Weitere Obduktions-Studien zeigen schwere Lungenschädigungen durch SARS-CoV-2-Infektion

Eine österreichische Untersuchung zeigt, dass zwar die Schäden an der Lunge der Ausgangspunkt von COVID-19  sind, aber die Folge sind häufig Thrombosen im Lungenkreislauf selbst, es sind auch andere Organe geschädigt. Eine Studie des Augsburger Universitätsklinikums, publiziert im JAMA, belegt irreversible Schäden am Lungengewebe von verstorbenen COVID-19-Patientinnen und -Patienten. Ursache der Schädigungen war das Virus, dessen Erbgut noch in den Atemwegen nachgewiesen werden konnte. Lungenschädigungen durch die maschinelle Beatmung konnten als Ursache weitgehend ausgeschlossen werden. Ein internationales Team um eine Forschungsgruppe der Medizinischen Hochschule Hannover weist ebenfalls Veränderungen im Lungengewebe durch SARS-CoV-2 nach, publiziert wurden die Ergebnisse im New England Journal of Medicine.

Eine erste größere Serie von Obduktionen in Österreich, die im Rahmen einer Studie an der Pathologie des Landeskrankenhauses Graz II, Standort West in Kooperation mit der Medizinischen Universität Graz, der Johannes Kepler Universität Linz und der Medizinischen Universität Wien durchgeführt wurden, wurde in Annals of Internal Medicine publiziert.

Laut Univ.-Prof. Dr. Sigurd Lax, Professor für Pathologie an der Johannes Kepler Universität Linz und Vorstand des Instituts für Pathologie des Landeskrankenhauses Graz II handelt es sich bei COVID-19 nicht um eine rein die Lunge schädigende Erkrankung. Er führte Obduktionen an COVID-19 Verstorbenen durch und wertete die Ergebnisse der ersten 11 Fälle gemeinsam mit seinem Grazer Team mit Kollegen der Abteilungen für Innere Medizin und Anästhesiologie des LKH Graz II, dem Diagnostik- und Forschungsinstitut für Hygiene, Mikrobiologie und Umweltmedizin der MedUni Graz, dem Institut für Krankenhaushygiene und Mikrobiologie der KAGes und Univ.-Prof. Dr. Michael Trauner von der Universitätsklinik für Innere Medizin III der MedUni Wien aus. Prof. Lax: „Unsere Untersuchung zeigt, dass zwar die Schäden an der Lunge der Ausgangspunkt der Erkrankung sind, aber die Folge sind häufig Thrombosen im Lungenkreislauf selbst und es sind auch andere Organe geschädigt“.

Bei COVID-19 kommt es zwar direkt in den Lungenbläschen zu einer Entzündung, die Mitreaktion in den kleinen Arterien scheint aber häufig eine Blutgerinnung auszulösen, die speziell bei Patientinnen und Patienten mit Vorerkrankungen des Herz-Kreislaufsystems zu einer Verlangsamung der Lungendurchblutung und in der Folge zu weiteren Thrombosen in der Lunge führen kann. Damit kommt es zu einem rasch voranschreitenden Versagen der Lungenfunktion und des Kreislaufs als unmittelbare Todesursache bei COVID-19. 

Bei COVID-19 sind eine Reihe weiterer Organe wie Niere, Leber, Bauchspeicheldrüse, Nebenniere und lymphatisches System mitbetroffen. „Wir sehen, dass es sich bei COVID-19 um eine schwere Infektionskrankheit handelt, die den gesamten Organismus beeinträchtigt“, erklärt Prof. Trauner. Ob es bei Überlebenden schwerer Verläufe zu Langzeitschäden der betroffenen Organe kommen kann, sei noch unklar.

Andere Berichte über Patientinnen und Patienten, die bei COVID-19 Thrombosen in den Beinvenen mit Lungenembolien sowie Schlaganfälle erlitten haben, untermauern, dass die erhöhte Thromboseneigung bei COVID-19 weitreichende Auswirkungen hat. 

Die Befunde der Studie unterstützen die Forderung von Gerinnungsspezialisten nach einer großzügigen und rechtzeitigen Indikationsstellung für eine Thromboseprophylaxe – auch bei nicht-hospitalisierten Patienten. Weitere Studien werden untersuchen müssen, ab wann und in welchem Umfang eine therapeutische Blutverdünnung abhängig von Laborbefunden und Bildgebung sinnvoll ist. Folgestudien sind notwendig, um die systemischen und lokalen Mechanismen im Lungenkreislauf aufklären, die zu diesen Thromboseneigungen führen, um daraus neue, wirkungsvolle Therapien zu entwickeln.


Lungenschädigungen nicht eine Komplikation der Beatmung

Ein interdisziplinäres Team um die Augsburger Pathologin Dr. Tina Schaller führte seit dem 4. April 19 Obduktionen an verstorbenen Patienten mit COVID-19 durch. Dank einer sorgfältigen Aufklärung der Angehörigen konnte in Augsburg eine Obduktionsrate von annähernd 90 Prozent der Todesfälle erreicht werden. Die Ergebnisse der ersten zehn Obduktionen wurden mittlerweile im JAMA publiziert. „Bei den Untersuchungen konnten wir das Erbgut des Virus noch im Atemwegssystem der Verstorbenen nachweisen,“ erklärt Dr. Schaller, Erstautorin der Studie. Im Lungengewebe selbst zeigte sich durchwegs eine ungewöhnlich schwere, teils mutmaßlich irreversible Schädigung. Die Autorinnen und Autoren sehen diese Veränderung als Todesursache an.

 
„Die wichtigste Erkenntnis aus der ersten Analyse ist, dass die beschriebenen Lungenschädigungen offensichtlich nicht eine Komplikation der Beatmung darstellen. Vielmehr entstehen sie unabhängig von dieser intensivmedizinischen Maßnahme am ehesten direkt durch die virale Schädigung. Alle Patientinnen und Patienten litten an schweren Grunderkrankungen, die jedoch nicht unmittelbar zum Tod führten“, ergänzt Prof. Dr. Bruno Märkl, Direktor des Instituts für Pathologie und Molekulare Diagnostik des Universitätsklinikums Augsburg. In den übrigen Organen konnten keine augenscheinlich schweren Veränderungen nachgewiesen werden. Die durch SARS-CoV-2 hervorgerufenen ausgeprägten Lungenschäden sind vergleichbar mit den Auswirkungen der SARS- und MERS-Erkrankungen.”

Wie das Virus die Lunge schädigt


Welche molekularen Veränderungen SARS-CoV-2 im Lungengewebe von Patientinnen und Patienten genau auslöst und wie sich diese von den Schäden durch das Influenzavirus unterscheiden, ist bislang kaum bekannt. Um die Krankheitsprozesse besser zu verstehen, hat ein internationales Forschungsteam aus Deutschland, den USA, Belgien und der Schweiz unter der Leitung von Prof. Dr. Danny Jonigk vom Institut für Pathologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) Lungen von an COVID-19 Verstorbenen untersucht und mit denen von an Influenza Verstorbenen verglichen. Die Ergebnisse wurden im New England Journal of Medicine publiziert. „Die Studie verbessert unser Verständnis, warum die Lungenfunktion bei SARS-CoV-2-Infizierten mit schweren Krankheitsverläufen so stark beeinträchtigt ist“, betont Prof. Jonigk.



„Wir haben die Gewebeproben erstmals synergistisch mit einem sehr breiten Methodenspektrum von Mikro-Computertomografie, 3D-Elektronenmikroskopen und verschiedenen molekularbiologischen Methoden untersucht, um die Wege von SARS-CoV-2 aufzuspüren“, sagt Prof. Jonigk. Dabei konnten die Wissenschaftler zunächst das bereits bekannte akute Schadensmuster in der Lunge von COVID-19- Patienten nachweisen, den diffusen Alveolarschaden. „Wir haben außerdem eine massive Anzahl von Blutgerinnseln in allen Abschnitten der Blutgefäße in der Lunge gefunden, vor allem aber in den feinsten Gefäßen, den Kapillaren“, sagt der Pathologe. „Diese Mikrothromben verstopfen die feinen Lungengefäße und vergrößern so zusätzlich die Atemnot der Patientinnen und Patienten.“ Das Phänomen gebe es zwar auch in schwer geschädigten Lungen nach Influenza-Infektionen, aber die Anzahl dieser kleinen Verstopfungen sei bei Grippetoten wesentlich geringer.

Besonders auffällig ist zudem ein Befund, den Mediziner ansonsten vorrangig nur von Tumorerkrankungen, Autoimmunkrankheiten oder Vernarbungsprozessen kennen: SARS-CoV-2 löst offenbar eine besondere Form von Gefäßneubildungen in der Lunge aus. „Diese intussuszeptive Neoangiogenese ist bisher im Rahmen des diffusen Alveolarschadens noch nicht beschrieben worden und unterscheidet COVID-19 grundlegend von vergleichbar schweren Lungeninfektionen durch Influenzaviren“, betont Prof. Jonigk und fasst zusammen: „Die drei in unserer Studie erstmals umfassend beschriebenen Veränderungen innerhalb der Lunge bei SARS-CoV-2-Infektionen sind die massive Blutgefäßschädigung, die überschießende Blutgerinnung mit Verstopfung der feinsten Lungengefäße und die für COVID-19 charakteristische Gefäßneubildung. (Redaktionsteam/BKB)

Quellen: Pressemitteilungen der Universität Linz, des Universitätsklinikum Augsburg und der Medizinischen Hochschule Hannover