer:innen in den beiden Gruppen geben die Autoren keine definitiven Empfehlungen hinsichtlich der perioperativen Einnahme antihypertensiver Therapie ab. Sie schreiben: „holding selective antihypertensives before noncardiac surgery might be reasonable“! Ich würde dieser Aussage derzeit zustimmen. Allerdings zeigt die Untersuchung, dass die versehentliche Einnahme von ACE-Hemmern oder ARB kein Grund für eine künstliche Verzögerung eines elektiven chirurgischen Eingriffes ist.
Literatur: Marucci M. et al. Hypotension-avoidance versus hypertension-avoidance strategies in noncardiac surgery: an international randomized trial. Ann Intern Med 2023; doi: 10.7326/M22-3157


UNTERSCHIEDE IN DER DELIRDAUER UND DEREN BEDEUTUNG FÜR DAS LANGZEIT-OUTCOME
In einer longitudinalen Kohortenstudie wurden Unterschiede in der physischen, psychischen und kognitiven Entwicklung, bis zu einem Jahr nach einem Intensivaufenthalt bei erwachsenen Patient:innen mit unterschiedlicher Delirdauer, auf Intensivstationen erfasst. Die Patient:innen (n= 2400) wurden in 3 Gruppen eingeteilt: Eine Gruppe mit „persistierendem Delir“ (PD = Delirdauer > 14 Tage durchgehend auf der Intensivstation); eine Gruppe mit „nicht persistierendem Delir“ (NPD = Delirdauer < 14 Tagen) und einer Gruppe (NoD) die niemals ein Delir entwickelte. Insgesamt entwickelten 529 Patient:innen ein Delir auf der Intensivstation – 35 PatientInnen ein PD und 494 PatientInnen ein NPD. Patient:innen mit PD waren signifikant älter, wurden häufiger als Notfall auf der Intensivstation aufgenommen, zeigten bei Aufnahme einen höheren Grad an physiologischer Derangierung, waren länger mechanisch beatmet, länger im Spital und mussten häufiger im Bett fixiert werden. In unadjustierten Analysen zeigte sich, nach einem Jahr, eine signifikante Verschlechterung in allen untersuchten Domänen. Patient:innen mit Delir zeigten häufiger Erschöpfungssymptome (PD 86%; NPD 61%; NoD 50%), Angst (PD 37%; NPD 27%; NoD 17%), Depressionen (PD 43%; NPD 29%; NoD 19%) und zeigten deutliche mentale Einschränkungen (PD 20%; NPD 13%; NoD 8%). Die Lebensqualität nach einem Jahr war, gegenüber den mittels Fragebögen erhobenen Vorwerten vor Intensivstationsaufenthalt, deutlich bei Patient:innen mit Delir reduziert. Nach Auswertung mit Adjustierung vorbestehender demographischer Daten und Vorerkrankungen war das Delir auf der Intensivstation nur mehr signifikant mit kognitiven Defiziten ein Jahr nach Intensivaufenthalt vergesellschaftet.

FAZIT: Studien mit Fragebögen die Lebensverhältnisse und bestimmte Domänen der physischen und psychischen Gesundheit abfragen, können mit einem gewissen Bias verbunden sein. Vor allem das retrospektive Einschätzen der Funktionalität, vor Auftreten einer Erkrankung, ist nicht immer objektiv möglich. Dennoch zeigt die Studie sehr gut die massiven Langzeitfolgen eines Delirs. Einige der Faktoren, die mit dem Risiko eines Delirs auf der Intensivstation vergesellschaftet sind wurden erneut bestätigt wie z.B. höheres Alter, längere Beatmungsdauer, die ja meist mit längerer und intensiverer Analgosedierung (Benzodiazepine, Opiate) vergesellschaftet ist, sowie Fixierungen bei Selbst- und Fremdgefährdung. Auch längerfristige Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten sind bereits beschrieben. Eine Studie hat erhöhte Serumkonzentrationen von ß-Amyloid bei Patient:innen mit Delir gezeigt und spekuliert, dass das Delir ein Ausdruck einer frühen Demenzerkrankung sei. Was in 4 der vorliegenden Studie neu erscheint ist eine Art „Dosis Wirkungsbeziehung“ zwischen Dauer des Delirs und dem Ausmaß kognitiver Defizite nach einem Jahr.

Im Klartext: „Je länger ein Delir anhält, desto wahrscheinlicher sind Langzeit-Störungen des Gedächtnisses bzw. des Intellekts!“. Leider sind unsere Möglichkeiten das Delir auf der Intensivstation zu verhindern noch immer sehr eingeschränkt! Es fehlen fundamentale Kenntnisse über die neuropathologischen Vorgänge beim Delir im ZNS und über Möglichkeiten, diese positiv therapeutisch zu beeinflussen oder gänzlich zu vermeiden. Literatur: Emma FM, et al. Differences in long-term outcomes between ICU patients with persistent delirium, non-persistent delirium and no delirium: a longidudinal cohort study. J Crit Care 2023; doi: 10.1016/j.jere.2023.154277

WAS BRINGT EINE ÜBERNACHT-BETREUUNG VON CHIRURGISCHEN PATIENTINNEN MIT MITTLEREM MORTALITÄTSRISIKO IN EINEM IMCU/ARRC-BEREICH
In dieser Observationsstudie wurden Patient:innen mit nicht kardiochirurgischen Eingriffen und einem mittleren operativen Mortalitätsrisiko (0,7% bis 5% nach dem „National Safety Quality Improvment Programm Risk Calculator“) in 2 Gruppen unterteilt:

Gruppe 1 (n=452): Überwachung und Therapie Übernacht in einer ARRC („Advanced Recovery Room Area“). ARRC Bereiche werden von AnästhesistInnen betreut und eine spezialisierte Pflegeperson ist für die Betreuung von maximal 2 Patient:innen zuständig. ARRC- Bereiche entsprechen in etwa unseren Intermediate Care Einheiten. In diesen Bereichen werden Patienten kontinuierlich überwacht. Eine Therapie mit Flüssigkeit/Vasopressoren ist bei Bedarf sofort möglich. Am Morgen des 1. postoperativen Tages wurden Patient:innen auf die Normalstation tranferiert.
Gruppe 2 (n=419): Postoperative Betreuung auf der Normalstation nach kurzem Aufenthalt in einem Aufwachbereich.
Insgesamt wurden 854 Patient:innen hinsichtlich demographischer Daten, Vorerkrankungen und chirurgischen Risiko mittels „Propensity Scoring“ gematcht – mittleres Alter 70 Jahre. 81% aller Patient:innen waren Status ASA III. Die häufigsten Vorerkrankungen waren Hypertonus (66%), KHK (25%) und COPD (31%) sowie Diabetes Typ 1 und 2 (36%). Der primäre Outcomeparameter war die Anzahl der Patient:innen, die bis zum 30. postoperativen Tag nach Hause entlassen wurden. Sekundär wurde die Anzahl von Notfällen im Krankenhaus in den beiden Gruppen analysiert. Als Notfälle wurden klar definierte Ereignisse bezeichnet, die zur Aktivierung des „Medical Emergency Teams“ bis zum 9. postoperativen Tag im Krankenhaus geführt haben. Eine Betreuung über Nacht in einer ARRC führte zu einer signifikanten Reduktion des Spitalsaufenthalts bis zum 30. Tag (mittlerer Unterschied in der Aufenthaltsdauer = – 1,74 Tage). In den ersten 24h wurden Notfallereignisse in der ARRC-Gruppe doppelt so häufig erfasst und behandelt verglichen mit der Normalstationsgruppe. Ab dem zweiten postoperativen Tag, wo beide Gruppen auf Normalstationen behandelt wurden, war die Anzahl definierter Notfälle in der Gruppe 1 nur halb so groß verglichen mit Gruppe 2.

FAZIT: Ältere, multipel vorerkrankte Menschen haben ein deutlich erhöhtes Operationsrisiko. Im Vergleich zu einem gesunden 60-Jährigen steigt das Risiko für schwere Komplikationen, verlängerten Spitalsaufenthalt und Tod bei einem 70-Jährigen mit arterieller Hypertension und Diabetes mellitus um das 3-, 2-bzw. 40-fache an. Bereits 2017 wurde in einer Untersuchung gezeigt, dass ein Mangel an strukturell und personell gut ausgestatteten Aufwach- bzw. IMCU-Bereichen bei Patient:innen mit Darmoperationen und mittlerem OP-Risiko einen negativen Einfluss auf das Patient:innen Outcome hatte. Aus diesen Gründen sollte unser Fokus besonders auf dieser Patientengruppe liegen! Unterschiede im hämodynamischen, respiratorischen, pflegerischen und medikamentösen Management in den ersten 24 Stunden nach chirurgischen Eingriffen haben, bei entsprechendem Risikoprofil, großen Einfluss auf den medizinischen und ökonomischen Verlauf einer chirurgischen Erkrankung. Literatur: Ludbrook G, et al. Outcomes of postoperative overnight high-acuity care in medium-risk patients undergoing elective and unplanned noncardiac surgery. JAMA Surgery 2023; doi: 10.1001/jamasurg.2023.1035

FLÜSSIGKEITSRESTRIKTION BEI PATIENTINNEN IM SEPTISCHEN SCHOCK
In dieser prospektiven, randomisierten, internationalen Studie wurden 1554 Patient:innen mit septischen Schock in 2 Gruppen randomisiert:
Vor Aufnahme in die Studie mussten folgende Kriterien erfüllt sein: Plasmalaktat > 2mmol/l trotz Gabe von Inotropika und/oder Vasopressoren Flüssigkeitsgabe von mindestens 1l Kristalloid in den letzten 24h Schockbeginn < 12 Stunden Restriktive Flüssigkeitsgruppe (RF): Flüssigkeitsgaben (je 250ml – 500ml Kristalloid) nur bei Zeichen schwerer Hypoperfusion (Laktat > 4mmol/l; MAP < 50mmHg trotz Katecholamintherapie; Mottling über die Knieregion hinaus; Harn < 0,1ml/kg KG über 2 Stunden). Flüssigkeiten wurden auch gegeben um gastrointestinale oder Verluste über Drainagen auszugleichen oder Entgleisungen des Elektrolythaushaltes zu korrigieren. Standard Flüssigkeitsgruppe (SF): Keine Restriktionen für den Einsatz von Flüssigkeiten bei hämodynamischer Instabilität. Der primäre Outcomeparamater war der Tod bis zum 90 Tag. Sekundäre Outcomeparameter waren das Auftreten von Organkomplikationen oder Ischämien. Das Medianalter der Patient:innen betrug 70 Jahre. Die häufigste Vorerkrankung war die arterielle Hypertension (46%); die Inzidenz anderer Vorerkrankungen lag jeweils < 20%. Die mediane Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation betrug 5 Tage (RG 3-9 Tage; SG 3-10 Tage). Bis zum 90. Tag betrug das kumulative Infusionsvolumen (ohne Ernährung und Medikation) + 1798ml in der RG und 3811ml in der SG. Die kumulative Flüssigkeitsbilanz (Einfuhr-Ausfuhr) nach 90 Tagen betrug 1645ml (-461ml bis +4423ml) in der RG und 2368ml (368ml bis 5517ml) in der SG. Bis zum 90. Tag sind 42% der Patient:innen jeweils in beiden Gruppen verstorben. Auch in den anderen untersuchten Parametern gab es keine signifikanten Unterschiede. Die Autoren gehen davon aus, dass Flüssigkeitsrestriktion keine Nachteile gegenüber einer liberaleren Flüssigkeitstherapie hat.

FAZIT: Zahlreich sind die leider nichtssagenden Studien zur Flüssigkeitstherapie! Auch die hier präsentierte ist keine Ausnahme! Die Mortalität der Patient:innen ist in beiden Gruppen extrem hoch. Zum Vergleich unsere Patient:innen im septischen Schock (n=365 von Jänner 2014- April 2023) haben ein Medianalter von 77 Jahren, deutlich mehr Vorerkrankungen aber eine nur halb so große Sterberate. Die Variabilität im Flüssigkeitsbedarf zu allen Zeitpunkten zeigt in beiden Gruppen, dass die Patient:innen trotz einheitlichem Syndrom (= septischer Schock), sich massiv in der 6 Erkrankungsschwere unterscheiden. Auch wir sehen bei unserem Patientengut große individuelle Unterschiede in der Schwere des Krankheitsbildes und damit auch im Flüssigkeitsbedarf während der Stabilisierungssphase! Man kann es auch so formulieren: „der septische Schock ist ein extrem heterogenes Erkrankungsbild, das je nach Behandlungsbeginn, Fokus, Demographie und Prämorbidität einen völlig unterschiedlichen Behandlungsbedarf an Flüssigkeiten, Katecholaminen und Adjuvantien (AVP, Hydrokortison) benötigt – hier versagt die „Kochbuchmedizin“ völlig!!“ Aber auch die Vorstellung, dass z.B ein Liter Flüssigkeitszufuhr mehr oder weniger einen definitiven Unterschied auf den Langzeitverlauf der Erkrankung hat, ist im besten Fall als naiv zu betrachten – ich persönlich bezeichne diese Vorstellung als dumm! Zu keinem Zeitpunkt gelingt es den Behandler:innen die kumulative Flüssigkeitsbilanz abzubauen – offensichtlich werden ist die Beseitigung von Hypervolämie in der Rekonvaleszenzphase kein wichtiges Therapieziel! Gerade bei älteren Patient:innen konnte gezeigt werden, dass kumulativ positive Flüssigkeitsbilanzen negativen Einfluss auf die Rehablitationsphase und die Langzeitmortalität haben. Ich kann wieder nur davor warnen eine „Kochbuchmedizin“ zu forcieren, die wesentliche Erkrankungs- und Patient:innen bezogene Unterschiede ignoriert und dadurch die Prognose des komplexen Krankheitsbildes des septischen Schocks deutlich verschlechtert. Und zum Schluss noch eine Bemerkung zur restriktiven Flüssigkeitsgruppe: Wenn wir ein erhöhtes Laktat – ein Kriterium zur Flüssigkeitsgabe in dieser Gruppe war immerhin ein Laktatwert > 4mmol/l – als Ausdruck eines erhöhten anaeroben Stoffwechsels, also eines Sauerstoffdefizits betrachten – so wundert man sich über positive Stellungnahmen der zuständigen Ethikkomissionen. Der Mensch gehört, wie zahlreiche andere Säugetiere, zu den sauerstoffregulierenden Lebewesen. Das bedeutet er versucht unter allen Umständen seinen Sauerstoffverbrauch konstant zu halten. Ein längerfristiges Sauerstoffdefizit führt immer über Organdysfunktionen zum Organversagen und letztlich, je nach Dauer und Ausmaß zum Tod des jeweiligen Organismus!
Literatur: Meyhoff TS et al. Restriktion of intravenous fluid in ICU patients with septic shock. NEJM 2022; 386: 2459-2470


MILDE HYPERKAPNIE VERSUS NORMOKAPNIE BEATMUNG BEI PATIENTINNEN MIT AUßERHALB DES KRANKENHAUSES ERWORBENEN HERZKREISLAUFSTILLSTAND

Milde Hyperkapnie erweitert die Gehirngefäße und steigert den zerebralen Blutfluss. In der Hoffnung auf ein verbessertes neurologisches Überleben mit milder Hyperkapnie (pCO2=50-55mmHg) wurden 1700 Patient:innen mit OHCA („Out of Hospital Cardiac Arrest“) in zwei Gruppen randomisiert:

  1. Hyperkapnie Gruppe (HA; n=847): Mit mechanischer Beatmung wurde ein arterielles pCO2 von 50-55mmHg zugelassen
  2. Normokapnie Gruppe (NH; n=853): Das arterielle pCO2 wurde um 35-45mmHg gehalten
    Der primäre Outcomeparameter war die neurologische Erholung bis 6 Monate nach OHCA. Gemessen wurde das neurologische Outcome mit der erweiterten Glasgow Outcome Scale (1-8 Punkte; 1 = Tod bis 8 = kein neurologisches Defizit). Als gutes neurologisches Outcome wird ein extended GCS von 5-8, als schlechtes neurologisches Defizit von 2-4 Punkten gewertet.
    Zwischen den Gruppen gab es keine Unterschiede im neurologischen Outcome nach 6 Monaten (eGCS 5-8: 44% in beiden Gruppen). Auch in der Anzahl der Verstorbenen waren die Gruppen ident (48% versus 46%).

    FAZIT: Leider führt auch eine Steigerung des zerebralen Blutflusses durch Aufrechterhaltung einer milden Hyperkapnie während der Phase der mechanischen Beatmung unmittelbar nach OHCA zu keiner Verbesserung im zerebralen Outcome! Es zeigt sich leider immer wieder, dass der primäre hypoxische Hirnschaden durch Erliegen des zerebralen Blutflusses, im Rahmen eines Herzkreislaufstillstandes, der letztlich entscheidende Faktor für das neurologische Überleben unserer Patient:innen ist. In kleinen Observationsstudien wurde zwar ein Vorteil einer milden Hyperkapniebehandlung auf das neurologische Outcome postuliert aber dies konnte in der vorliegenden Studie nicht bestätigt werden. Auch andere physiologische Interventionsmaßnahmen wie z.B. Hypothermie-, milde Hyperoxie oder Normoxiebehandlung oder Aufrechterhaltung eines supranormalen Blutdrucks haben in größeren Studie keinen positiven Outcomeeffekt auf das ZNS zeigen können.
    Literatur: Eastwood G, et al. Mild hyperkapnia or normokapnia after out-of-hospital cardiac arrest. NEJM 2023; doi: 10.1056/NEJMoa2214552