14. August 2024

Serie: Der physiologische Moment

von Prim. Univ.-Prof. Dr. Walter Hasibeder, Abteilung für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Krankenhaus St. Vinzenz, Zams

© Anna Rauchenberger

Beim passiven Hitzestress wird Wärme von außen, zum Beispiel durch warme Umgebung, dem weitgehend ruhenden Organismus zugeführt. Im Gegensatz dazu entsteht „aktiver Hitzestress“ durch zusätzliche endogene Wärmeproduktion im Rahmen von zum Beispiel körperlicher Betätigung.

Um eine gefährliche Erhöhung der Körperkerntemperatur abzuwenden, muss der Organismus bei Hitze seine Wärmeabgabe an die Umwelt erhöhen. Dies geschieht in erster Linie durch Steigerung der Hautdurchblutung. Diese kann im Extremfall, beim gesunden Menschen, auf Werte von 7–8 l/min ansteigen [1]. Diese Anpassung wird physiologisch über eine Erhöhung des Herzminutenvolumens auf das Doppelte, durch gesteigerte Inotropie und Chronotropie bei gleichzeitig signifikant vermindertem zentralem Blutvolumen erreicht. Ein extremer Anstieg der Hautdurchblutung geht, gesteuert durch das autonome Nervensystem, auf Kosten der Durchblutung des Gastrointestinaltrakts, der Nieren und von Teilen der Muskulatur. Bereits Erhöhungen der Körperkerntemperatur um 0,3°C lösen eine signifikante Veränderung der Hautdurchblutung und Wärmeabgabe (Verdunstungskälte) über eine gesteigerte Schweißproduktion aus [2].

Es ist daher verständlich, dass vor allem ältere Erwachsene im Rahmen von Hitzewellen besonders gefährdet sind, gesundheitliche Schäden zu erleiden. Im Jahr 2003 forderte eine Hitzewelle innerhalb eines Monats allein in Frankreich 15.000 und in ganz Europa etwa 70.000 Exzess-Todesfälle (Todesfälle über das jahreszeitlich zu erwartende Maß hinaus) [3]. Eine genauere Analyse der Todesursachen im Rahmen der Chicago-Hitzewelle von 1995 ergab, dass nur 4,7% der Todesfälle auf direkte Hitzeeinwirkung, wie zum Beispiel Hyperpyrexie, Hitzeschlag, zurückgeführt werden konnten. Über 90% der Todesfälle waren kardiovaskulären Ursprungs [3].

Im Folgenden werden die Effekte einer Steigerung der Körperkerntemperatur durch externe Hitzeexposition auf das Herzkreislaufsystem besprochen. Limitationen der Anpassung des Herz-Kreislauf-Systems werden diskutiert.

Hitze und das Herz

Pro Grad Steigerung der Körperkerntemperatur erhöht sich die Herzfrequenz um zirka acht Schläge/Minute. Experimente zeigen, dass zumindest 40% der Herzfrequenzsteigerung auf die direkte Erwärmung des Herzmuskels bzw. auf Effekte von Temperatur auf das Reizleitungssystem zurückzuführen sind [4]. Zirka 60% gehen auf Effekte des autonomen Nervensystems wie die Rücknahme des Parasympathikotonus, die Erhöhung des Sympathikotonus sowie eine vermehrte Adrenalinausschüttung aus den Nebennieren zurück.

Die Steigerung der Hautdurchblutung um mehrere Liter/Minute erhöht massiv das Blutvolumen, das sich zu jedem Zeitpunkt in den hoch complianten Gefäßen der Haut befindet. Dieser Umstand kann auch nicht durch eine gleichzeitige Vasokonstriktion in verschiedenen inneren Organen mit Verschiebung von venösem Blutvolumen in Richtung Herz kompensiert werden [5, 6]. Die Folge ist eine Abnahme des zentralen Blutvolumens. Messungen am menschlichen Herzen haben bei einer Körperkerntemperatur von 39°C Abnahmen des zentralen Venendrucks von 5mm Hg auf 0,5mm Hg gezeigt [5, 6]. Dies entspricht Abnahmen im zentralen Blutvolumen um zirka 17±2%. Die Abnahme des kardialen Preloads wird durch Steigerung der Herzfrequenz und der Inotropie des Herzens mit Linksverschiebung und Zunahme der Steilheit sowie des Plateaus der Frank-Starling-Kurve kompensiert (Abb. 1; [7]). Zu einem geringen Grad erhöht auch eine Nachlastverminderung, durch Abnahme des peripheren Gefäßwiderstands, das Herzminutenvolumen. Diese systemische Blutflusssteigerung dient ausschließlich der Hautdurchblutung und damit dem konvektiven Wärmetransport an die Körperoberfläche.

Abb. 1: Frank-Starling-Diagramm des Herzens unter Normothermie und Hyperthermie. Unter normothermen Bedingungen operiert der Herzmuskel im flachen Teil der Frank-Starling-Kurve. Bei Hyperthermie führt die Zunahme der Inotropie zu einer Linksverschiebung und zu einem steileren Anstieg der Frank-Starling-Beziehung. Durch die Reduktion des zentralen Blutvolumens arbeitet das Herz bei Hyperthermie im steilen Teil der Kurve. Die gesteigerte Inotropie „überkompensiert“ den abnehmenden Preload, das Schlagvolumen steigt beim gesunden jungen Menschen an

Hitze und der große Kreislauf

Studien am Menschen zeigen, dass passive Erhitzung zu einer zunehmenden arteriellen Vasokonstriktion im Splanchnikusgebiet (Leber, Milz und Magendarmtrakt) führt. Bei gesunden Proband:innen wurden Abnahmen des Splanchnikusblutflusses um zirka 40% (20–60%) bei Erreichen einer Körperkerntemperatur von 39°C gemessen [5, 6]. Das Splanchnikusgebiet enthält etwa 20% des gesamten Blutvolumens. Die arterielle Vasokonstriktion reduziert den venösen „transmuralen Dehnungsdruck“, der Venenquerschnitt nimmt ab und venöses Blutvolumen wird in Richtung rechter Vorhof verschoben. Dieses „unstressed“ Volumen kann physiologisch als Blutvolumen mit normalerweise langsamer Kreislauftransitzeit angesehen werden und steht in Stresssituationen wie Hitzeexposition oder Flüssigkeitsverlust sofort zur Aufrechterhaltung des kardialen Preloads zur Verfügung (Abb. 2). Unterstützt wird diese Verschiebung von venösem Blutvolumen durch eine signifikante Aktivierung des sympathoadrenergen Systems um das 2 bis 3-Fache der normalen Aktivität [8]. Dieser „hyperadrenerge“ Zustand unterstützt die Mobilisierung von „unstressed“ Volumen durch aktive Venenkonstriktion.

Abb. 2: Schematische Darstellung der wichtigsten Veränderungen von Drücken und Flüssen im systemischen Kreislauf unter passiven Hitzestress. Die Zunahme der Hautdurchblutung mit gleichzeitiger Steigerung des venösen Blutvolumens kann nur teilweise durch Vasokonstriktion arterieller und venöser Gefäße in inneren Organen kompensiert werden. 
ZVD zentralvenöser Blutdruck, HZV Herzminutenvolumen, SV Schlagvolumen; MAP mittlerer arterieller Blutdruck, SBF Splanchnikus-Blutfluss, RBF renaler Blutfluss. Die angegebenen Werte entsprechen den absoluten Veränderungen des jeweiligen Parameters bei einer Körperkerntemperatur von 39°C gegenüber Normothermie [5, 6]

Eine Reduktion im Nierenblutfluss im Rahmen der Hyperthermie um zirka 15–30% hilft, durch Umleiten eines Teils des Herzminutenvolumens, einen adäquaten arteriellen Blutfluss zur Haut aufrecht zu erhalten [5, 6].

Erhöhungen der Körperkerntemperatur von 0,5°C bis zirka 1,2°C scheinen wenig Einfluss auf den zerebralen Blutfluss zu haben. Allerdings beobachtet man bei Körperkerntemperaturen >38,5°C eine Abnahme des zerebralen Blutflusses um zirka 20–30% [9]. Als Ursachen dafür wurden ein geringer Abfall im zerebralen Perfusionsdruck (Abfall des mittleren arteriellen Blutdrucks), ein Abfall des arteriellen Kohlendioxydpartialdrucks (arterieller pCO2), eine durch Hitze induzierte Hyperventilation und Veränderungen der zerebralen Autoregulation des Blutflusses diskutiert. Derzeit erscheint eine hitzeinduzierte Hyperventilation der wahrscheinlichste Mechanismus einer Abnahme des zerebralen Blutflusses zu sein [2, 5]. Hyperventilation beginnt ab einer Körperkerntemperatur von zirka 38°C. Dabei reduziert sich der zerebrale Blutfluss um 2–4% pro mmHg-Reduktion im arteriellen pCO2. Im Rahmen schwerer Hyperthermie führt eine Abnahme des arteriellen pCO2 um 10mm Hg zu einer Reduktion des zerebralen Blutflusses um 20–30%.

Limitationen der Anpassungsfähigkeit

Besonders die ältere Bevölkerung leidet unter Hitzestress. Todesfälle betreffen dabei vor allem die Altersgruppe über 50 Jahre [3]. Selbst völlig gesunde ältere Menschen zeigen signifikante Einschränkungen der Adaptationsfähigkeit des Herz-Kreislauf-Systems. Experimente zeigen eine deutlich eingeschränkte Fähigkeit, die Hautdurchblutung zu erhöhen [3]. Gleichzeitig nehmen im Alter das maximale Herzminutenvolumen und die Fähigkeit, durch arterielle Vasokonstriktion Blutvolumen innerhalb des Organismus umzuverteilen, ab [10].

Ein Grund für die beobachtete eingeschränkte kardiale Pumpfunktion ist, im Gegensatz zu jüngeren Proband:innen, eine signifikante Abnahme des Schlagvolumens unter Hyperthermie. Da bei steigender Körperkerntemperatur die Herzfrequenz bei älteren Menschen im Vergleich zu Jüngeren deutlich höher ist, ist eine verminderte Diastolendauer mitverantwortlich für die Reduktion des Schlagvolumens [11]. Dies bedeutet gleichzeitig eine geringere koronare Blutflussreserve und einen signifikant höheren myokardialen Sauerstoffverbrauch. Jede Vorerkrankung des Herz-Kreislauf-Systems reduziert zusätzlich die menschliche Fähigkeit der Adaptation an Hitzestress.

Neben Veränderungen der zentralen Kreislaufregulation reduzieren lokale Faktoren die Fähigkeit, den Hautblutfluss zu steigern [3]. Stickoxyd (NO) spielt eine wichtige Rolle als Mediator der Vasodilatation und ist für zirka 40% der Hautblutflusssteigerung verantwortlich. Im Alter scheint die Bioverfügbarkeit von NO in Hautgefäßen vermindert zu sein. Unter anderem findet sich in der alternden Haut eine Hochregulation des Enzyms Arginase, das verstärkt das Ausgangsprodukt der NO-Produktion, die Aminosäure LArginin, zu Harnstoff und LOrnithin abbaut [12]. Altern geht mit erhöhtem oxydativem Stress einher [3]. Zum Beispiel reagieren Superoxyd-Anionen, die im Alter vermehrt im mitochondrialen Stoffwechsel gebildet werden, bevorzugt mit NO zu Peroxynitrit – ein weiterer Mechanismus, der die Bioverfügbarkeit von NO als Vasodilatator reduziert. Abb. 3 zeigt die theoretischen Grenzen der Anpassungsfähigkeit des Herzkreislaufsystems an Hitzestress.

Abb. 3: Zusammenhang zwischen Zunahme der systemischen Gefäßleitfähigkeit und dem Herzminutenvolumen bei konstanter Aufrechterhaltung eines systemischen Perfusionsdrucks von 60mm Hg. Die systemische Gefäßleitfähigkeit entspricht der Summe aller reziproken Organgefäßwiderstände. Mit zunehmender Gefäßleitfähigkeit muss das Herzminutenvolumen linear ansteigen, um einen möglichst konstanten systemischen Perfusionsdruck aufrechtzuerhalten. Unmittelbar nach Erreichen des maximal möglichen systemischen Blutflusses kommt es zum Kreislaufversagen. Ursache ist ein weiterer Abfall des ZVD auf Null- oder Negativwerte. Dies führt zu einem atemabhängigen Kollaps der großen Venen im Bereich der oberen und unteren Thoraxapertur, der venöse Rückstrom zum Herzen kann nicht mehr gesteigert werden. Flüssigkeitsverluste durch Schwitzen, mangelhafte Flüssigkeitszufuhr oder Medikamente sowie jede krankheitsbedingte Beeinträchtigung der myokardialen Pumpfunktion vermindern die Adaptationsfähigkeit des Herz-Kreislauf-Systems an Hitzestress

Laut Europäischer Klimaagentur ist Europa der derzeit sich weltweit am schnellsten und stärksten erwärmende Kontinent [13]. Wenn es uns nicht gelingt, die Klimaerwärmung in den nächsten Jahren zu begrenzen, sind verheerende gesundheitliche und ökonomische Folgen zu erwarten. Herz-Kreislauf-bedingte Erkrankungen und Todesfälle werden mit steigender Schwere und Dauer von Hitzeperioden in der Bevölkerung stark zunehmen. Selbst die besten europäischen Gesundheitssysteme werden diesen Belastungen auf Dauer nicht standhalten.

Literatur

  1. Crandall CG, González-Alonso J. Cardiovascular function in heat-stressed humans. Acta Physiol (oxf). 2010;199:407–23.
  2. Crandall CG, Wilson TE. Human cardiovascular responses to passive heat stress. Compr Physiol. 2015;5:17–43.
  3. Kenney WL, Craighead DH, Alexander LM. Heat waves, aging, and human cardiovascular health. Med Sci Sports Exerc. 2014;46:1891–9.
  4. Gorman AJ, Proppe DW. Mechanisms producing tachycardia in conscious baboons during environmental heat stress. J Appl Physiol Respir Exerc Physiol. 1984;56:441–46.
  5. Rowell LB. Thermal stress. In: Rowell LB, Hrsg. Human Circulation Regulation during Physical Stress. New York: Oxford University Press; 1986. S. 174–212.
  6. Rowell LB. Human cardiovascular adjustments to exercise and thermal stress. Physiol Rev. 1974;54:75–159.
  7. Wilson TE, Brothers RM, Tollund C, et al. Effect of thermal stress on Frank-Starling relations in humans. J Physiol. 2009;587:3383–92.
  8. Hyperthermia RLB. a hyperadrenergic state. Hypertension. 1990;15:505–7.
  9. Wilson TE, CUI J, Zhang R, et al. Heat stress reduces cerebral blood velocity and markedly impairs orthostatic tolerance in humans. Am J Physiol Regul Integr Comp Physiol. 2006;291:R1443–48.
  10. Tsuchida Y. Age-related changes in skin blood flow at four anatomic sites of the body in males studied by xenon-133. Plast Reconstr Surg. 1990;85:556–61.
  11. Minsom CT, Wladkowski SL, Cardell AF, et al. Age alters the cardiovascular response to direct passive heating. J Appl Physiol. 1998;84:1323–32.
  12. Holowatz LA, Thomson CS, Kenney WL. L?arginine supplementation alone or combined with arginase inhibition augments reflex cutaneous vasodilatation in aged human skin. J Physiol. 2006;574:573–81.
  13. European Environment Agency. Executive Summery European climate risk assessment TH-AL-001-ENN.pdf. 2024; www.eea.europa.eu/puplications/european-climate-risk-assessment/download (zuletzt zugegriffen am 31. März 2024).

erschienen in ANÄSTHESIE NACHRICHTEN 2/2024