Ein erheblicher Anteil der wegen saisonaler Influenza Hospitalisierten muss auf Intensivstationen betreut werden – und das oft wochenlang. ÖGARI-Präsident Prof. Rudolf Likar warnt davor, die „Grippe“ zu unterschätzen.
„Die Betroffenen sind schwer krank. Bei uns dauert ihr Aufenthalt auf der Intensivstation oft Wochen“, sagt Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) und Vorstand der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin am Klinikum Klagenfurt.
Die diesjährige Influenza-Welle ist in Österreich gerade erst im Ankommen. In den am Zentrum für Virologie der MedUni Wien untersuchten Proben fanden sich bisher zu 71 Prozent A(H1N1)-Viren, die 2009/2010 die damalige Pandemie auslösten. Den Rest machten A(H3N2)-Viren aus. In diesem Jahr dürften beide Virustypen durch die Vakzine (Dreifach- oder Vierfach-Impfstoffe) abgedeckt sein. Der Verlauf der Erkrankungen infolge der saisonalen Influenza bleibt aber de facto unvorhersehbar.
Somit ist man auf retrospektive Fakten angewiesen. „Gemäß der saisonalen, klinischen Sentinella-Surveillance der Influenza in Österreich wurde für Kalenderwoche (KW) 40/2017, mit Beginn der Meldungen von Grippe/Grippe-ähnlichen Krankheitsfällen (influenza-like illness; ILI) eine Inzidenz von 289 Fälle/100.000 Einwohner geschätzt. In KW 7/2018 erreichte die Inzidenz der Grippe/Grippe-ähnlichen Krankheiten mit 1.793 Fällen/100.000 Einwohner ihren Höhepunkt“, heißt es im Jahresbericht der Nationalen Referenzzentrale für Influenza Epidemiologie der AGES für die Saison 2017/2018.
Dass sich die Österreicher kaum gegen die Influenza impfen lassen, ist auch dieses Mal mit hohen Erkrankungszahlen zu rechnen. In der Saison 2017/2018 wurden abzüglich der Retouren rund 558.000 Dosen der Vakzine abgegeben. Das entspricht einer theoretischen Durchimpfungsrate von 6,36 Prozent. 2006/2007 waren es noch 15,36 Prozent gewesen.
Intensivstationen besonders belastet
Prof. Likar hat sich die Daten aus dem LKH Klagenfurt für die Influenza-Saison 2017/2018 angesehen. „Wir hatten 246 Patienten, die wegen Influenza in unser Krankenhaus eingeliefert wurden. Per Labor erwiesen sich 83 davon als Influenza-A-Fälle, 163 hatten eine Influenza B“, sagte der ÖGARI-Präsident. Der Arbeitseinsatz der Intensivmediziner in Klagenfurt war dementsprechend hoch. Prof. Likar: „35 der Patienten kamen auf die Intensivstation, zwei davon auf die ‚Kinder-Intensiv‘.“
Betroffen waren, so der ÖGARI-Präsident, vor allem alte Menschen, Multimorbide – also Patienten, die kaum eine „Reserve“ haben und bei welchen die Influenza dann zu schweren Komplikationen führt. Erfolgt die Spitalsaufnahme rechtzeitig, wird sofort die Therapie eingeleitet: Oseltamivir (Tamiflu®), eventuell notwendige Beatmung etc. „Das kann durchaus bis zur veno-venösen ECMO-Behandlung gehen“, sagt Prof. Likar.
Niederländische Studie: Große Bandbreite bei ICU-Aufnahmen
Was zur Aufnahme von Influenza-Patienten ins Spital und in die Intensivstationen führt, lässt sich aus einer aktuellen niederländischen Studie ablesen (van Asten L et al in: Crit Care 2018 Dec 19;22(1):351). In ihrer Untersuchung analysierten die Forscher die wöchentlichen ICU-Aufnahmen in den Niederlanden in den Jahren 2007 bis 2016 aus dem nationalen Qualitätsregister für die Intensivstationen (NICE). „Jährlich waren rund 13 Prozent der Aufnahmen von Erwachsenen auf ICUs durch schwere respiratorische Infektionen (SARI) bedingt. Ihr Anteil schwankte aber von Woche zu Woche von mindestens 5 bis 25 Prozent. Aufnahmen in Intensivstationen wegen solcher Infektionen waren am häufigsten durch bakterielle Pneumonien (59 Prozent) und pulmonäre Sepsis (25 Prozent) bedingt“, so die Autoren. Die ICU SARI-Mortalität lag zwischen 13 und 20 Prozent.
Ebenfalls erst vor kurzem (J Crit Care 2018 Nov 15;50:59-65) haben Beumer MC et al eine Analyse von 199 in den Niederlanden mit Influenza hospitalisierten Patienten (zwischen 1. Oktober 2015 und 1. April 2016) veröffentlicht. 45 davon waren schließlich auf einer Intensivstation gelandet. „Eine Vorgeschichte eines obstruktiven oder zentralen Schlafapnoe-Syndroms, Myokardinfarkt, Dyspnoe, Influenza A, ein BMI > 30, eine sich entwickelnde Niereninsuffizienz sowie Co-Infektionen (bakteriell oder Pilze) wurden bei den ICU-Patienten häufiger beobachtet. Co-Infektionen waren evident bei 55,6 Prozent der ICU-Aufnahmen, hingegen bei 20,1 Prozent der Patienten auf Normalstationen – hauptsächlich verursacht durch S. aureus, Streptococcus pneumonae und Aspergillus fumigatus. Patienten, die starben, litten darüber hinaus öfter an Diabetes mellitus und (bereits vorher bestehendem) Nierenversagen“, schreiben die Autoren.
Infarktrisiko nach Influenza
Wie die wissenschaftliche Literatur zeigt, imponieren Influenza-Patienten recht häufig durch erhebliche und oft lebensbedrohliche Komplikationen. Das geht hin bis zu akuten Koronarerkrankungen. JC Kwong et al (NEJM 378;4 2018) haben beispielsweise die Daten der Krankenversicherung in der kanadischen Provinz Ontario für alle Patienten, die zwischen 1. Mai 2009 und 31. Mai 2014 auf Influenza getestet wurden und jene, die im Alter über 35 Jahren zwischen 1. Mai 2008 und 31. Mai 2015 mit einem akuten Myokardinfarkt hospitalisiert wurden, analysiert. Fazit: Zwischen einem Jahr vor und einem Jahr nach einem positiven Influenza-Test wurden 364 Herzinfarkte in der Patientengruppe festgestellt. Für die erste Woche nach einem positiven Influenza-Testergebnis ergab sich ein um das Sechsfache (6,05) erhöhtes Infarktrisiko. Nach einem Zeitraum von sieben Tagen war das Risiko wieder „normal“. Bei positivem Influenza B-Befund war das Risiko um den Faktor 10,11 erhöht, bei Influenza A um den Faktor 5,17 und bei einer Infektion mit dem Humanen Respiratorische Synzytial-Virus (HRSV oder RSV) um den Faktor 3,51 – bei anderen Virusinfektionen lag die Steigerung der Gefährdung beim 2,77-Fachen.
Pandemie und die Folgen
Umfangreiche Literatur liegt aus der wissenschaftlichen Aufarbeitung der A(H1N1)-Pandemie der Jahre 2009/2010 vor. Am 12. November 2009 – da grassierte die „Schweinegrippe“ erst nach dem ersten Ausbruch auf dem amerikanischen Kontinent in Europa – erschien bereits im New England Journal of Medicine eine Analyse: Critical Care Services and 2009 H1N1 Influenca in Australia and New Zealand (NEJM 361:20). „Vom 1. Juni bis 31. August 2009 722 Patienten mit durch das Labor bestätigten Infektionen mit dem 2009-H1N1-Virus (28,7 Fälle pro Million Einwohner) wurden in Australien bzw. Neuseeland in eine Intensivabteilung aufgenommen. Die mediane Aufenthaltsdauer auf der ICU betrug sieben Tage. 64 Prozent der Intensivpatienten mussten künstlich beatmet werden. Bis zum 7. September 2009 – also eine Woche nach Ende der Datenerhebung – waren 103 von 702 Patienten, bei denen eine Analyse möglich war (14,3 Prozent), verstorben. 114 (15,8 Prozent) befanden sich noch immer im Krankenhaus. Eine virale Lungenentzündung oder ARDS hatten 336 von dafür ausgewerteten Patienten (48,8 Prozent). 20,3 Prozent (140) hatten eine sekundäre bakterielle Pneumonie entwickelt. 95 (13,9 Prozent) hatten die Exazerbation einer bestehenden chronischen Lungenerkrankung als Grund für die ICU-Aufnahme.
Sekundäre bakterielle Infektionen
Zum Thema sekundärer bakterieller Pneumonien zu schweren und lebensgefährlichen Verläufen von A(H1N1)pdm2009-Infektionen gibt es seit kurzem auch eine Übersichtsarbeit (MacIntyre CR et al BMC Infect Dis. 2918 Dec 7;18(1):637). Dabei wurden unter anderem die Daten von elf Studien zu letal verlaufenen Fällen einer neuerlichen Analyse unterworfen. Durch Autopsie-Befunde bestätigt lag die Häufigkeit von bakteriellen Infektionen bei 23 Prozent (davon zu 29 Prozent Streptococcus pneumoniae).
Influenza 2019 anekdotisch
Die Influenza 2018/2019 grassiert. Wenige Tage nach dem Anschwellen der Erkrankungszahlen hieß es beispielsweise bereits in einem großen Wiener Krankenhaus: „Die ersten Influenza-Patienten kamen gleich direkt auf die Intensivstation.“ So ist die Situation – jährlich. „Man sollte nicht den Fehler machen und die Influenza-Gefahren verharmlosen. Wir sehen auf den Intensivstationen täglich die dramatischen Folgen“, so ÖGARI-Präsident Prof. Likar. (Blogredaktion)