Nicht nur in Österreich, sondern auch in vielen anderen Ländern gibt es große Anstrengungen, um junge Ärztinnen und Ärzten für eine Ausbildung im Fach Anästhesie und Intensivmedizin zu begeistern und ihnen, wenn sie sich dafür entscheiden, eine sehr qualitätsvolle Ausbildung zu vermitteln. Welche Prinzipien dabei wichtig sind, erläutert Prim. Priv.-Doz. Dr. Anette Severing, EDAIC, Leiterin der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Eisenstadt. Sie ist auch Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) und Vertreterin der ÖGARI im National Anaesthesiologists Societies Committee der ESA.
Unsere Anstrengungen, junge Ärztinnen und Ärzten für eine Ausbildung im Fach Anästhesie und Intensivmedizin zu begeistern und ihnen, wenn sie sich dafür entscheiden, eine sehr qualitätsvolle Ausbildung zu vermitteln, stehen ganz im Zeichen, für unsere Patienten weiterhin eine qualitätsvolle und ausreichende Versorgung gewährleisten zu können. Das hat uns auch kürzlich beim europäischen Anästhesiekongress Euroanaesthesia 2019 vielfach beschäftigt.
Die Herausforderungen sind groß: Unser an sich schon dynamisches Fach revolutioniert sich aktuell regelrecht, ein Stichwort dafür ist die Digitalisierung. Wir müssen also jungen Medizinerinnen und Medizinern in der relativ kurzen Zeit ihrer Facharztausbildung all das vermitteln, was nötig ist, um State of the Art und im Sinne maximaler Patientensicherheit zu handeln. Umgekehrt kann sich unsere Disziplin nur dann in ihrer Vielfalt weiterentwickeln, wenn es ausreichend motivierten und hoch qualifizierten Nachwuchs gibt.
Was muss europaweit passieren, und das möglichst rasch, damit uns nicht die Anästhesistinnen und Anästhesisten ausgehen?
Erstens müssen wir für ausreichend Ausbildungsstellen sorgen – sollte genau hier der Sparstift angesetzt worden sein, sollten genau hier die ausbildenden Ärzte ohne Nachfolge in Pension gegangen sein: Bitte rasch handeln und neue Stellen schaffen, sonst steuern wir in absehbarer Zeit auf einen veritablen Versorgungsengpass zu. Und das passt mit Patientensicherheit ganz und gar nicht zusammen.
Zweitens müssen wir die Ausbildung möglichst attraktiv gestalten und die Ausbildungswege in Österreich überregional einheitlich definieren. Es ist heute klar, dass die Ausbildung der Assistenzärztinnen und -assistenzärzte nicht „nebenbei“ passieren kann. „Learning on the job“ ist zu wenig. Ausbildung muss eine definierte Aufgabe in der Abteilung sein, und es muss klare Verantwortlichkeiten dafür geben. Die Ausbildung muss strukturiert ablaufen, mit klar definierten Lerninhalten. Es braucht die Möglichkeit, die eigene Tätigkeit und die Entscheidungen erfahrener Kolleginnen und Kollegen zu reflektieren. Bewährt haben sich in diesem Zusammenhang Mentoring-Konzepte und Ausbildungsteams, die Assistentinnen und -assistenten fit für den Beruf machen. Wichtig ist immer auch das Engagement der Abteilungsleiterinnen und -leiter – wenn wir die Anästhesie-Koryphäen von morgen fördern wollen, muss Ausbildung auch „Chef- und Chefinnensache“ sein.
Gleichzeitig müssen Angebote geschaffen werden, die heute für die Generation der angehenden Anästhesisten attraktiv ist: Elektronische Lern- und Weiterbildungsangebote werden zum Beispiel gut angenommen.
Fachliche-medizinische Know-how ist zwar unbestreitbar wichtig, aber – und da komme ich zum dritten Punkt, der ganz wichtig ist für einen Beruf, der so fordernd ist wie unserer: Als Ärztin oder Arzt agiert man nur dann sicher, wenn man gelernt hat, mit Belastungen und Stress gut zurechtzukommen, und sich selbst gut zu organisieren. Nicht umsonst gibt es auf dem Kongress eine Reihe von Sitzungen, die sich mit dem Burnout-Risiko von Anästhesisten auseinandersetzen.
Viertens ist es die Fertigkeit einer klaren, unmissverständliche Kommunikation, die in der Ausbildung vermittelt und laufend trainiert werden muss. In kaum einem anderen Fach spielt die Kommunikation für die Patientensicherheit eine so zentrale Rolle. Egal, ob man als Notarzt im Einsatz ist, im OP, in einer Intensiv- oder Palliativstation: Der Kommunikations- und Abstimmungsbedarf mit anderen Fächern, Berufsgruppen oder auch oft aufgewühlten Angehörigen ist enorm.
Persönlich liegt mir die Nachwuchsförderung in der Anästhesie am Herzen, insbesondere dabei auch immer die Frauenförderung. Anders als in anderen Fächern ist das Verhältnis zwischen Männern und Frauen ausgewogen. Kennzahlen des Forums „Frauen in der Anästhesie“ der ÖGARI zeigen: Unter den Fachärztinnen und -ärzten allgemein liegt der Frauenanteil bei 45 Prozent. Unter den Assistenten und Assistentinnen, die ihre Ausbildung im Sonderfach Anästhesie und Intensivmedizin machen, bilden Frauen mit 51 Prozent sogar die Mehrheit. Also muss man sich notwendigerweise mit Themen wie Vereinbarkeit Karriere und Kinder etc. auseinandersetzen – was ja auch übrigens für junge Ärzte äußerst relevant sein kann. Dem Thema Gender und Diversity ist beim Kongress nicht umsonst eine eigene Session gewidmet, bei der Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus europäischen Staaten und den USA ihre Erfahrungen einbringen.
Unser Fach bietet exzellente Karriereaussichten und oftmals auch flexible Arbeitszeitgestaltung und attraktive Teilzeitmodelle. Durch die meist nur punktuelle Betreuung von Patienten ist die Arbeitszeit geregelter als bei anderen ärztlichen Disziplinen.
Zusammenfassend: Was ist schließlich nötig, damit sich viele junge Medizinerinnen und Mediziner für eine Facharztausbildung in der Anästhesiologie begeistern können: Wir müssen die Attraktivität unseres Faches auch vermitteln. Die Anästhesiologie und Intensivmedizin hat wirklich viel zu bieten: Sie zählt zu den vielfältigsten und abwechslungsreichsten Fächern der Medizin, unter anderem wegen der fünf Säulen Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin sowie Schmerz- und Palliativmedizin. Das lässt die Tätigkeit auch nach Jahren nie zur Routine werden.