Generalisierte Infektionen wie die Sepsis und der septische Schock gehören zu den häufigsten Todesursachen weltweit. Es gibt einen deutlichen Zusammenhang zwischen Infektionserkrankungen und Armut.
Generalisierte Infektionen wie die „Sepsis“ und in ihrer schwersten Ausprägungsform der „septische Schock“ sind eine der häufigsten Todesursachen weltweit. Jährlich versterben etwa fünf Millionen Menschen im Rahmen schwerer Infektionen. Allerdings handelt es sich dabei nur um eine grobe Schätzung der Todesfälle, da in zahlreichen Gegenden der Welt der Zugang, vor allem der ländlichen Bevölkerung, zu einer medizinischen Versorgung kaum oder gar nicht möglich ist.
Dass ein erschwerter medizinischer Versorgungszugang auch in der westlichen Welt eine wesentliche Rolle für das Überleben im Rahmen der Sepsis spielt, konnten die Autoren Goodwin AJ und Mitarbeiter im Jahr 2016 zeigen (Chest 2016; 150:829-836). Dabei wurde im Bundesstaat South Carolina die Inzidenz und die Prognose bei Sepsisfällen zwischen medizinisch gut versorgten und unterversorgten, meist ländlichen Regionen untersucht. Einwohner ländlicher, unterversorgter Regionen wurden deutlich häufiger mit der Diagnose „schwere Sepsis“ in Krankenhäusern aufgenommen. Auch die Todesfälle waren in dieser Gruppe signifikant häufiger als bei Patienten, die in medizinisch gut versorgten Regionen leben.
Schon lange kennen wir den Zusammenhang zwischen schweren, oft tödlichen, Infektionserkrankungen und Armut aus Ländern in Afrika, Teilen Asiens und Südamerikas. Der fehlende Zugang zu sauberem Wasser, lückenhafte beziehungsweise oft fehlende Impfprogramme und Mangelernährung werden hier als Hauptursachen für Sepsis und Sepsis-bedingte Todesfälle aufgezählt.
In der westlichen, „wohlhabenden“ Welt ist der Zusammenhang zwischen Armut und dem Auftreten von Sepsis beziehungsweise Todesfällen im Rahmen der Sepsis oft wenig bekannt. Im Jahr 2012 wurde eine wissenschaftliche Studie zum Thema Armut und Auftreten von Infektionserregern in der Blutbahn 48 Stunden nach der Krankenhausaufnahme wegen vermuteter Sepsis in US-Krankenhäusern des Bundesstaates Massachusetts näher untersucht (Mendu ML et al. Crit Care Med 2012; 40:1427-1436). Die Patienten wurden, je nach Herkunft, in vier „Armutsgruppen“, eingeteilt. Patienten aus besonders armen Wohnvierteln (mehr als 20 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der staatlich definierten Armutsgrenze) hatten ein um bis zu 49 Prozent höheres Risiko, an bakterieller „Blutvergiftung“ zu erkranken. Dabei zeigte sich auch klar, dass die Rate an Sepsis mit positiven Blutkulturen umso höher ist, je höher der Anteil armer Menschen in einem Wohnviertel ist.
In Texas wurden die Ursachen der zunehmenden Häufigkeit schwerer Septikämien bei Müttern im Rahmen von Schwangerschaften näher untersucht (Oud L et al. J Clin Med Res 2015; 7: 400-416). Im Rahmen dieser retrospektiven Analyse von über 4 Millionen Hospitalsaufenthalten schwangerer Frauen zeigte sich, dass in den letzten 10 Jahren die Anzahl der Krankenhausaufnahmen wegen Sepsis von 11 auf 26 Frauen pro 100.000 Einwohner angestiegen ist. Neben vorbestehenden chronischen Erkrankungen der Leber und des Herzens, Drogenabusus, Herkunft, HIV und Versicherungsstatus war vorbestehende Armut ein signifikanter Risikofaktor für Sepsis während der Schwangerschaft.
In einer großen retrospektiven Untersuchung in den USA mit 30.000 Teilnehmern zeigte sich, dass Sepsisfälle häufiger in ärmlichen Regionen des Landes diagnostiziert werden (Moore XM et al. Int J Epidemiol 2017; 46:1607-1617). Diese regionale Variabilität im Auftreten schwerer Infektionen wird hauptsächlich mit Unterschieden im Familieneinkommen, also mit dem Vorhandensein von Armut, assoziiert.
In einer jüngst publizierten Untersuchung aus der Stadt Baltimore wurde der Zusammenhang zwischen dem Familieneinkommen und dem Risiko, einen Sepsistod zu erleiden, genauer untersucht (Galiatsatos P et al. J Crit Care 2018; 46:129-133). Das mediane Familieneinkommen beträgt in dieser US-Stadt 38.660 Dollar, das entspricht 33.200 Euro. In den USA liegt die Armutsgrenze für Alleinstehende bei einem Jahreseinkommen von ca. 11.490 Dollar (ca. 9.884 Euro), für eine vierköpfige Familie bei 23.550 Dollar (ca. 20.250 Euro). In dieser Studie lag der Anteil an armen Familien bei 28,4 Prozent. Armut war mit einer signifikant erhöhten Sepsistodesrate verknüpft.
Derzeit kann über die exakten Ursachen einer höheren Sepsis Inzidenz und Todesrate bei ärmeren Bevölkerungsschichten nur spekuliert werden. Mit großer Wahrscheinlichkeit spielen auch hier wieder jene Faktoren eine Rolle, die auch bei den Zusammenhängen zwischen chronischen Erkrankungen, wie Diabetes, Herzkreislauferkrankungen und Armut genannt werden. Schlechte Ernährung, mangelhafte Hygiene, Übergewicht und Stress könnten Risikofaktoren für das häufigere Auftreten der Sepsis und der schlechteren Überlebensprognose bei armen Menschen sein.
Wir als Vertreter des Spezialfaches Anästhesie und Intensivmedizin sollten äußerst kritisch die derzeitige gesellschaftliche Entwicklung betrachten. Die „Ich“-Bezogenheit der Menschen und der zunehmende Rückzug der Allgemeinverantwortung gegenüber den „Schwächeren“ führt nicht nur zu einer Privatisierungswelle von Unternehmen, sondern auch zur „Privatisierung der Armut“, frei nach dem Motto „du bist an allem selbst schuld“.
Wir können daher vor geplanten Sparprogrammen bei den Ärmsten und im Gesundheitssystem nur warnen, da die negativen Folgen in den nächsten Jahren wahrscheinlich in keiner Relation zu den erwartenden kurzzeitigen Einsparungen stehen werden.
Wie sehr Sparprogramme, die die Armut in der Bevölkerung in die Höhe treiben, tödlich sein können, wird von den Autoren David Stuckler und Sajay Basu (Wagenbach Verlag) eindrücklich anhand des Schicksals von Griechenland mit der Verordnung eines scharfen Sparprogramms beschrieben. Nachdem die Gesundheitsausgaben im Land um rund 30 Prozent gekürzt wurden, stieg die Kindersterblichkeit im Land um 40 Prozent. Im Jahr 2011 stieg die Anzahl an HIV Neuinfektionen innerhalb von nur 5 Monaten um 52 Prozent.